"Gegen Deutschland haben wir für Happel gespielt. Seine Kappe ist auf der Trainerbank gelegen, daneben eine Rose. Wir haben so getan, als wäre er noch da."

Foto: Daniel Shaked

Inhalt der neuen Ausgabe (Nr. 30, Oktober/November 2007)

Schwerpunkt: ERNST HAPPEL

Der große Zauberer
Lebemann, Visionär und Narziss Ernst Happel
Didi Constantini im Interview
Der Ziehsohn über die Lehrzeit mit dem »Wödmasta«
Alfred Körner
»Er war leichtsinnig. Aber Weltklasse«
Happel in Hamburg
Langer Schatten und ein Tanz auf der Laufbahn
Hollywood auf dem Tableau
Ein posthumes Gespräch mit Altmeister Aschyl

Weiters im neuen ballesterer fm:

EM-Konjunktur
Was bleibt Österreich vom Euro-Kuchen?
In den roten Zahlen
Der GAK zwischen Totenbett und Wiederbelebung
Der Sarde aus Mailand
Cagliari-Legende Gigi Riva
French Connection
Der Standard Athletic Club, Frankreichs erster Meister
Wo der Rasen noch brennt
Der Landesligist SK Altheim
Unterm Hakenkreuz
Die Flucht von Ex-Austria-Sekretär Lopper
"Wir sind die WEGA... und wer seid ihr?"
Die lustigen T-Shirts des Einsatzkommandos
Groundhopping
Von Tirana über Marseille nach Alicante

Foto: Bernhard Stadlbauer
ballestererfm: Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit Ernst Happel erinnern?

Didi Constantini: Ja, es war bei seiner Präsentation als Teamchef. Ich bin zehn Minuten zu spät zur Pressekonferenz gekommen, weil ich zum falschen Gebäude gefahren bin. Unpünktlichkeit hat er normalerweise überhaupt nicht toleriert. Er war aber sehr freundlich und hat mich gleich zu sich herausgewunken. Nach der Pressekonferenz hat er gemeint, dass wir uns am nächsten Tag treffen sollen. Das haben wir dann um 8.00 Uhr früh beim ÖFB getan. Nach einer Stunde ist der Rauchmelder losgegangen. Damals hab ich auch noch geraucht. Es war ein super Gespräch, der erste Satz von ihm war, dass wir per du sein müssen, weil wir ja zusammenarbeiten werden. Ich hab noch fünfmal »Sie« gesagt, dann ist es gegangen. Die Arbeit mit ihm habe ich immer genossen, auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren. Meistens hat aber ohnehin er recht gehabt.

Sie haben erwähnt, dass Sie zu dieser Zeit noch geraucht haben – auch seine Belga-Zigaretten?

Nein, die nicht. Das war das stärkste Kraut, das es damals gegeben hat. Immer wieder hat er welche aus Belgien mitgenommen und einmal haben sie ihn sogar gestoppt, weil sie geglaubt haben, dass er Zigaretten schmuggelt. Die Belga hat er sich nicht nehmen lassen, sie waren Teil seines Lebens.

Worauf waren Happels Arbeit und Philosophie aufgebaut?

Sein Credo waren Disziplin und Konsequenz, das hat man in jeder seiner Entscheidungen gesehen. Körperlich waren seine Teams immer topfit. Vor allem die Tiroler: Wazinger, Hörtnagl, Streiter, Baur. Ein gutes Beispiel für Happels Verständnis von Fußball gab es im Match gegen Israel. Der Artner schreit: »Didi, wir stehn unter Druck, sag dem Trainer, dass er an Defensiven einihaun soll.« Der Happel hat nur gemeint: »Wos wü der Zauberer? Der kennt si net aus. Wir brauchn vorne an, der den Gegner beschäftigt.«

Wie liefen seine Trainings ab?

Wir haben beim Team normales Training gemacht. Am Anfang ein bisschen mehr, deshalb war die Mannschaft in Ungarn auch komplett hinüber. Er hat sehr spielorientiert trainiert, so gut wie alles mit dem Ball. Er war nicht immer sofort erfolgreich damit: In der Anfangsphase in Innsbruck wären sie fast um einen Punkt in das Mittlere Play-off abgestiegen Happel hat zu Beginn der Meisterschaft 20 Spieler geholt, 16 sind nachher wieder gegangen. Er hat eine Anlaufzeit gebraucht, und dann hat er die Spieler genau dort gehabt, wo er sie haben wollte. Das Resultat ist bekannt: Happel ist mit Innsbruck innerhalb von drei Jahren dreimal Meister und zweimal Cupsieger geworden.

Wie war ihr Verhältnis zum »Wödmasta«?

