Zu Beginn scheint alles noch seinen gewohnten Gang zu gehen. In einer nicht näher lokalisierten Großstadt fahren in der Nacht Straßenbahnen, Autos schlängeln sich zwischen den Häusern, Geschäftslokale sind erleuchtet. Es herrscht reges Treiben – bis plötzlich Sirenen den nahenden Sonnenaufgang ankündigen und die allgemeine Flucht ins rettende Dunkel beginnt. Denn diese Welt ist eine durch Tag und Nacht geteilte, weil die Sonnenstrahlung tödliche Kraft besitzt.

 

Eine Zukunftsvision, entworfen 1992 vom Autor und Regisseur Florian Flicker, der mit Halbe Welt zu diesem Zeitpunkt gleich ein mehrfaches Wagnis unternimmt. In seinem Glauben an eine "verbotene" Welt an den Pessimismus des Sciencefiction-Kinos der 70er- und 80er-Jahre anknüpfend, geht Halbe Welt nämlich in ästhetischer Hinsicht durchaus neue Wege und erweist sich aus heutiger Sicht als ein eigenartiges und einzigartiges Stück österreichischer Filmgeschichte (und wird es auch in Zukunft bleiben).

Die Stellung des Films passt dabei sehr gut zu jener seines Regisseurs: Flickers Entwicklung vom Autodidakten mit Vergangenheit als Super-8-Filmemacher (Lebenslauf, Landscape, Berliner Skizzen) in den 80er-Jahren zum erfolgreichen Autorenfilmer der 90er-Jahre zeigt einen Weg auf, wie das Genrekino sehr wohl auch in Österreich produktiv nutzbar gemacht werden konnte - mit Neugierde, Experimentierfreudigkeit und viel gutem Willen.

Halbe Welt ist ein kleiner Film mit einer großen Idee. Seine Figuren, allesamt junge Leute – als ob auch das Alter in Zukunft verschwunden wäre –, sind ausschließlich über ihre jeweilige Funktion gezeichnet. Auf der einen Seite die Mitarbeiter einer Überwachungsfirma mit dem bezeichnenden Namen Luna, die sich dank des ökologischen Desasters die allumfassende polizeiliche und mediale Kontrolle angeeignet hat; auf der anderen Seite die mit Guerillataktik kämpfenden Oppositionellen, die gegen die Überwachungsgesellschaft einen Kampf der Bilder (mit Ansichtskarten, Videos) führen. Und mittendrin so etwas wie ein Held: Herzog (Rainer Egger) arbeitet als Luna-Angestellter an der Vernichtung von Landschaftsaufnahmen, die dem Monopol des Syndikats gefährlich werden könnten – bis er selbst der Droge verfällt und zum Sonnenanbeter wird.

Mit Farbverfremdungsverfahren gestaltet Flicker die Außenaufnahmen bei Tag, um dem gleißenden Weiß die entsprechende Wirkung zu verleihen. Doch dies ist mehr als ein optischer Effekt: Es löst buchstäblich den Reiz aus, auch eine Halbe Welt zur Gänze erfahren zu wollen. Denn auch wenn sich die Pupillen verfärben und die Stimme wie eine verzerrte Tonspur klingt, suchen alle Menschen hier das, was ihnen seit dem ersten Bild verwehrt ist – die Freiheit. Der Morgen gilt zu Recht als die schönste Zeit des Tages. Auch wenn man weiß, was dieser mit sich bringt. (Michael Pekler, Filmkritiker und -publizist [„Falter“, „ray“], Katalogredakteur der Viennale)