Zum einem sind zeitliche Parallelitäten in der Fahrzeugentwicklung festzustellen. Zum Beispiel: Am 30. September 1957 lief der erste Puch 500 im Grazer Werk vom Band, und am 4. Oktober schossen die Russen den Wostok-Vorläufer Sputnik ins Weltall. Oder: Als die Sowjets in der ersten Hälfte der 60er-Jahre mit bemannten Raumflügen ihre Triumphe feierten, lehrte die Rennversion des kleinen Steyrers der europäischen Motorsportkonkurrenz das Fürchten.
Zum anderen sind zwischen W-OSTOK-1 und seinem weltraumerprobten Namenspatron auch inhaltliche Kongruenzen auszumachen. Der Fahrzeughalter des roten Austro-Fiats ist nämlich nebenberuflich Kommandant der Bewegung KOCMOC/Gruppe Gagarin, einer weltweit operierenden informellen Gruppe von derzeit etwa 60 Spezialisten und Spezialistinnen aus verschiedenen Fachgebieten, die sich interdisziplinär mit dem Sowjetstar Gagarin beschäftigen, das Kennzeichen des Wostok-Puchs eine Hommage an das Kosmonautenidol.
Nach diversen Sondierungsunternehmungen erschien 2007 nicht nur wegen der oben erwähnten Jubiläen als ideales Zeitfenster für eine größere Gagarin-Mission. Es runden sich in diesem Jahr auch die Geburtstage zweier russischer Weltraumgrößen: Der Sputnik-Konstrukteur Sergej Korolow wäre heuer 100 Jahre alt, der legendäre russische Raumfahrtvordenker Konstantin Ziolkowski 150. Beider Wirkungsstätten in Kaluga und Moskau waren somit neben Gagarins Geburtsort, den Arbeitsstätten des Kosmonauten Nr.1 und seinem Grab an der Kremlmauer Ziele unserer Wallfahrt.
Nach einer letzten zweiwöchigen Recherchereise im April, bei der Zufahrts- und Zutrittsgenehmigungen am Roten Platz angefragt wurden und Sigmund Jähn zu entsprechenden Kontakten im "Sternenstädtchen" verhalf, wurde der Starttermin festgelegt und aus einem erweiterten Kandidatenkader die Crew rekrutiert: neben dem Wostok-Piloten der Slawist Herwig Höller, dazu der bildende Künstler Josef Schützenhöfer am Steuer des Versorgungsfahrzeuges KOCMOC 110, einem Allrad-VW-Transporter mit bereits über 490.000 im Rettungsdienst absolvierten Kilometern, der dem Filmdokumentaristen Christian Reiser als rollende Kameraplattform dienen sollte.
Nachdem die Bordmechaniker grünes Licht gegeben hatten, stand dem Countdown am 1. Juli nichts mehr im Wege. Die erste Etappe führte über Budapest bis Uschhorod. Beim spätnächtlichen Grenzübertritt in die Ukraine reagierten die Zollbeamten so enthusiastisch auf unser Gefährt, dass sogar das lästige Ausfüllen der Fahrzeugformulare zu einer charmanten Nebensächlichkeit geriet. Auch die Bordverpflegung, dreißig Kilogramm steirische Hartwürste und mehrere Liter Schnaps, wurde großzügig übersehen.
Zwischenlandungen in Lemberg und Kiew, die wunderschöne Strecke über die Großen Karpaten und danach die schier endlosen Weiten hin zur russischen Grenze entlohnten die Mannschaft für die teilweise abenteuerlichen ukrainischen Straßenverhältnisse.
In der Abendsonne des vierten Reisetages standen wir dann am großen Gagarindenkmal in Kaluga, wo wir am nächsten Morgen im Kosmonautenmuseum wie Staatsgäste empfangen wurden. Juri Gagarin hatte hier noch den Grundstein gelegt, die Eröffnung allerdings nicht mehr erlebt.
Bei der Führung durch Ziolkowskis Wohnhaus erreicht uns ein Anruf aus der österreichischen Botschaft: Die Kremlwache erteilt Zufahrts- und Filmberechtigungen am Roten Platz und an Gagarins Grab. Die Botschaftsmitarbeiterin gratuliert und gesteht, dass sie dies für unmöglich gehalten hatte. Sogar unserem berühmten Landsmann Niki Lauda wäre eine ähnliche Anfrage erst kürzlich abschlägig beschieden worden.
