Tenor Ian Bostridge

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Wien – Wenn Ian Bostridge über eine Frage nachdenkt, lehnt er sich etwas zurück, kneift die Augen ein wenig zusammen und antwortet dann ähnlich differenziert, wie er seine Liedinterpretationen gestaltet. Ganz so relaxed wie auf dem Cover seiner neuen CD "Great Handel" mit Arien und Duetten aus den großen Bühnenwerken, die der britische Tenor soeben mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment vorgelegt hat, sieht er dabei zwar nicht aus. Doch man merkt, dass man jemanden vor sich hat, der ein Musikstück nicht einmal eben so schnell einstudiert und dann zum Besten gibt, sondern gründlich über das reflektiert, was er da tut.

Und so hätte der promovierte Historiker nicht nur zum Thema Händel, über den er im CD-Booklet handelt, sowohl musikalisches als auch profundes geschichtliches Wissen parat. Allerdings serviert er dieses mit Understatement: "Das achtzehnte ist ,mein‘ Jahrhundert. Es interessiert mich sehr, aber ich weiß nicht, ob ich die Musik deswegen so gern interpretiere. Es sind einfach die herrlichsten Arien, aus denen wir ein Best-of-Album gemacht haben."

Einen Vorgeschmack dazu gab es am Dienstag im Konzerthaus, wo zwischen Ouvertüren und Concerti grossi auch fünf Arien zu hören waren, denen Bostridge mit seinem makellos gleitenden, schlank geführten Tenor zu nobler Präsenz und elegischer Versenkung verhalf.

Ob es für den Liedsänger leicht sei, einen Zugang zu Händel zu finden? Bostridge: "Händels Arien wurden ja damals als ,songs‘ veröffentlicht. Ich betrachte sie als eine Übung in unterschiedlichen Stilen." Seine eigene diesbezügliche Sattelfestigkeit hat der Ehemann einer Literaturkritikerin bisher unter anderem mit Zeitgenossen wie Hans Werner Henze, Opernpartien von Mozart oder Britten und mit dem romantischen Liedrepertoire, zuletzt etwa in Grafenegg, unter Beweis gestellt. Auch die Frage, ob seine prägnante Artikulation der Worte und deren tief gehende Ausdeutung dabei einen gemeinsamen Nenner darstelle, beantwortet Bostridge differenziert:

"Wenn man Mozart singt, hat man vielleicht nicht so eine große Beziehung zu den Worten. Bei den Liedern oder auch Opern von Britten gibt es einen ähnliches Zugang: Ich versuche, die Worte klar und farbig zu bringen, aber zugleich kann die Musik etwas ganz anderes sagen. Man glaubt vielleicht, dass sie illustriert, aber sie kann etwas ganz anderes."

Worte gestalten

Trotz seines intellektuellen Durchdringung der Materie betont der Sänger, in dieser Rolle vor allem einen emotionalen Zugang zu haben: "Man muss die musikalische Atmosphäre entwerfen und dann versuchen, die Worte zu gestalten. Schubert hat ja auch wunderbare Musik zu schrecklichen Gedichten geschrieben – das ist unglaublich." Liegt nicht auch darin eine Paradoxie, dass ein Liedsänger oft von Einsamkeit singt, diese dann aber kommunizieren muss? "Das stimmt, und es kann in Extreme gehen. Musik kann aber solche Paradoxien ausdrücken, weil sie eine Syntax hat, aber keine Semantik, weil man etwas machen kann, was in der Sprache nicht geht: zwei Dinge zugleich ausdrücken."

Apropos Sprache: Wie gut ist eigentlich sein Deutsch, das er bei den Liedern in der Aussprache fast perfekt beherrscht, im Alltag? "Ich kann Kaffee bestellen", lacht Bostridge, wobei gleich wieder der Verdacht des Understatement aufkeimt. Auf Englisch erzählt er weiter: "Ich finde Deutsch eine unglaublich schöne Sprache. Da bin ich aber geprägt von Fischer-Dieskau und seiner Balance zwischen Sprechen und Singen. Das habe ich bei anderen Sängern kaum je gefunden."

Und kommt seine Fähigkeit, die reine Schönheit hinter sich zu lassen, auch aus diesen Erfahrungen? "Möglich. Es ist auch gerade bei der Oper, wie zum Beispiel bei Brittens Tod in Venedig, sehr wichtig, dass man manchmal versucht, nicht schön zu singen, um es dadurch vielleicht schöner zu machen."

Bei dieser dialektischen Wendung hat der Tenor jetzt ganz cool gelächelt und ansonsten nicht mit der Wimper gezuckt. So lässig und überzeugend formuliert er eine der weiteren Paradoxien, die die Kunst des Ian Bostridge zwar nicht erklären können, aber vielleicht eine gewisse Annäherung erlauben. (Daniel Ender / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.10.2007)