Mir wurde vorgeworfen, dass ich es besser dargestellt hätte, als es wirklich war. Das ist ein Blödsinn. Die, die dabei waren, wissen, wie es war: eine sehr gute Beziehung. Das schönste Beispiel war ein Training im Herbst 1992, kurz vor seinem Ableben. Nach 20 Minuten hat er einen Pfiff losgelassen. Er ist in die Kabine gegangen, um etwas trinken, sonst wäre er erfroren. Ich habe das Training übernommen. Der Happel wär nicht gegangen, wenn er nicht gewusst hätte, dass alles passt. In einem Interview kurz vor seinem Tod hat er mich gelobt. Ich hab ihm gesagt, dass ich das nicht brauche. Ich bin ein Mensch, der nie einem anderen in den Arsch gekrochen ist. Der Happel hat das zu schätzen gewusst.

War Happel wirklich der Grantler, als der er immer dargestellt wurde?

Happel konnte sehr viel lachen. Er war sehr witzig. An einem Abend im City Club in Wien wollte er ein Glas Wasser haben. Es war warm, er hat sich beschwert, und die Kellnerin war daraufhin ziemlich fertig. Ich hab ihr gesagt, dass sie ein paar Eiswürfel reintun soll. In der Früh komm ich dann als Erster zum Frühstück. Alle Getränke waren eiskalt, weil er sich am Vortag aufgeregt hat. Dann kommt Happel und bestellt einen Tee. Ich hab einen Schrei losgelassen. Er sagt: »Was lachst’n?« Ich: »Die Frau hat die ganze Nacht nicht geschlafen, greif einmal an, wie kalt alles ist, und was machst du? Du bestellst dir einen Tee!«

Er hatte also zweifellos Humor…

Ja. Ein anderes Mal waren wir in Stockholm bei der EM, das Match England gegen Frankreich anschauen. Es waren unheimlich viele Leute unterwegs. Ich will ein Taxi besorgen, und er sagt: »Da wird´s wohl auch eine U-Bahn geben.« Also sind wir mit der U-Bahn zum Match gefahren. Beim Stadion fragen wir die Ordner, wo der Eingang ist. Sie schicken uns von einer Seite auf die andere und wieder retour. Auf einmal kommt ein berittener Polizist. Happel: »Na, wer ist denn er? Ein Mistelbacher?« Nach dem Match wieder viele Leute. Und ich steh da und denk mir, wie bring ich den Happel jetzt in die U-Bahn rein. Ich schau links, rechts, auf einmal ist er weg. Als ich einsteig, sitzt er schon auf einem Platz und sagt: »Schau her, ich hab für dich reserviert.«

Wie würde Happel auf die derzeitige Kritik an der Nationalmannschaft reagieren?

Vor uns war der Alfred Riedl Teamchef. Der hat zehn oder zwölf Spiele gehabt mit ähnlichen Ergebnissen wie wir. Aber er war der Dodl, und beim Happel haben sich alle in die Hosen gemacht. Es ist halt so: Wenn du nicht die richtigen Spieler hast, kannst du nichts machen. Jeder Trainer ist abhängig vom Material, das er zur Verfügung hat. Meiner Meinung nach braucht eine Mannschaft drei bis vier routinierte, alte Spieler. Das sieht man jetzt beim Team. Wenn du im Kollektiv versagst, kann keiner was ausrichten. Die Leute fordern jetzt, dass der Pepi lauter wird. Aber da stellt sich die Frage: Muss ich einen Nationalspieler motivieren? Wir haben eine Playstation-Generation. Früher haben die Spieler probiert, dass sie die Kellnerin herumkriegen, jetzt spielen sie lieber Playstation. Das ist maximal für den Cosmos gut, aber nicht für den Fußball.

Happel hätte also auch nichts machen können?

Das kann man nicht sagen. Er hätte den Kader vielleicht anders zusammengestellt. Jeder Trainer hat eine andere Meinung. Beim einen spielen mehr Alte, beim anderen mehr Junge. Tatsache ist aber, dass Kritisieren leichter ist als das tatsächliche Arbeiten.

Vielleicht hätte er ihnen die Playstation weggenommen?

Das hätte auch nix gebracht. Respekt vor den Spielern ist sehr wichtig. Ohne Respekt kommt nichts zurück.

Happel hat einmal gesagt, dass er zu den Spielern auf Distanz bleiben müsse, da sonst der Erfolg in Gefahr wäre. Wie sehen Sie das?

Tatsache ist, dass sich im Sport das Kollektiv immer verändert. Bist du erfolgreich, werden alle Spieler interessanter. Das kann man an den Meistermannschaften beobachten. Etwa beim GAK: Gleich nach dem Titel haben sie die folgenden Spiele verloren. Nur mehr Autogrammstunden – sonst nichts. Und du erklärst ihnen als Trainer dann diese Fehler. Es gibt nur wenige, die am Boden bleiben und das checken. In diesem Zusammenhang bin ich sehr enttäuscht von Thomas Prager. Am Anfang hat er in der Nationalmannschaft perfekte Leistungen geboten. Aber jetzt, wo er in Holland nicht spielt und ihm der Teamchef mit der Einberufung hilft, geht er nach der Auswechslung angefressen in die Kabine. Obwohl er vor dem Teamchef knien müsste.

