Sieht zärtlicher aus, als es in Wahrheit ist: In "The Velvet Vampire" zeigt ein weiblicher Vampir einem spießigen Pärchen seine verborgenen Sehnsüchte auf.

Foto: Viennale

Revolte für eine andere Gesellschaft: In "Terminal Island" bricht auf einer Gefängnisinsel der Krieg aus.

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Mittendrin plötzlich ein Bild, das kontradiktisch gesetzt ist: Bevor die Kamera auf den Schauplatz einer Straßenkundgebung von Hispano-Amerikanern zurückzoomt, verweilt sie auf dem Tower eines Hochhauses, auf dem ein Schild der Union Bank angebracht ist. Auf indirekte Weise, aber doch ganz explizit, wird der Aufstand einer benachteiligten Minderheit also mit einem finanzstarken Unternehmen in Verbindung gebracht und so zum kurzen Moment einer politischen Bewusstmachung.

Die Szene findet sich nicht etwa im Werk eines Undergroundregisseurs, sondern in einem Film namens The Student Nurses. Als Regisseurin firmiert Stephanie Rothman, der mit dieser Arbeit ihr erster größerer Erfolg an den Kinokassen beschieden war. Produziert von B-Movie-Produzent Roger Corman, weist The Student Nurses durchaus die dem Exploitation-Kino eigenen spektakulären Merkmale für den geneigten männlichen Betrachter auf. Es finden sich aber eben auch Elemente, die in eine ganz andere Richtungen verweisen.

Die vier hübschen Krankenschwestern im Mittelpunkt des Geschehens gehen nicht nur einem abwechslungsreichen Liebesleben nach, mit dem sie ihre eigenen Vorstellungen von Spaß ausleben, sondern treten auch in sozialen Fragen durchaus engagiert auf. Rothmans Film strahlt die Aufbruchsstimmung der 60er-Jahre wider. Man ist politisch aktiv, Drogen sind im Alltag gang und gäbe - eine eindrucksvolle Szene malt die Effekte von Ecstasykonsum anhand von Strandimpressionen aus -, und einer der Handlungsschwerpunkte gilt dem Recht auf Abtreibung.

Wie ungewöhnlich solche Akzente sind, lässt sich schon daran ermessen, dass Exploitation als Regelwerk einer streng auf ökonomische Effizienz ausgerichteten Industrie zuallererst bestehende Geschlechternormen bestätigt, dies meistens sogar ins Exzessive steigert, um derart einen möglichst hohen Mehrwert beim Publikum zu schaffen.

Schmales OEuvre ...

Rothman, 1936 in New Jersey geboren, wechselt 1964 direkt von der Filmschule zu Cormans Produktionsstudio New World Pictures und führt dort bei drei Filmen Regie, danach dreht sie bei Dimension Pictures - bei der sie und ihr Mann Anteile besaßen - weitere drei Filme. Ein insgesamt schmales OEuvre, das auch zeigt, wie eng der vom Zeitgeist mitbestimmte Spielraum war, in dem diese Filme entstanden sind.

Nichtsdestotrotz galt Cormans Studio, bei dem zu dieser Zeit auch Regisseure wie Jonathan Demme, Joe Dante oder Francis Ford Coppola ihr Handwerk erlernten, als einer der wenigen Orte, wo die Hindernisse für Frauen auf dem Weg zum Regiestuhl nicht zu viele waren. Rothman zeigte sich als experimentierfreudige Schülerin, die den Formenkatalog des Studios übernahm, dabei aber neue Schwerpunkte setzte und Stereotype mit Vorliebe unterlief.

The Velvet Vampire ist schon deshalb ein exotischer Beitrag für das Subgenre der untoten - und die Sonne verachtenden - Blutsauger, als der zentrale Schauplatz des Films gerade die Mojave-Wüste ist. Außerdem wird der Vampir, dieser Garant für erotische Ausstrahlung, von einer Frau namens Diane Le Fanu verkörpert, die ihre Reize ostentativ zur Schau stellt.

... utopische Kraft

Das ein wenig spießige Pärchen, das sie in ihre Hazienda lockt, wird von ihr nicht nur nächtens durch einen einseitig durchsehbaren Spiegel beobachtet. Sie lenkt auch deren Träume, die Rothman als barock-surreale Tableaus inszeniert, in denen zwischen den drei Nackten eine Art symbolischer Reigen einsetzt. Dann dauert es nicht lange, bis die sexuellen Präferenzen auch in der Realität in Bewegung geraten. Eine Parallelmontage, in der der erste Kuss der Vampirin mit der Annäherung einer Klapperschlange abwechselt, gibt die Richtung vor.

Rothmans Filme formulieren, zumindest ansatzweise, gesellschaftliche Utopien. Wo die zentrale Protagonistin in The Velvet Vampire noch etwas Dämonisches behalten muss, zugleich aber schon die Ventile für unterdrücktes Begehren öffnet, da wird Group Marriage noch viel deutlicher: Ein Paar erweitert sich um einen Mann, bald folgt eine zweite Frau, und so geht es munter weiter. Auf eine Zeitungsannonce melden sich sogar eine Domina und eine Schafhirte samt Schaf, um in die alternative Lebensgemeinschaft einzutreten.

Die Gruppe wird hier zum Ersatz des klassischen Familienmodells - und provoziert, ähnlich wie die Vampirin, einen Mob, der mit Gewalt gegen sie vorgeht; und trotz komischer Momente fungiert sie als völlig ernst gemeintes liberales Konzept, das die sexuelle Befreiung beim Wort nimmt und dem man nun zu rechtlicher Legitimität verhelfen will. Am Ende wird Gruppenhochzeit gefeiert, inklusive Homo-Ehe.

Selbst Rothmans blutrünstigster Film, Terminal Island, in dem es um eine Gefangeneninsel geht, auf der ein Kampf um die Vorherrschaft ausbricht, ist auf zwei Ebenen wirksam: Zum einen offeriert er jede Menge Gewaltbilder von gefolterten Frauen, die auf unterschiedliche Weise Methoden entwickeln, sich zur Wehr zu setzen. Zum anderen aber erzählt er von der allmählichen Formierung einer Gegengesellschaft, die auf positiven Werten aufbaut.

Es sind solche Verschiebungen und Modulationen von bewährten Bausteinen, die Rothmans Ruf begründet haben - Quentin Tarantinos diesjährige Grindhouse-Hommage Death Proof hätte ohne sie kein Vorbild. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.10.2007)