Simonow: „Viele Journalisten-Morde bleiben ungeklärt“

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Wien – Der Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja vor einem Jahr hat in Russland vor allem eines bewirkt: „Es wird in den russischen Medien seitdem viel weniger über die Situation in Tschetschenien berichtet“, sagt Alexej Simonow, Präsident der Stiftung zur Verteidigung von Glasnost (Offenheit). Mehr nicht. Es gehe die Angst um, „auch wenn das wahrscheinlich viele Journalisten nicht so sagen würden“. Aber: „Jetzt wissen sie, wie riskant das ist“, meinte er zum STANDARD.

In Tschetschenien, glaubt der Aktivist bis heute, liegen auch die Gründe für den Mord an Politkowskaja. Sie hatte in der Zeitung Nowaja Gaseta immer wieder mit Enthüllungsgeschichten über den Krieg in der Kaukasus-Republik für Aufsehen gesorgt, bis sie am 7. Oktober 2006 vor ihrem Haus erschossen worden war.

Auf der Liste der getöteten Journalisten, die Simonows Glasnost-Stiftung führt, ist Politkowskja die 211te, seit 1993. Aber im Gegensatz zu ihrem Tod würden viele Journalisten-Morde in Russland gar nicht als solche deklariert, sondern meist als Unfälle abgetan, führte Simonow auch am Montag bei einer Veranstaltung des Wiener Kreisky-Forums zu Ehren Politkowskajas aus. Ob erschossen, erschlagen, erstochen oder bei einem rätselhaften „Unglück“ getötet – die Täter bleiben meist unbekannt. Wie auch die Gründe für den Mord: „Die meisten Journalisten werden ja für Dinge zum Schweigen gebracht, die sie noch nicht veröffentlicht haben.“

Doch nicht nur die Journalisten selbst, sondern auch Organisationen wie Simonows Glasnost-Stiftung, die sich um deren Schutz bemühen, kommen zunehmend in Bedrängnis. Die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland, vor allem großer US-Institutionen, für Menschenrechtsorganisationen lasse nach. „Sie wollen, dass wir ‚konstruktiver‘ sind – was heißt: offiziell akzeptierte Resultate zu erzielen, die sich aus der Zusammenarbeit mit Regierungsstellen ergeben“, sagt Simonow.

Innovativer und kooperativer lauten demnach die Vorgaben. Es fehlen greifbare Ergebnisse. Das Budget der Glasnost-Stiftung ist laut Simonow von ungefähr 300.000 bis 500.000 US-Dollar pro Jahr auf rund 80.000 gesunken. Seine Mitarbeiter seien seit zwei Monaten nicht mehr bezahlt worden, seit Anfang des Jahres verhandle er mit zwei großen US-Stiftungen um insgesamt 100.000 Dollar. Die ausländischen Geldgeber „wären auch absolut bereit, Geld zu verschwenden, wie sie es für die Orange Revolution in der Ukraine getan haben. Aber so etwas ist in Russland nicht möglich.“ (Julia Raabe/DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2007)