Das Österreichische, eine „nicht formulierte Philosophie“, ist für den Autor Gerhard Fritsch in der Weite und Einsamkeit der Landschaft östlich von Wien zu finden. Sein erster Roman Moos auf den Steinen (1956) spielt in einer solchen Gegend, die noch eine Ahnung von Galizien lebendig hält und sich nicht gegen den Nebel wehrt, „den langen Herbst vor dem Sterben“. Ort der Geschichte ist ein Schloss. Fritsch formuliert zu dieser Wahl und ihrer Bedeutung: Hinter dem Vordergründigen, das sich aus den Spannungen innerhalb einer kleinen Personengruppe ableite, stehe das Wesentliche: „Ich wollte dieses Marchfeld-Schloss Schwarzwasser zu einem Symbol für Österreich machen. Für die Kräfte, die in ihm wirksam sind.“

 

Zwölf Jahre später wird das Buch verfilmt. Moos auf den Steinen übernimmt die Anlage des Romans. Ein Schloss – seine Bewohner und Besucher – werden als Mikrokosmos inszeniert, um einer „österreichischen Philosophie“ nachzuspüren. Die Suche nach dem Wesentlichen, das den Namen Österreich trägt, findet Halt im Ästhetischen, in der Erinnerung, im Konnex mit der Vergangenheit. Moos auf den Steinen erzählt seine Geschichte an der Schnittstelle zwischen den Ausläufern des untergegangenen alten Österreich und dem Pragmatismus einer Zukunft, die dessen Relikte wirtschaftlich verwertet. Auch der Film selbst bewegt sich in einem schwebenden Zwischenbereich. Das Studiosystem, das bis Mitte der Sechzigerjahre den österreichischen Filmen ihr Gepräge gab, ist 1968 dank Fehlkalkulation, Misswirtschaft und einem allzu überlebten Ideenrepertoire zerbrochen. Mit Moos auf den Steinen beginnt in der Produktion (geringes Budget, bestehend aus Eigenkapital, Subvention sowie Sachleistungen durch das Fernsehen) wie in den Versuchen der Formgebung die Ära des neuen österreichischen Films.

Moos auf den Steinen lebt vom Atmosphärischen und beginnt vielstimmig. Gleich zu Beginn des Films wird die Tonebene eigenständig und unabhängig von den Bildern gestaltet. Der Film verweist in seinem Verlauf oftmals darauf, dass Film aus Bildern und Tönen besteht, und drückt damit eine Zäsur zur Praxis des österreichischen Kinos der Fünfzigerjahre aus. Die Fahrt ins Marchfeld gleicht einem Wechsel der Zeitzonen. Das Betriebsame der Stadt gleitet langsam über in die gelas_sene, lakonische und etwas umständliche Welt der Dörfer. Das verfallende Schloss soll renoviert und in die Gegenwart geführt werden. Das Neue und das Alte entstammen verschiedenen Stilen, Traditionen und Rhythmen. Geschäftigkeit, die Lautstärke der Stimmen prallen von den modrigen Wänden des Schlosses und den Erinnerungen, die sie aufbewahren, ab. Seine Helden atmen den Geist der Vergangenheit, sind mit Galizien verwachsen, lieben „das Moos, das auf den zerbröckelnden Mauern der Donaumonarchie wächst, das weiche Polster der Vergänglichkeit auf den Steinen, die nicht mehr Österreich sind“. (Aus: Büttner/Dewald, Anschluß an Morgen)