Am 7. 7. 07, nach einem Zwischenstopp beim Gagarindenkmal am Leninprospekt und drei Ehrenrunden um den Kreml, landet Wostok 1 Punkt 17 Uhr auf dem Roten Platz. Die Crew bringt Blumen an Gagarins Grab, besucht das Koroljow-Museum, und Wostok 1 tritt zum Größenvergleich mit einer echten Wostok-Rakete vor dem Pavillon Kosmos auf dem Gelände der früheren Allunionsausstellung an. Die große Weltraumausstellung im Pavillon Kosmos existiert nicht mehr, sie wurde 1997 zerschlagen, die meisten Objekte verschrottet. Das Stahltonnengebäude in der Dimension eines Großbahnhofs dient heute als Markthalle. Oben in der riesigen Glaskuppel lächelt Juri Gagarin noch durch eine provisorische Plastikabdeckung von einem ins Gigantische vergrößerten Foto. Der junge Fliegerheld in Majorsuniform hat den Niedergang der sowjetischen Weltraummythen in der Kommerzwelt des neuen Raubkapitalismus aber nicht nur als verlorenes Ausstellungsobjekt überstanden. Im kollektiven Bewusstsein der Russen ist er tief verwurzelt, das bestätigen uns nicht zuletzt die oft sehr emotionalen Reaktionen von Passanten, wenn wir sie auf Gagarin und ihre Erinnerungen an ihn ansprechen oder unsere Postkarten mit Gagarinmotiven verteilen.
Nach drei Tagen verlegen wir unser Quartier nach Koroljow, der Weltraumstadt zehn Kilometer nordöstlich von Moskau. Hier befindet sich das Kontrollzentrum, von dem aus die Raumstation MIR gesteuert wurde und heute die ISS sowie sämtliche von Russland aus gestarteten Weltraummissionen geleitet werden. Sergej Koroljow - ihm zu Ehren wurde das frühere Kaliningrad 1997 umbenannt - war Chefkonstrukteur im Raketenkonzern Energija, in dessen Betriebsmuseum heute Gagarins Wostok-Kapsel steht.
Die Crew gibt lokalen Medien ausführliche Interviews, und der Kommandant annonciert im städtischen Fernsehsender offiziell das Anliegen, zum fünfzigsten Jahrestag von Gagarins Flug im April 2011 die echte Wostok 1 Kapsel, die Russland bislang nur ein Mal für 108 Minuten verlassen hat, nach Wien zu bringen. Das Kosmonautenausbildungszentrum in Swjosdny Gorodok, dem Sternenstädtchen, fahren wir von Koroljow aus an. Auch hier werden wir mit allen Ehren empfangen. Rekordkosmonaut Anatoli Solowjow stellt sich uns als Wostok-Testpilot zur Verfügung, aber wir kneifen dann beim Schwerelosigkeitstraining an der großen Zentrifuge.
Stattdessen besichtigen wir Juri Gagarins Arbeitszimmer, wo auf seinem Schreibtisch noch immer die ungeöffnete Post vom 27. März 1968 liegt. Zur großen Gagarinstatue vor dem Wohnblock, in dem seine Witwe noch heute lebt, bringen alle Kosmonauten vor dem Start in den Weltraum Blumen, und weil wir nun auch bald wieder starten werden, dürfen wir uns diesem Brauch anschließen.
Die Rückflugetappen führen uns zunächst über das Dorf Nowoselowo, nahe welchem Gagarin mit einer MiG 15 1968 tödlich verunglückte, und seinen Geburtsort Kluschino bei Smolensk. Ohne besondere Formalitäten überqueren wir danach die weißrussische Grenze und besuchen in Minsk noch den Bildhauer Ivan Misko in seinen Atelier. Begeistert von Gagarins Flug hat Misko seit 1961 viele große Plastiken mit kosmonautischen Motiven geschaffen und zahlreiche Weltraumflieger in Bronze gegossen.
Nach Minsk erweist sich die Grenze zu Polen als einziges fast unüberwindliches Hindernis auf unserer Strecke. Schon einigermaßen erschöpft von den bisherigen Etappen waren bei 38 Grad im Schatten mehrstündige bürokratische Schikanen nur mit kosmischer Geduld zu durchsteuern. Nachdem wir schlussendlich aber auch die polnischen Zollbehörden noch zum Schmunzeln bringen, startet Wostok 1 ein letztes Mal voll durch.
Wir passieren Warschau und halten Kurs Richtung Landegebiet Wien. Beim Wiedereintritt in die österreichische Atmosphäre hat unser kleines, rotes Raumschiff in 18 Tagen insgesamt 5700 Kilometer pannenfrei absolviert. Pilot und Beifahrer allerdings haben bandscheibenbedingt einige Probleme, sich an die Schwerkräfte der heimischen Verhältnisse wieder zu gewöhnen. Die mitgebrachten Bodenproben, 1400 Fotos, 24 Stunden Filmaufnahmen und 14 Stunden Tonmaterial, sind noch immer nicht vollständig ausgewertet. Q
Mit einem Puch 500 machte sich die Gruppe Gagarin auf den Weg zu ihrem Idol. Nach tausenden Kilometern trifft Wostok 1 endlich auf Wostok. Gagarin-Postkarten werden von Passanten begeistert angenommen.
Fotos: KollektivRetina