Industriekletterer wagen sich an Stellen vor, an die kein Kran herankommt.

Foto: Marischka
Im Jänner 2007 tobte der Orkan "Kyrill" über Österreich und richtete schwere Schäden an. Im großstädtischen Bereich waren viele Hochhäuser betroffen. Wie etwa der Andromeda-Tower in Kaisermühlen in Wien, wo der Sturm einige Fassadenziegel lockerte. Es war Gefahr im Verzug.

Die Industriekletterer der Firma Marischka sollten das Problem lösen. "Wenn man dort einen Kran aufbaut, dauert das relativ lange, und er muss fünfmal umgestellt werden, damit man alle Teile des Hochhauses erreichen kann. Wir haben uns von oben abgeseilt, die Fassadenziegel wieder zurechtgerückt und befestigt. Nach einem Tag Arbeit waren wir fertig", erzählt Gottfried Marischka, der Inhaber der gleichnamigen Industriekletter- und Höhenarbeitsfirma.

In Frankreich oder Deutschland ist diese Dienstleistung seit vielen Jahren gängig und etabliert. In Österreich war die Firma Marischka im Jahr 2001 das erste Unternehmen auf diesem Gebiet. Gebäude werden in den letzten Jahren immer höher und in modernster Architektur gebaut, wodurch sich Montagen, Reinigungsarbeiten oder Sanierungen mitunter recht kompliziert gestalten. Mittlerweile gibt es einige Firmen, die mit seiltechnischem Know-how diese Fassadenarbeiten in Schwindel erregenden Höhen durchführen können. Das schaut dann natürlich sehr spektakulär aus, wenn die Fenster des Millennium-Towers, des höchsten Gebäudes Österreichs, gereinigt werden - es gibt aber weit komplexere Tätigkeiten.

Schwindelfrei am Seil

Mittels spezieller Abseiltechniken werden Betonbohrungen oder Stahlbaumontagen in Reaktoren, Verbrennungsanlagen, Hochöfen oder Silos vorgenommen. Da kann es schon vorkommen, dass die Industriekletterer mit Atemschutz- oder Sauerstoffmasken bei Temperaturen von 70 bis 80 Grad Celsius arbeiten müssen.

Firmenchef Marischka hat die ganze Bandbreite an Handwerkern in seinem Team: Schweißer, Schlosser, Elektriker, Maurer oder Maler werden bei ihm klettertechnisch ausgebildet und sind dann, je nach Aufgabengebiet, für den Einsatz in der Höhe oder Tiefe gerüstet. Dass sie daneben absolute Schwindelfreiheit haben müssen, versteht sich von selbst.

Einen anderen Zugang zu diesem Beruf fand der Industriekletterer Gerhard Hubmann. Inspiriert durch die Tätigkeit eines befreundeten Bergführers bei der Reichstagsverhüllung in Berlin, gründete er vor einigen Jahren mit dem Elektriker, Berg- und Flugretter Ewald Weitzer das Unternehmen IQ-Höhenarbeit mit Sitz in Graz. Ausgebildet und zertifiziert wurden die beiden in Berlin durch Fisat, den Dachverband der deutschen Industriekletterer.

Auch in Österreich soll über kurz oder lang so ein Verband geschaffen werden. Nach den häufigsten Aufträgen befragt, die von den Gebäudeverwaltungen an ihn herangetragen werden, zählt Hubmann, der unter anderem als Bergführer, Flugretter und Maschinenschlosser ausgebildet ist, die Montage von Antennenanlagen und Taubenabwehrnetzen oder die Errichtung von Blitzschutzanlagen an denkmalgeschützten Gebäuden, wie zum Beispiel Burgen, auf.

Die Baumpflege

"Ein wichtiger Punkt ist auch die Baumpflege im innerstädtischen Bereich", erläutert Gerhard Hubmann. "Wenn ein uralter Baum in einem Innenhof oder Schanigarten zurechtgeschnitten werden soll, dann seilen wir uns mit spezieller Technik in die Baumkrone und schneiden die morschen Äste weg."

Die Aufgabengebiete der Industriekletterer sind aber noch weiter gestreut. Fotodokumentationen für Gutachten von Schäden an unzugänglichen Stellen sind ein wichtiger Punkt, genauso wie die Sicherung von Technikern und Handwerkern bei ihrer Tätigkeit. Dafür wird dann eine so genannte PSA, die persönliche Schutzausrüstung, zur Verfügung gestellt.

Gottfried Marischka erklärt die Rahmenbedingungen des Industriekletterberufs so: "Alle Arbeiten, die man sich am Boden vorstellen kann, machen wir am Seil hängend. Und: Bei kleineren Tätigkeiten zahlt es sich nicht aus, dass gerüstet wird. Bis die Gerüste aufgebaut sind, sind wir schon wieder fertig." Und das spart nicht nur Zeit, sondern auch Kosten. (Martin Grabner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.10.2007)