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Die Gläserne Manufaktur in Dresden

Foto: Archiv der Gläsernen Manufaktur

Mehr von Dresden gibt's in der Ansichtssache zu sehen.

Foto: Christoph Münich

Trabi, Trabi ...

Foto: Trabi-Safari-Dresden
Grafik: STANDARD
Es geht los, kaum dass man zögerlich aufs Gaspedal getreten ist. "Rechts sehen Sie den Zwinger", schnarrt die Stimme von Stadtführerin Sylvia Johne aus dem Walkie-Talkie auf dem Armaturenbrett, "das barocke Bauwerk entstand 1709 und danach ..." Doch was danach passierte, bleibt unklar. Es ist auch völlig egal, welcher Kurfürst später welche goldenen und elfenbeinfarbenen Kostbarkeiten angehäuft hat - jetzt heißt es erst einmal, keinen Unfall zu bauen.

Denn Dresdens lustigste Stadtbesichtigung ist zugleich eine, die dem Touristen allerhand abverlangt: sich selbst an das Steuer eines Trabis zu setzen und im Kult-Auto des Ostens durch die Stadt zu fahren, während einen die Stadtführerin aus dem Trabi davor per Funkgerät mit Informationen füttert. "Röttätätätärött", röhrt der 26 PS starke Winzling in einem fort, und die Vier-Gang-H-Schaltung neben dem Lenkrad (ähnlich wie früher bei der Ente) ist äußerst gewöhnungsbedürftig. Man rührt zunächst mehr wie in einer Teigschüssel um, als dass man schaltet.

Gut, dass es jetzt - röttätätätärött - in den Stadtteil Blasewitz geht. Dort im Villenviertel reiht sich ein prächtiger Gründerzeitbau an den nächsten, und es herrscht kaum Verkehr. Und spätestens beim "Blauen Wunder", Dresdens hellblauer "Golden-Gate-Bridge" aus dem Jahr 1893, hat man auch endlich verinnerlicht, dass beim Trabi der Blinker nicht automatisch wieder zurückgeht, sondern dass man jedes Mal nach dem Abbiegen nachhelfen muss.

Aber die Dresdner Autofahrer sind nachsichtig, wenn wieder einmal ein Trabi minutenlang blinkend geradeaus fährt, schließlich gehören die Trabanten schon zum Stadtbild. Und wenn einmal ein DDR-Gefährt am Straßenrand liegen bleibt, weiß der Kundige: Aha, da hat wieder einer den Benzinhahn nicht aufgedreht. Volltanken alleine reicht beim Trabi nämlich nicht.

Doch von derlei Unbill verschont, wird man auf der anderen Elbseite fast schon ein wenig übermütig und tritt kräftig aufs Gas. Hrrrrmmmtahmmhrmm, macht der Trabi jetzt, und die drei Elbschlösser rauschen vorbei, ebenso "Pfunds Molkerei", der laut Guinnessbuch schönste Milchladen der Welt mit seinen tausenden üppig handbemalten Fliesen.

Dann geht es auch schon wieder zurück an den Start, diesmal über die Augustusbrücke - Semperoper, Frauenkirche und all die Pracht so fest im Blick wie einst der Maler Bernardo Bellotto alias Canaletto. Mehr Barock geht dann auch nicht mehr. Muss auch nicht, denn Dresden hat ja auch noch die Neustadt, wo nach der Wende von Studenten und Hausbesetzern sogar eine "bunte Republik" ausgerufen wurde. Die gibt es längst nicht mehr, aber vielfärbig ist es dort im Studentenviertel immer noch.

Zwischen Alaun- und Görlitzerstraße liegt die Kunsthofpassage, wo in fünf Hinterhöfen Fabelwesen die Wände bevölkern, "Mrs Hippie" ihre quietschbunten Kleider verkauft und nach dem Bummeln im "El perro borracho" (besoffener Hund) die Tapas warten. Und im "Wohnzimmer", einer der 150 Kneipen im Viertel, lässt sich der Drink vortrefflich an einem Nierentischchen einnehmen oder auf einem der durchgesessenen DDR-Sofas.

