Erich Hackl ist Spanien-Kenner und Meister des Dokumentarischen. Er untersucht das komplexe Verhältnis zwischen Spanien und Katalonien, dem Gastland der kommenden Frankfurter Buchmesse. (Zeichnung: Ander Pecher)

Zeichnung: Ander Pecher

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Ein Wahrzeichen Barcelonas: La Sagrada Familia (hier eingerüstet).

Foto: APA/EPA/Toni Albir
Auf die Frage, was man braucht, um ein Verleger zu werden, hat Constantino Bértolo unlängst geantwortet: "Katalane sein und viel Geld haben." Bértolo ist ein Verleger, allerdings in Madrid und ohne viel Geld, er veröffentlicht in seiner Reihe Caballo de Troya Prosa und Gedichte junger Autoren, die sich mit der Realität des Prekariats auseinandersetzen, der Mileuristas, die mit tausend oder weniger Euro im Monat auskommen müssen.

Tatsächlich sitzen die finanzkräftigsten Verlage in Barcelona, und dies mag - abgesehen von den Anstrengungen der katalanischen Regierung, die Region nicht nur als Ort von Besäufnissen deutscher und englischer Billigtouristen in Erinnerung zu rufen - ein Grund dafür sein, dass sich erstmals ein Land, das kein Staat ist, bei der Frankfurter Buchmesse vorstellen darf. In den Wochen vor Messeeröffnung gab es erbitterte Diskussionen in Katalonien selbst, nachdem bekannt geworden war, dass das mit Präsentation und Auswahl beauftragte Instituto Ramon Llull nur Schriftsteller eingeladen hatte, die auf Katalanisch schreiben.

Trubel der Eitelkeit

Wer zwar Katalane ist, sein Werk aber auf Kastilisch, Spanisch also, verfasst, darf teilnehmen, allerdings auf eigene oder auf Kosten Dritter. Kein Juan Marsé also, kein Eduardo Mendoza, keine Nuria Amat, kein Enrique Vila-Matas. Valentí Puig, der zwar auf Katalanisch schreibt, aber den katalanischen Nationalismus verabscheut, wurde ebenfalls übergangen, und Sergi Pàmies, neben Quim Monzó der meistgelesene unter den jüngeren Erzählern, gab lieber gleich bekannt, dass er im Trubel der Eitelkeiten auf seine Teilnahme verzichten werde.

Die Frankfurter Buchmesse hat mit Literatur ebenso viel zu tun wie der Dow-Jones-Index mit einem mazedonischen Geldwechsler, die paar Dutzend Übersetzungen, die aus Anlass des Messeschwerpunkts auf Deutsch erschienen sind, werden schneller vergessen sein als wahrgenommen, aber trotzdem wünsche ich mir, dass die auf Katalanisch geschriebene Literatur keine Sache von Minderheitenforschern bleibt. Ihr fehlt nichts, was Literaturen größerer Sprachräume auszeichnet, und sie hat diesen voraus, dass sie den Blick nach außen richtet, ohne die gesellschaftlichen Umstände, unter denen sie entsteht, zu missachten. Sie hat eine 800-jährige Tradition und ist doch frisch wie etwas, das lange Zeit nur mündlich weitergegeben wurde. Besonders sympathisch ist sie mir wegen der unglaublichen Dichte an großartigen Lyrikern. Wer sich davon überzeugen will, soll sich um diese längst vergriffene Anthologie bemühen: Ein Spiel von Spiegeln. Katalanische Lyrik des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Tilbert Stegmann. Reclam, Leipzig 1987.

Und wer auf Neuerscheinungen aus ist, der oder dem empfehle ich drei Bücher aus ebenso vielen tapferen Kleinverlagen, die drucken, was sie für lesenswert, nicht für verkäuflich halten: aus der Edition Nautilus, Hamburg, den Band Rebellisches Barcelona eines fünfköpfigen Herausgeberkollektivs, unerlässlich für eine Besichtigung dessen, was in dieser Stadt möglich gewesen wäre und nicht geworden ist, aber als Drohung oder Verheißung weiterlebt - des gescheiterten Umsturzes, der verlorenen Revolution. Der Untertitel der Originalausgabe, Guía de una ciudad silenciada, Führer durch eine zum Schweigen gebrachte Stadt, verweist auf die Gewalt, die nötig war, das von Touristen und Städteplanern gerühmte "Modell Barcelona" zu verwirklichen (Abriss ganzer Viertel, Aussiedlung der Bewohner in Wohngefängnisse an der Peripherie; das zeigt José Luis Guerin in seinem eindrucksvollen Film En construcción, der auch in Österreich zu sehen war).

Die zweite Neuerscheinung, Miquel Martí i Pols Gedichtzyklen Der Bereich aller Bereiche und Nach allem, übersetzt - und wohl auch gesetzt, umgebrochen und gedruckt - vom Lyrikerehepaar Juana und Tobias Burghardt in ihrer Edition Delta, Stuttgart: Martí i Pol ist auch nach seinem Tod vor vier Jahren der populärste Dichter Kataloniens geblieben, zu dem er spätestens in den Siebziger- jahren geworden war, als die wichtigsten Liedermacher der Nova Canço seine Gedichte vertont und gesungen hatten. Schlichte, zuversichtliche, menschenfreundliche Verse. Die beiden hier vorgestellten Zyklen aus dem Jahr 1980 sind verhaltener als seine früheren Gedichte und verraten doch Martís Lebensfreude, unstillbar trotz der multiplen Sklerose, an der er schließlich gestorben ist.

Die dritte Empfehlung, Sören Brinkmanns kompakter Überblick über Katalonien und den Spanischen Bürgerkrieg (Edition Tranvía, Berlin). Lesenswert nicht nur als nüchterner historischer Abriss, sondern weil er die Hintergründe und Schachzüge der verpatzten spanischen Erinnerungspolitik aufzeigt. Man muss nicht in allen Punkten seiner Darstellung zustimmen - Brinkmann neigt bisweilen zu herablassenden Adjektiven -, aber er ist hinlänglich genau im Trennen von Darstellung und Wertung. (Erich Hackl /ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.10.2007)