Zur Ansichtssache

Foto: kreuzfahrten.de
Das römische Pantheon verfolgt ja das schwierige Ziel, allen Göttern gleichzeitig ein Zuhause sein zu wollen, wodurch es allerdings zu einem ziemlichen Durchhaus der Mythologie wird. Joseph Farcus schien gerade dieser Gedanke gut gefallen zu haben, als er sich dafür entschied, das größte Passagierschiff unter italienischer Flagge zu so einem Ort der Begegnung für Götter und Halbgötter zu machen und sein Deck 3 einfach "Pantheon" taufte.

Farcus' Beruf, der natürlich auch Berufung ist, lässt sich nicht leicht in einem Satz zusammenfassen: Sagen wir, er geht als Innenarchitekt der interessanten Tätigkeit nach, riesigen Kreuzfahrtschiffen ein thematisches Eigenleben, ja eine Seele einzuhauchen. Im Fall der "Costa Serena" hat er sich für einen bewährten Stilmix aus feinstem Tüll und Plastik entschieden, um die Protagonisten der klassischen Mythologie auf neun Decks herumgeistern zu lassen.

Ob ein Dutzend Kunststoffgötter, das dekorativ über dem weit nach oben offenbleibenden gigantischen Atrium schwebt, nun kitschig wirkt oder nicht, Farcus hat natürlich recht, wenn er sagt: "Eine Kreuzfahrt ist immer auch ein bisschen Las Vegas" - eine Weisheit für die große Überfahrt von jemandem, der beim amerikanischen Mutterkonzern Carnival Cruise Lines sein Handwerk gelernt hat.

Die italienische "Costa Crociere" jedenfalls, die nun vor ihrem sechzigjährigen Jubiläum im Jahr 2008 steht, stößt mit Farcus' Motto "Ein Kreuzfahrtschiff darf alles, nur nicht so langweilig sein wie die eigenen vier Wände" in bislang nie erreichte Horizonte vor. Über 880.000 Passagiere freute man sich noch im Jahr 2006, nun hat man heuer bereits im Juli dem einmillionsten Gast dieser Saison die Hand schütteln dürfen - ein Rekordwert, der die gesamte Kreuzfahrtindustrie verblüfft.

Kleinstadtmythen

Die "Costa Serena", das jüngste Schiff der Costa-Flotte mit der Fähigkeit, eine Kleinstadt von insgesamt 5000 Seelen transportieren zu können, ist verständlicherweise auch der richtige Ort für moderne Mythen; allerdings entstehen die just in jenen Vierteln, die der Passagier - ob nun "blind" oder nicht - im Normalfall gar nicht sehen kann und darf.

Da wäre etwa die zweistöckige zentrale Hauptküche, die ein Kellner eilig über Rolltreppen erreichen muss, weil die 3780 Suppen pro Mahlzeit auch im letzten Eck der fünf Restaurants warm ankommen sollen. Dass eine einzelne Speisenfolge hier jedesmal zur logistischen Meisterleistung wird, versteht sich von selbst. Aber für diese Aufgabe gibt es den "Chefkoch", dessen Tätigkeit aber eher mit der eines Rohstoffhändlers an der Börse zu vergleichen ist. Denn er, und nur er, weiß ganz genau, was zu tun ist, wenn etwa bei der Zubereitung von eineinhalb Tonnen Pasta als Zwischengang eine Zutat nicht mehr verfügbar ist und wodurch man sie ersetzen kann. Krisenmanager in der Kombüse ist er übrigens nicht zum ersten Mal auf der "Costa Serena", als gefragter Spezialist heuert er immer so lange auf neuen Kreuzern an, bis die Köche die richtige Dosierung selbst herausgefunden haben. Und diesen Job hat er seiner Meinung nach dann gut erledigt, wenn "nach einer langen Fahrt nur eine Steige Zitronen im Lagerraum übrigbleibt".

Diese Kleinstadt ist dennoch so groß, dass man nicht alle seine Bewohner kennenlernen wird. Der "Bürgermeister" etwa, sprich: der Kapitän, ist aus mehreren Gründen keine besonders volksnahe Persönlichkeit - allerdings unfreiwillig. Zum einen verbringt er oder wenigstens einer seiner Offiziere nämlich so viel Zeit auf der Kommandobrücke, dass sich ein Captain's Dinner nur selten ausgeht. Aus Sicherheitsgründen muss hier wenigstens eine Person immer anwesend sein, und das gilt auch für die Zeiten, die die "Costa Serena" zur Wartung im Trockendock verbringt. Von der Jungfernfahrt bis zu dem Moment, an dem der Riese aus Stahl endgültig seine Dienste quittiert, wird die Brücke also keine Minute unbeaufsichtigt bleiben.

Zum anderen ist sie auch absolutes Sperrgebiet für die Passagiere und den Großteil der Besatzung. Mindestens so ernst wie in der Luftfahrt nämlich wird in der Kreuzfahrtindustrie heute die Sicherheitsfrage thematisiert - eine gar nicht kleine, aber umso unsichtbarer agierende Truppe an geschultem Personal bewacht einerseits permanent den Kommandostand und löffelt andererseits unbemerkt von den Gästen die gleiche, eben erst über die Rolltreppe "eingeflogene" heiße Suppe.

Unauffällig immer da

1100 Menschen sind es insgesamt, die diese Begabung unauffälliger, aber perfekter Verrichtung mit ihnen teilen. Ist das Schiff voll besetzt, kommt so auf rund drei Passagiere ein Mitarbeiter, der sich je nach Tätigkeit mehr oder weniger unbemerkt um das Wohl der Gäste kümmert - ein Schnitt, der von keinem noch so gut geführten Fünf-Sterne-Hotel gehalten werden kann.

Wer sich jemals die Frage gestellt hat, wie diese Besatzung auf den untersten drei ebenfalls nicht zugänglichen Decks eigentlich untergebracht ist, dem sei Folgendes berichtet: Die Gemeinde besteht auch noch aus einer Stadt in der Stadt; mit einer vollkommen eigenständigen Infrastruktur, die im Wesentlichen alles umfasst wie die Parallelwelt darüber: also Restaurant, Wäscherei, Krankenstation und angemessen ausgestattete Kabinen.

Eine Kleinstadt so schwer wie 110 Jumbojets und so hoch wie ein 23-stöckiger Wolkenkratzer, in der aber die Energie einer Großstadt mit 50.000 Einwohnern verbraucht wird, müsste eigentlich zwangsläufig ökologisch unschöne Spuren hinterlassen. In Bezug auf die Energiebilanz mag das schon stimmen, allerdings sind schwimmende Feriendörfer dieser Größe dann auch so angelegt, dass hier eine eigene Kläranlage Platz findet; ebenso wie eine Entsalzunganlage, die annähernd zwei Millionen Liter Trinkwasser herstellt. Damit könnten alle Gäste der fünf Fußballfelder großen Bar- und Loungebereiche gleichzeitig und mehrmals über den Durst trinken. (Sascha Aumüller/Der Standard/Printausgabe/13./14.10.2007)