Im Grazer Bedeutungshain der bitterbösen "Heinz-Partei": Antiken-Dummys (Dominik Maringer, Sophie Hottinger) üben im Opernstudio Innigkeit.

Foto: Manninger

Graz – Wer sich als Leser in Gerhild Steinbuchs Antikenparaphrase "verschwinden oder Die Nacht wird abgeschafft" versenkt, erlebt etwas Unbehagliches: Er meint, vor dampfenden Poesietöpfen Hungers sterben zu müssen. Die gebürtige Mödlingerin Steinbuch (24), eine der großen Dramatikerinnenhoffnungen in den Geburtshelferstuben der Dramaturgien, sendet Signalzeichen aus den absoluten Dunkelheitszonen der Zivilkultur.

In "verschwinden" bindet sich eine Antigone der geschwisterlichen Wohngemeinschaft – sie lebt mit Bruder Oed (Eteokles? Polyneikes?) geheimnisvoll raunend zusammen – an ein Potentatenhaus, in dem ein gewisser Heinz (Kreon?) das Szepter schwingt und die Armen und Alten perfide aus der Stadtgemeinschaft ausschließt. Lara, so heißt das Mädchen, turtelt sehr unschuldig mit Haimon, Heinz' verweichlichtem Sohn.

In der Studiobühne der Grazer Oper, wohin der steirische herbst zur Steinbuch-Uraufführung lud, erfindet Regisseur Roger Vontobel allerlei beschwingten Bedeutungskleinkram zu dieser doch arg verschatteten Familientragödie hinzu. Seine Aufgabe gleicht der eines Perlenfischers, der mit dem Vorschlaghammer auf eine partout sich nicht öffnen wollende Muschel einprügelt. Was ist Vontobel nicht alles eingefallen für diese Koproduktion mit dem Schauspielhaus Graz. Auf einer mehrfach gewölbten Rampe (Bühne: Petra Winterer) sitzt ein gutes Dutzend Greisinnen und Greise in Spitalshemden und Herbstmänteln. Sie werden von der FPÖ-/BZÖ-Karikatur Heinz (Dominik Warta) recht bestimmt auf die Galerien hinaufgewiesen, wo sich ihren betagten Kehlen ab und an ein himmlisch klingender Viergesang entringt.

Das zähe Gezappel auf der Bühne unter ihnen mag verstehen, wer will. Eine auf Plakat gebannte "Heinz-Partei" wirbt für den Frohsinn der ewig Jungen und Feschen. Die Figuren knüpfen Beziehungsbande und üben frühmorgendlich mit viel pantomimischem Eifer das Zahnputzgurgeln. Heinz vögelt etwas lustlos sein ihm angetrautes Weib (eine "Dame", gespielt von Frederike von Stechow), während Oed (Claudius Körber), der scheinbar unbedankt als Krankenpfleger arbeitet, ein altes Großmütterlein erdrosselt und auch sonst einigen terroristischen Eifer an den Tag legt.

Die Heinz-Familie zerkracht daraufhin wie ein etwas mürbes Kaisersemmerl. Ob man das bedauern soll? Wollte Steinbuch bloß auf die Nöte unserer Senioren hinweisen? Man weiß es nicht. Man möchte es gar nicht so genau wissen. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.10.2007)