Franzobel jongliert gerne Wörter und entdeckt in Internet-Foren frisches Spielmaterial. (Zeichnung: Ander Pecher)

Was früher der Stammtisch, ist heute das Internet-Forum. Fest auf die Tube drücken befreit.

Foto: STANDARD/Cremer

Senf ist ein scharfes, aber wichtiges Gewürz. Ohne Senf schmecken Würstel und Leberkäse nicht, Senf verfeinert kaltes Fleisch und so manchen langweiligen Salat. Senf alleine allerdings ist ungenießbar, nur als Gewürz, als Sänfte für das Hauptgericht, ist er unverzichtbar.

 

Senf wird aus Körnern hergestellt - oder vom Menschen abgesondert. Und seit es Internet und Foren gibt, kann dieser menschliche Senf auch öffentlich gegeben werden. Es gibt ja ein beachtliches Mitteilungsbedürfnis und die Internetforen ermöglichen es jedem Senfseligen, seine Schwadronade in die Welt hinaus zu drücken. Da werden Texte dezent englisch verfeinert oder mit bayrisch braunem Mostrich angeschmiert. Manchmal brennt mir aber auch der Nachgeschmack im Mund, Postings sind die moderne Form des mittelalterlichen Prangers, jeder, der nur will, kann seine scharfe Senfschelte auf alles schmieren.

Alleine beim fast senffarbenem Standard langen täglich bis zu 12.000 Postings ein, schreiben Nicknames wie Sepp Schilehrer, das entzückende Stinktier, Brecheisen, coldturkey, antistaberl, senfgurke, oachlkas oder so ein Topfen ihre Kommentare. Am öftesten hat bislang ein Helmut Huber gepostet, über 54.000 mal, ihm folgen Byron Sully mit 33.000 und skip it mit 30.000 Postings. Da es diese Möglichkeit erst seit April ´99 gibt, heißt das mehr als zehn Postings pro Tag. Wie geht das? Was machen diese Senffabriken sonst? Wird da zwischen Aufstehen und Zähne putzen mal eben kurz gepostet? Früher gab es Stammtische zur Senfentledigung, heute Internetforen.

Der und die Standard.at, die wohl wichtigste Internet-Plattform Österreichs, befinden sich in einem ausgebauten Dachgeschoß mitten in der Wiener Innenstadt, wo 80 Leute neben der redaktionellen Arbeit auch noch den täglichen Sermon der Leser, man sagt User, prüfen müssen. Da diese Arbeit nicht zu leisten ist, hilft ein eigens entwickelter Foromat, ein Senf-Prüfprogramm, das unverdächtige Postings (70 Prozent) freischaltet und den Rest, dessen Inhalt möglicherweise beleidigend, obszön, Larifari oder sonst wie nicht zu tolerieren ist, an die Redaktion leitet, die dann entsprechend der Forums-Richtlinien entscheidet, freischaltet oder löscht. Der Redakteur sieht vom User nur den Nickname und die Freischalt-Quote. Hansruedi Hugentobler ist die Nichtfreigabe mit 61 Prozent (ca. 370) seiner Beiträge passiert, mullahfan-allergie mit 46 Prozent (fast 1000).

Postings, die Wörter wie Vollkoffer, beschissen, blöd, entjungfert oder geil, Abschaum, Hitler, Gutmensch oder Sitzpinkler enthalten, lässt der Foromat nicht durch. Gleiches passiert, wenn Roma vorkommt, auch wenn damit die AS, der Fußballclub aus Rom, gemeint ist. Einen Zensor aber gibt es nicht, nur den jeweiligen Redakteur, der je nach Tagesform entscheidet, ob ein vom Foromat als bedenklich ausgewiesenes Posting nun erscheinen darf, was bei dieser Fülle alles andere denn einfach ist, bewegen sich doch viele Postings just im Grenzbereich, kommen die absonderlichsten Statements, die krudesten Behauptungen ebenso wie intelligente sinnvolle Bemerkungen und berechtigte Kritik. Geschmack ist sehr persönlich – auch beim Senf, auf den ich nicht nur bei meinen Textwürsten nicht mehr verzichten will. Also Bravo, weiter so. Her mit dem Senf! (Franzobel, derStandard.at, 5. Oktober 2007)