Albert Birkner

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Die Unabhängigkeit von Aufsichtsräten börsennotierter Aktiengesellschaften sowie das Erfordernis von Minderheitsaktionärsvertretern im Aufsichtsrat ist ein vieldiskutiertes Thema. Angesichts verschiedener Problemfälle, bei denen die Vermengung von Eigentümerinteressen des Aktionärs mit Unternehmensinteressen zu Fehlentscheidungen geführt haben soll, wird gefordert, den Einfluss des Mehrheitsaktionärs auf Aufsichtsrat und Vorstand zurückzudrängen.

Gegensätzliche Interessen

Bereits bei Bestellung von Mitgliedern des Aufsichtsrates stehen einander zwei gegensätzliche Interessen gegenüber: einerseits das Interesse des (Mehrheits-)Eigentümers, seine Repräsentanten in das Kontrollgremium der AG zu entsenden und damit Einfluss auf die Geschäftsleitung ausüben zu können; andererseits das Interesse der Gesellschaft an unabhängigen, vorrangig dem Interesse der AG verpflichteten Organen. In der Position der vom Eigentümer gewählten Mitglieder des Aufsichtsrates realisiert sich somit ein Interessengegensatz zwischen dem Eigentümerinteresse und dem Unternehmensinteresse. Dessen ungeachtet gilt es als Zeichen guter Corporate Governance, einen Vertreter des Free Float in den Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften zu wählen. Während das Interesse des strategisch interessierten Mehrheitseigentümers zurückgedrängt wird, wird das Interesse des anlageinteressierten Minderheitsaktionärs geschützt. Das Aktiengesetz sieht als Postulat für die Organe einer AG die klare Regel des Vorrangs des Unternehmensinteresses vor. Für die Bestellung des Aufsichtsrates kennt das Aktiengesetz die Regel, dass die zur Wahl in den Aufsichtsrat stehenden Kandidaten vor der Wahl der Hauptversammlung ihre fachliche Qualifikation, ihre beruflichen oder vergleichbare Funktionen sowie alle Umstände darzulegen haben, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen könnten. Weiters kann aus dem Aktiengesetz geschlossen werden, dass sich Aufsichtsratsmitglieder für den Fall von Interessenkonflikten ihres Teilnahme-, Informations- und/oder Stimmrechts in Aufsichtsratssitzungen zu enthalten haben.

Ausnahme im Aktiengesetz

Die Vertretung der Minderheit im Aufsichtsrat ist im Aktiengesetz nur als Ausnahme geregelt. So besteht die Möglichkeit der Wahl eines "Minderheitenvertreters" durch ein Drittel des in der Hauptversammlung vertretenen Grundkapitals, und auch nur dann, wenn zumindest drei Kandidaten zur Wahl in den Aufsichtsrat anstehen. In der Praxis ist diese Regel äußerst schwierig und daher selten in der Anwendung. Eine Regel über die sonstige Minderheitenmitbestimmung enthält das Gesetz nicht.

Umfassender sind dazu die Bestimmungen des österreichischen Corporate Governance Kodex (ÖCGK), dem sich die meisten österreichischen börsennotierten Aktiengesellschaften freiwillig unterworfen haben. Der ÖCGK enthält zum Thema Minderheitenvertreter und Unabhängigkeit der Aufsichtsräte sogenannte "Comply-or-Explain-Regeln" (C-Regeln). Diese sollen, aber müssen nicht eingehalten werden, eine Abweichung muss jedoch vom Vorstand erklärt und begründet werden.

Unabhängig von AG und Vorstand

Der ÖCGK sieht unter anderem vor, dass eine ausreichende Anzahl der gewählten Aufsichtsratsmitglieder von der AG und deren Vorstand unabhängig sein soll. Dabei kann der Aufsichtsrat die Kriterien der Unabhängigkeit selbst festlegen und auf der Website der Gesellschaft veröffentlichen. Jedes Aufsichtsratsmitglied hat in eigener Verantwortung zu erklären, ob es unabhängig ist. Unter Unabhängigkeit wird dabei verstanden, dass das Mitglied keine geschäftlichen oder persönlichen Beziehungen zu der Gesellschaft oder deren Vorstand unterhält, die einen materiellen Interessenskonflikt begründen und daher sein Verhalten beeinflussen können. Für Gesellschaften mit einem Free Float von mehr als 20 Prozent des Grundkapitals sieht der ÖCGK vor, dass dem Aufsichtsrat mindestens ein unabhängiges Mitglied angehören soll, das nicht Aktionär mit einer Beteiligung von mehr als 10 Prozent des Grundkapitals ist oder dessen Interessen vertritt. Bei einem Free Float von mehr als 50 Prozent des Grundkapitals sollen mindestens zwei derart unabhängige Mitglieder dem Aufsichtsrat angehören.

Europäische Vorgaben

Die angeführten Regeln des ÖCGK beruhen im Wesentlichen auf der Empfehlung der EU-Kommission vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von Aufsichtsratsmitgliedern börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Aufsichtsrates, wobei jedoch der Kodex in einem wesentlichen Punkt hinter der EU-Empfehlung zurückbleibt: So soll nach der EU-Empfehlung Mehrheitsaktionären der Weg in den Aufsichtsrat generell untersagt sein. Der Bericht der EU-Kommission vom 13. 7. 2007 zur Anwendung ihrer Empfehlung kritisiert insbesondere, dass viele Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder von Mehrheitsaktionären noch nicht voll umgesetzt haben. Dazu gehört auch Österreich. Das Spannungsverhältnis zwischen der Unabhängigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrates und den Interessen der Eigentümer wird vor diesem Hintergrund besonders deutlich: Nach der EU-Empfehlung sollen Vertreter von Mehrheitsaktionären nicht in den Aufsichtsrat gewählt werden. Nach österreichischem Aktiengesetz kann ein Drittel des vertretenen Grundkapitals die Wahl eines Minderheitenvertreters in den Aufsichtsrat erzwingen. Nach ÖCGK sollen die Minderheitsaktionäre mit mindestens einem oder zwei unabhängigen Mitgliedern im Aufsichtsrat vertreten sein.

Unverständnis in der Praxis

Die Vorstellung, dass Vertretern von Mehrheitsaktionären der Weg in den Aufsichtsrat zur Gänze untersagt werden soll, muss in der Praxis auf Unverständnis stoßen. Es ist nicht ersichtlich, dass Mehrheitseigentümer die Kontrolle über ihr Investment an dritte Personen oder sogar an Vertreter der Minderheit verlieren. Der Verlust der teils ohnehin nur mittelbaren Kontrolle des Mehrheitsaktionärs müsste durch weitere Maßnahmen begleitet werden, die den Kontrollverlust zum Ausdruck bringen. So wäre etwa denkbar, bei völliger Unabhängigkeit der AG und ihrer Organe auf Regeln zu verzichten, die an die Kontrollerlangung durch einen Aktionär anknüpfen: Es könnte etwa das Übernahmerecht beseitigt oder stark eingeschränkt werden, da der die Mehrheit erlangende Aktionär mit Ausnahme des Einflusses in der Hauptversammlung keinen Einfluss auf die Verwaltungsorgane der AG ausüben könnte. (Albert Birkner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2007)