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Echte Politiker oder echte Masken? Mitglieder verschiedener NGOs sprechen das Thema bei einer Demonstration vor dem Brüsseler EU-Gebäude (Mai 2007) direkt an.

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Kathrin Röggla untersucht die Mechanismen von Wirtschaft und Sprache - und hier der Non-Governmental Organizations. (Zeichnung: Ander Pecher)

Zeichnung: Ander Pecher
They live! wissen wir seit Carpenters Film aus den 80ern. Und ich füge hinzu: Auch in Wien. Ja, sie sind unter uns. Um die Mittagszeit kann man wochentags an den unterschiedlichsten Orten der Stadt, im Palmenhaus, im Museumsquartier, manchmal auch im Café Korb eine Spezies auftauchen sehen, die aus irgendwelchen Headquarters und Bodenstationen zu kommen scheint. Ihre Sprache, zumindest in der deutschen Version, ist durchzogen von Anglizismen, die heute einfach dazugehören – es ist diese Mischung aus Organisationsenglisch, durchzogen von juristischen und militärischen Fachtermini, Diplomatenvokabular, das immer wieder unterspült wird von lässigeren Redewendungen. Da schwimmt das "Jesus!" neben dem "whatever", neben dem "up to a point" in der Sprachsuppe, die freundlich zu mir herübergereicht wird.

Ich spreche von den "Internationals", den zahlreichen Mitarbeitern von Organisationen wie der OSZE, deren ständiger Rat jeden Donnerstag in Wien tagt. Aber auch von den Monitoring-Organisations, den Menschenrechtsorganisationen und Institutionen, die Boarder- und Migrations-Management oder Antikorruptionsarbeit zusammen mit Ländern wie der Ukraine, Kasachstan, Georgien oder Albanien entwickeln.

Zwischengebiet

Es ist die Welt der Meetings und Press Releases, der Konferenzen, der Richtlinien und Statements, der Lobbyarbeit. Kurz: das Zwischengebiet zwischen Oikos und Polis, in denen die Umsetzung politischer Vorgaben schnell wirtschaftliche Effekte erzeugt, denn es sind und werden auch immer politische Rahmenbedingungen sein, die Märkte mitbestimmen, auch wenn das von den Predigern des radikal freien Marktes gerne bestritten wird.

Die Verstrickung von Politik und Ökonomie zeigt sich aber auch umgekehrt in der Akquise der Projekte. Zumindest kleinere Organisationen sind in ihrer Existenz abhängig von den Geldern der EU oder der UNO und müssen nicht nur den berühmten EU-Ziegel bewältigen, sondern auch ein wirtschaftliches Kalkül aufbringen, was sich auf die Themenwahl niederschlägt. Da gilt es immer abzuwägen, erzählt man mir aus einer kleineren Wiener Niederlassung, die sich im Rennen um die EU-Ausschreibungen befindet, beispielsweise ob jetzt der Maghreb stärker zu thematisieren ist oder die EU-Ostgrenzen, nur weil beim ersteren spektakuläre Bilder von afrikanischen Flüchtlingen in Booten existieren, und das andere versteckter abläuft.

Dieses Ineinander von politischem und wirtschaftlichem Kalkül, humanitärem oder demokratischem Anspruch ist von außen gesehen schwer zu beurteilen. Das Kind mit dem Bade ausschütten ist das, was nur zu schnell in diesem Bereich geschieht und ich möchte und kann mich dem nicht anschließen. Mein Interesse gilt auch eher den allgemeinen Techniken und Verfahren in diesem Feld, die trotz großer Bereitschaft zur Selbst- und Organisationskritik stolz vorgeführt werden von den Ausübenden.

Sie erscheinen mir Teil einer Technologie der Macht, die sich zu verbergen sucht, sodass deren Arbeit ständig irgendwo zwischen Herrschaftstechnik, diplomatischem Dialog und Idealismus, je nach Gewichtung, zu stehen kommt und mir immer wieder in einem Vokabular entgegentritt, das ich aus den Gesprächen mit Unternehmensberatern kenne: Monitoring, Implementierung, Outsourcing.

Und manchmal entstehen auch diese Produkte, die sich Studien nennen und rein auf Anwendung aus sind. So von außen gesehen. Von außen gesehen erscheinen sie mir äußerst kritikbereit, die "Internationals", die das Wort "Internationals" meist hassen, in schwankendem Verhältnis zu ihrer Arbeit, mit einem Fuß in Tiflis, Baku oder Bishkek stehend, mit dem anderen im Headquarter oder ihrem Wien-Büro und in Brüssel, sozusagen in der permanenten Gewichtsverlagerung.

Ja, während sie mir jetzt beim Mittagessen gegenübersitzen, zeigen sie sie gerne her, die Widersprüche und Schwierigkeiten, die Irrläufer ihrer Missionen. Und ebenso gerne sammle ich sie, denn was gibt es Schöneres für eine Schriftstellerin als Verknotungen, Rückkoppelungen und Verwicklungen, Geschichten von Ineffizienzen und Schildbürgernummern? Sie sind schließlich mein täglich Brot.

