Peter Patzak beginnt seinen Film über den (fiktiven) rechtsextremen Wiener Gemüsehändler Karl Kassbach in Form einer fingierten Recherche, die aufgrund der Zeugenaussagen zunächst auf die Aufklärung und Rekonstruktion eines öffentlich bekannt gewordenen, offensichtlich abgeschlossenen „Fall Kassbachs“ schließen lässt. Spätere Interviews – so mit der Mutter, einem Vertreter der Polizei oder einem Journalisten – führen diesen Präsentationsgestus phasenweise fort, geben die Struktur eines biografischen Puzzles vor, dessen multiperspektivisch bestimmte Einzelteile erst vom Zuseher zu einem in sich stimmigen Ganzen zusammengesetzt sein wollen. Kassbachs Selbstcharakterisierung folgt formal diesem Präsentationsmodus, verweist aber über die filmische Präsenz auf das fortwährende Präsens, die (All-)Gegenwärtigkeit der Titelfigur: Kassbach stellt zwar einen Fall dar, aber keinen abgeschlossenen, sondern einen immer noch virulenten. Im offenen Schluss des Films findet diese Exposition ihre Entsprechung.

 

Quer zu dieser offenen dramaturgischen Struktur der Recherche und der Rekonstruktion steht die filmische Narration, die auf die illusionsbildend-involvierende Präsenz der Filmbilder eines aktionsgeladenen Erzählkinos setzt – changierend zwischen erbärmlich-kleinbürgerlichem Kammerspiel und Politthriller. Hier, in diesem ambivalenten dramaturgischem Konzept, das auch höchst unterschiedliche – weil zwischen aufklärerischer Modellierung und Spannungskino sich bewegende – Ansprüche stimuliert, scheint mir der tiefere Grund für die zwischen Zustimmung und Verriss polarisierte Rezeption in der Filmkritik zu liegen.

Kassbach – Ein Portrait hat seinen filmgeschichtlichen Ort in einer Tradition des engagierten deutschsprachigen Nachkriegsfilms, die – im Unterschied zur französischen, italienischen oder US-amerikanischen Entwicklung – auf nur schwachen Füßen stand. Die Thematisierung aktueller politischer Tendenzen, zumal die des anwachsenden Neofaschismus, stellte eher die Ausnahme dar. Filme wie Schlöndorffs Die verlorene Ehre der Katharina Blum (BRD 1975), Alexander Kluges Der starke Ferdinand (BRD 1975) oder Reinhard Hauffs Messer im Kopf (BRD 1978) können ebenfalls als Fallstudien der schleichenden Faschisierung des öffentlichen Lebens angesehen werden. Und auch diese Filme versuchten, eine aktuelle gesellschaftspolitische Zustandsbeschreibung vorrangig in Form des Spannungskinos, das Elemente der Unterhaltung bewusst mit einbezieht. Doch Kassbach setzt vor allem auf die Introspektion der Rechten. Diese perspektivische Verengung bedeutet zugleich einen erkenntnismäßigen Gewinn: Dass ein Mann wie Kassbach im Schutz kleinbürgerlicher Normalität weiterleben kann, so als sei nichts gewesen, das ist – auch heute noch – das Verstörende an diesem Film. (Aus: Heinz-B. Heller „Ein ganz normaler Kleinbürger“, erschienen 1996 in „Der neue österreichische Film“ bei Wespennest)