Auch der berühmte Neustädter Erich Kästner erinnert sich in seiner Autobiografie "Als ich ein kleiner Junge war" an die Gässchen: "Geboren wurde ich in einer vierten Etage. In der 48 wohnten wir im dritten und in der 38 im zweiten Stock. Wir zogen tiefer, weil es mit uns bergauf ging. Wir näherten uns den Häusern mit Vorgärten, ohne sie zu erreichen." Heute, hundert Jahre später, machen es sich die Punks mit ihren Hunden gleich auf der Straße vor dem Kulturzentrum Scheune bequem und genießen den lauen Herbstabend. "Die lockere Atmosphäre macht den Reiz der Neustadt aus, hier wohnen fast i i nur junge Leute, und es gibt kein Barock, was viele Besucher zuerst gar nicht glauben können", sagt die Neustädterin Nadine Wojcik.

Ohne jeden Krümel Sandstein kommt man auch in der Lennéstraße aus. Dort, an Dresdens grüner Lunge "Großer Garten", dominieren Stahl und Glas. Europas größter Autobauer VW hat sich mit seiner Gläsernen Manufaktur ein kleines Denkmal gesetzt und zwar eines, in dem auch gearbeitet wird. In Dresden stellt VW den Oberklassewagen Phaeton her, und jedermann kann bei der Endmontage zusehen, in dieser Gegenwelt des röhrenden Trabi. Alles ist hell, transparent und blitzblank, schwere Karosserien schweben, von gewaltigen Kranarmen gehalten, durch die Luft. Drei Tage lang ist jeder Wagen auf der Montagestrecke, und wer ganz nah ran möchte, der muss vorher einiges Geld investieren: Künftige Besitzer eines Phaeton dürfen - in weiße Schutzmäntel gehüllt - schon einmal selbst Hand anlegen, natürlich peinlich genau instruiert von den Fachkräften.

Doch Glas als Publikumsmagnet hat sich nicht als Erster VW einfallen lassen. Gleich gegenüber, im Deutschen Hygiene-Museum, steht schon seit Jahrzehnten der gläserne Mensch, das berühmteste Exponat des Hauses. Vor mehr als achtzig Jahren experimentierte Präparator Franz Tschackert so lange mit Knochen, Organmodellen, Elektroleitungen, bunten Glühbirnen und Kunststoff, bis er 1930 dem begeisterten Publikum seinen Prototypen präsentieren konnte: eine durchsichtige Figur, in derem Inneren Adern sowie Blutbahnen verlaufen und bei der auf Knopfdruck die Organe leuchten. Damals ein Faszinosum, heute immer noch ein Blickfang - begleitet von durchaus erstauntem Gemurmel: "Wusste gar nicht, dass die Nieren so weit hinten sind." Auch sonst bietet das Museum so erstaunliche Einblicke in Krankheiten und den menschlichen Körper, dass es einen spontan nach Bewegung und Fettverbrennung drängt.

Praktischerweise liegt der Elberadweg vor der Haustür, gerade ist er zu Deutschlands beliebtestem Radweg gekürt worden. Mit weniger Zeit ist Pirna von Dresden aus schnell mit dem Regionalexpress oder mit einem Schiff der ältesten Raddampferflotte der Welt erreicht.

Das kleine mittelalterliche Städtchen gilt als "Tor zur Sächsischen Schweiz" und erlangte 2002 traurige Berühmtheit, als es im Jahrhunderthochwasser versank. Überall im mittlerweile wieder renovierten historischen Zentrum finden sich an den Hauswänden in aberwitziger Höhe kleine Plaketten mit der Wassermarke jener Tage.

Doch mittlerweile mäandert der Fluss ja wieder friedlich dahin. Müsste man die Radfahrer auf deutschen Radwegen an ihrer typischen Körperhaltung identifizieren - der Elberadler wäre schnell entdeckt: Er fährt langsam, sein Hals wird lang und länger, wodurch die Gefahr steigt, dass er einen der netten Biergärten am Ufer übersieht. Irgendwann springt er dann vom Rad ab, weil man mit so weit zurückgeworfenem Kopf gar nicht mehr treten kann.

Denn die bizarren Sandsteinformationen befinden sich hoch über der Elbe, die früher als uneinnehmbar geltende Festung Königstein thront 280 Meter über dem Fluss. Und selbst im Nationalpark muss man nicht auf ein originelles Verkehrsmittel verzichten: Die bizarre Felsenwelt des engen Kirnitzschtales ist der weltweit einzige Nationalpark, durch den eine Straßenbahn fährt. (Birgit Baumann/Der Standard/RONDO/12.10.2007)