Deren Zusammenhang kann man, zumindest in Bezug auf die Entwicklungshilfe und eingefärbt in die jeweilige politische Interpretation, in zahlreichen Publikationen wie der von der Katastrophenkapitalismus-Analystin Naomi Klein (Die Schock-Strategie), oder dem Weltbankökonomen William Easterly (White Men's Burden), dem Big-Push-Theoretiker und Ex-Chicago-Boy Jeffrey D. Sachs (Das Ende der Armut), und dem humanitären Pragmatiker und Arzt Richard Munz (Im Zentrum der Katastrophe) nachlesen.

Im Augenblick befinden sich vor mir nur einzelne Gesichter in Kaffeehausathmosfäre, die mir Schlaglichter gewähren, einzelne Zuspitzungen und Kritik anhand spezifischer Beispiele, allenfalls anekdotische Zusammenfassungen, wie es ein EU-Vertreter in Bosnien lachend machte: Dass der Unterschied im Demokratieexport zwischen der EU und den USA der sei, dass die Amerikaner Ergebnisse erzielen, aber über einen undemokratischen Weg gehen, während die EU keine Ergebnisse erzielt, aber einen schönen Prozess hat. Dem bleibt nur hinzuzufügen, dass er der einzige Fahrradfahrer in Sarajewo ist.

Mit ihm sind wir dort angekommen, wo die Welt deutlich in die der Internationals und Locals zerfällt, ein Zustand, der in Wien sich hauptsächlich auf dem Papier, in Referaten oder in den zahlreichen Berichten abzeichnet, die aus den Einsatzgebieten eintreffen, freitagnachmittags oder nachts. Ja, blicken wir einen Moment lang dorthin, wo die Organisationen und humanitären Arbeiter der NGOs hereinbrechen, in die Entsendungsgebiete, die sich in den verschiedensten Stadien befinden können: Vom humanitären Einsatz über die Phase der democratization bis zur partnerschaftlichen Unterstützung junger, postsowjetischer Demokratien, "damit die EU einen Fuß in der Tür hat".

Jenseits der Sicht auf die großen politischen Realitäten, beispielsweise der Absurdität einer Entwicklungshilfe für Afrika, die durch die EU-Agrarpolitik ausgehebelt wird (wie das sogar der deutsche Bundespräsident in seiner eben gehaltenen "Berliner Rede" beklagte), erscheinen in den Erzählungen meiner Gegenüber Orte, die von einer invasiven Ökonomie heimgesucht werden. Von der Explosion der Mietpreise von 50 Dollar auf 5000 Dollar (wie in den Tsunamigebieten Indonesiens 2005) über die Verstopfung der Infrastruktur (Straßen, Wasser, Elektrizität) durch die Internationalen vor Ort (von NGOs über UNO-Truppen, bis zu politischen Organisationen).

NGO-Klitschen

Es sind Orte, in denen neben dem externen auch ein interner braindrain einsetzt, und Professoren Taxifahrer werden, weil sich durch die Anwesenheit von Internationals und NGOs ganz andere Gelder verdienen lassen als durch die Uniarbeit, oder die übriggebliebenen Ärzte in die speziellen Aidskliniken der Stiftung von Melinda und Bill Gates abwandern und somit keiner mehr in den allgemeinen Krankenhäusern arbeitet. Oder die zahlreichen NGO-Klitschen, die "dort unten" aufmachen, weil es eben gerade Geld dafür gibt und man weiß, was der Mann im Kashmere-Pullover in New York oder Wien haben will, ob es multiethnische Radiostationen im Kosovo sind oder Umweltorganisationen in Georgien. Und umgekehrt ist es für die Geldtasche des Internationals die Welt der Gefahrenzulage, des hazard pay, die zu den Tagesdiäten eines OSZE-Mitarbeiters sich gesellen kann, wenn wieder mal eine Bombe explodiert ist. Es ist die Welt seiner privilegierten Position durch Ersatzwährungen, des hybriden Wirtschaftens und Schwarzmarktes.

Und während ich diese Geschichten dankbar einsammle, komme ich mir einen Augenblick lang ein wenig vor wie der typische Medienarbeiter, dessen Ökonomie die allzu sichtbaren Kritikpunkte zupass kommen, und ihn schnell, weil der jeweils darunter liegende Kontext schwer mitzuthematisieren ist und das Abwägen hier auf mehreren Ebenen verlaufen müsste, in den Bereich der Meinung fallen lassen. Aber eigentlich, sage ich und drehe das Fernrohr um, eigentlich müsste ich diesen Bereich schon lange verlassen haben, und zwar in zwei Richtungen: In die der Ästhetik und die der Beobachtung. Mein Gegenüber lächelt freundlich und sieht mir zu, wie ich meinen Kaffee zahle und aufbreche in Richtung Flughafen.