Im Dezember muss "alles auf Punkt und Beistrich fertig sein", damit die Neue Mittelschule 2008 starten kann, sagt Ministerin Claudia Schmied.

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Ein Brief von den AHS-Lehrergewerkschaftern.

STANDARD: Frau Ministerin, schädigen Sie die Schule?

Schmied: Nein, ich möchte sie verbessern.

STANDARD: Die AHS-Lehrergewerkschaft wirft Ihnen aber genau das vor und veranstaltet heute und morgen in ganz Österreich "Dienststellenversammlungen", die in Wirklichkeit aber eine Mobilmachung gegen die von Ihnen geplante Neue Mittelschule sind.

Schmied: Da bin ich verärgert und auch enttäuscht. Die Aktion von Teilen der Lehrergewerkschaft, konkret von Funktionären der AHS-Lehrer, ist für mich unverständlich und läuft unter der Überschrift "Panikmache". Sie geht völlig an den Inhalten vorbei. Man sollte bei den Fakten bleiben und nicht Angst und Panik verbreiten. Die AHS-Gewerkschaft kennt den Gesetzesentwurf für die Neue Mittelschule. Wir sind mitten im Begutachtungsprozess, der am 9. Oktober endet, dann geht es in Detailgespräche mit der ÖVP, mit dem Ziel, bis 31. Oktober den Beschluss im Ministerrat zu haben.

STANDARD: Die AHS-Lehrer protestieren gegen die Gesamtschule, weil sie "gegen den Willen der Eltern und Lehrer sei".

Schmied: Ich würde die AHS-Aktion abhaken unter Standespolitik. Ich möchte, das ist auch erklärtes Ziel des Bundeskanzlers und des Vizekanzlers, 2008/09 mit klar definierten, abgegrenzten Modellen zur Neuen Mittelschule beginnen. Das sind Modelle, Modellregionen, Modellschulen, die wissenschaftlich begleitet werden, mit dem Ziel, dann eine Grundsatzentscheidung treffen zu können. Der Kanzler hat das treffend einen „Realitätstest“ genannt. Genau das soll es sein.

STANDARD: Eine neue EU-Studie bestätigt Sie in dem Plan, die Gesamtschule einzuführen.

Schmied: Mir ist eines ganz wichtig: Im Mittelpunkt stehen die Kinder. Die Neue Mittelschule, die gemeinsame Schule, ist ein international erprobtes Modell. In 25 Ländern der EU läuft es. Es wird in den Studien von Experten bestätigt, dass es mit neuneinhalb einfach zu früh ist, zu sagen in welche Richtung die Begabungen und Talente gehen. Irgendwann muss Selektion stattfinden, irgendwann muss ich mich entscheiden, aber nicht mit neuneinhalb, sondern später.

STANDARD: Wie erklären Sie sich, dass die AHS-Lehrer offenbar mehr Ängste vor den Hauptschulkindern haben, mit denen sie dann in der gemeinsamen Schule zu tun hätten, als umgekehrt die Hauptschullehrer, die unirritiert sind.

Schmied: Ich glaube, da geht es vor allem bei einer Fraktion der AHS-Lehrergewerkschafter viel eher um standespolitisches Denken. Sehr viel tiefer geht das nicht.

STANDARD: Wie nehmen Sie den AHS-Lehrern die Angst?

Schmied: In der Neuen Mittelschule werden Hauptschullehrer mit erstklassiger pädagogisch-didaktischer Ausbildung und AHS-Lehrer mit einer exzellenten universitären, auf Fachwissen konzentrierten Ausbildung unterrichten. Was beiden gemeinsam sein wird, ist: Ich starte diese Modelle nur mit den motiviertesten und besten Lehrerinnen und Lehrern, die sich wirklich mit Leidenschaft diesem Modell zuwenden. Es wird keiner, auch kein AHS-Lehrer, verpflichtet, an der Neuen Mittelschule zu unterrichten. Wer nicht will, muss nicht.

STANDARD: Wie gefällt Ihnen denn die Schul-"Perspektive" der ÖVP, die dieser Tage präsentiert wurde? Die ÖVP möchte ja zwei "Mittelstufen".

Schmied: Für diese Bewertung ist es noch zu früh. Wir machen jetzt den Praxistest der Neuen Mittelschule. Dann sind wir in der nächsten Legislaturperiode und werden die wissenschaftlichen Ergebnisse der neuen Mittelschule kennen. Das ist der Vorteil, wir theoretisieren nicht mehr, wir sind nicht in irgendwelchen Ideologiedebatten, sondern es wird sie wirklich beispielhaft geben. Von da ausgehend muss sich die Regierung wieder der Entscheidung stellen, wie es dann endgültig weitergeht. Mein Zukunftsbild ist die Neue Mittelschule für alle.

STANDARD: Die Leiterin der ÖVP-Bildungs-Perspektivengruppe, Katharina Cortolezis-Schlager, sagt über die SPÖ: "Drüberfahrer-Partei steckt im Einheitsbrei fest". Ihre Reaktion?

Schmied: Das ist Polemik pur. Was da transportiert wird, entspricht ja nicht den Fakten und vor allem auch nicht den internationalen Erfahrungen. Die gemeinsame Ausbildung ist zum Vorteil der Kinder. Wir müssen uns nur den derzeitigen Zustand in der Oberstufe anschauen. Wir haben eine extrem hohe Anzahl an Wiederholungsprüfungen, extrem hohe Drop-out-Quoten, vor allem im berufsbildenden höheren Schulsystem. Von 100, die beginnen, erreichen 44 die Matura. Wir haben exorbitant hohe Kosten im Bereich der Nachhilfe. Das sind alles Punkte, da verweise ich auf den letzten OECD-Bericht, wo ich mir klare Verbesserungen durch eine gemeinsame Ausbildung der Zehn- bis Vierzehnjährigen verspreche.

STANDARD: Die Pläne im Zusammenhang mit der neuen Mittelschule gehen ja über diese Legislaturperiode hinaus. Man weiß nie, wie Wahlen ausgehen. Was sagen Sie Eltern, die ihr Kind in die Neue Mittelschule geben wollen, aber Angst haben, dass 2010 dann auf einmal nichts mehr gilt?

Schmied: Darum ist ja die gesetzliche Regelung so wichtig. Das ist die Rechtssicherheit für die Eltern. Die können Sie mit einem Schulversuch nie garantieren. Die Sicherheit muss da sein, dass die, die sich jetzt entscheiden, auch diese Schule abschließen können. Es wäre verantwortungslos, das anders zu beginnen. Das Gesetz muss im Dezember fixiert werden, weil sich die Eltern ja im Februar entscheiden müssen, wo sie ihr Kind anmelden. Bis dahin muss wirklich alles auf Punkt und Beistrich fix und fertig vorliegen. (Lisa Nimmervoll/DER STANDARD-Printausgabe, 4. Oktober 2007)