Was würde Happel mit solchen Spielern machen?

Einen Spitz in den Hintern (lacht). Happel hat ja auch einen Hansi Müller auf der Bank sitzen lassen.

Hat er den Erfolg angezogen?

Ja, das kann man so sagen. Weil er seine Linie durchgezogen hat. Ich habe einmal mit dem Hasil Franz geredet. Bei Feyenoord ist ihm ein Verteidiger im Training drübergefahren, um zu schauen, was er so aushält. Der hat ihn richtig niedergemetzelt. Hasil hat sich beschwert, worauf Happel zu ihm gesagt hat: »Wenn du das nicht aushältst, kannst gehen.« Man muss als Trainer eben auch disziplinieren können. Das größte Kompliment für einen Trainer ist aber, wenn ein Spieler mit privaten Problemen zu dir kommt. Happel hatte hier sehr viel Verständnis. Aber er hat genau gewusst, wie er was zu entscheiden hat.

Inwiefern wäre der Trainertyp Happel auf die Gegenwart übertragbar, etwa in Bezug auf sein Verhältnis zu den Medien?

Das würde immer noch gehen. Wenn ihm ein 20-Jähriger eine blöde Frage stellt, würde er wahrscheinlich antworten: »Burli, hau di über die Häuser!« Das ist das Gleiche, wie wenn ein 15-jähriger Fan mir etwas von Vereinstradition erklären will. Das ist für mich auch nicht nachvollziehbar. Bei einer Pressekonferenz kamen die Journalisten einmal drei Minuten zu spät. Happel hat gesagt: »Das nächste Mal sperr ma zu.« Sein Motto war: »A Stund kannst zu spät kommen, aber keine fünf Minuten.«

Happels größter Traum war, nach Italien zu gehen. Einmal hätte es mit SSC Napoli fast geklappt. Wie würde er auf die heutigen Umstände im italienischen Fußball reagieren?

Er würde sich nicht anpassen, aber die Umwelt an ihn. Das war schon immer so. Er hat einmal ein Angebot vom Irak mit einer Gage von 52 Millionen Schilling gehabt, für zwei Jahre. Happel war zwei Tage dort, hat sich alles angeschaut und dann gesagt: »Das interessiert mich nicht.« Geld ist nicht immer alles, wenn du in so einer Position warst wie er.

Wie haben Sie vom Tod Ihres Lehrmeisters erfahren?

Ich bin um 6.00 Uhr aufgewacht und hab zu meiner Frau gesagt: »Ich glaub, der Happel stirbt.« Er hatte damals in vier Tagen fünf Kilo abgenommen. Ich fahr also von Wien nach Tirol. Kaum bin ich im Spital angekommen, hat er zur Belga gegriffen. Kurz darauf war ich den SV Salzburg beobachten. Ich gehe aus der Parkgarage raus und ruf in der Klinik an. Die sagen, dass es jetzt schlecht geht. Als ich zehn Minuten später wieder angerufen hab, war er bereits tot. Die Meisterschaft war abgepfiffen, und er ist gestorben. Zurück beim Team hat der ÖFB gefragt, ob wir in die Kirche gehen wollen oder trainieren. Ich hab gesagt: »Wir trainieren.« Wenn wir in die Kirche marschiert wären, wäre der Happel am Ende wieder aufgewacht und hätte sich aufgeregt, warum wir nicht am Platz stehen. Diese Entscheidung wurde mir nachher oft vorgehalten.

Beschreiben Sie Ihre Stimmung beim folgenden Match gegen Deutschland.

Ich hab ÖFB-Chef Mauhart gesagt, er soll den Prohaska mitnehmen, was er aber nicht wollte. Dass wir dann mit einem 0:0 heimgekommen sind, war schon überraschend. Die Stimmung war eine ganz eigene, auch bei den Deutschen. Wir haben für Happel gespielt. Es war sein Abschiedsspiel. Seine Kappe ist auf der Trainerbank gelegen, daneben eine Rose. Wir haben so getan, als wäre er noch da. Eine sehr nette Geste. Leider hat sie ihn nicht aufgeweckt.

Waren sie enttäuscht, als Sie Happels Erbe nicht antreten durften und Herbert Prohaska Teamchef wurde?

Klar war ich enttäuscht. Der Präsident hat den Herbert forciert, den ich auch sehr schätze. Er hatte halt auch ein Funkberater-Kapperl wie der Happel – und kurze Haare. Dagegen bin ich gestanden mit meiner Mattn. Also war schon im Vorhinein klar, wer’s wird (lacht).