Dass man ist, was man isst, ist einer dieser Wahrsprüche, die gerne zitiert und noch lieber ignoriert werden. Schließlich muss gegessen werden, was auf den Tisch kommt, womit sich (scheinbar) die Frage nach dem Jenseits des eigenen Teller- beziehungsweise Tischrandes erledigt, danach, was wir mit dem Anrichten unserer Nahrung anrichten, bei uns und anderswo. Gespräche über Bäume (Umweltverschmutzung), übers Wetter (Klimawandel) oder eben übers Essen sind nicht nur keine Verbrechen mehr, sie sind zum Gebot der Stunde geworden.

 

In mehreren Episoden erzählt Erwin Wagenhofers We Feed the World von den ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen der Industrialisierung und Globalisierung unserer Ernährung: Wie die EU den unabhängigen Fischkuttern vorschreibt, ein Logbuch zu führen und sich dadurch selbst überflüssig zu machen. Warum Tomaten, die in Wien auf den Markt kommen, mehr als dreitausend Kilometer Reiseweg hinter sich gebracht haben. Wie der Staat durch Subventionen rumänische Landwirte von gentechnisch verändertem Saatgut abhängig macht. Wie aus einem Ei in einer Brutkammer ein Küken, wie aus dem Küken auf einem Fließband ein abgepacktes Supermarkthuhn wird. Warum im Norden Brasiliens Menschen hungern, während die Regierung Anbauflächen von der Größe Frankreichs roden lässt, um Soja zu produzieren, die in Europa an die Tiere verfüttert wird.

Das alles wird so gezeigt, wie es sich verhält. Wagenhofers Drehorte sind Schauplätze im eigentlichen Sinn. Mal ganz nah dran, mal mit dem Blick von oben wird auch ohne Kommentar anschaulich, wie eine Welt aussieht, in der die Nahrungsketten grenzüberschreitend miteinander verbunden sind. Das Skandalöse liegt ihm dabei fern. Der Film zielt nicht darauf ab, uns den Appetit zu verderben. Spektakulär sind hingegen die Aussagen, die der geduldige und listenreiche Interviewer Wagenhofer seinen Gesprächspartnern entlockt.

Zum eigentlichen Kronzeugen wird der Produktionsleiter der größten Saatgutfirma der Welt, der frei heraus gesteht, welche Konsequenzen seine Arbeit in Osteuropa haben wird: "Als ich vor langer Zeit nach Rumänien gekommen bin, hatten wir den Westen schon mehrfach zerstört. Jetzt werden wir hier die gesamte Agrarkultur zerstören." So spricht einer, der auch als Angestellter seine privaten Überzeugungen nicht verhehlen will, obgleich er gegen sie handelt. Ein zerrissenes Subjekt – und wir sollten uns in ihm erkennen. Denn der Titel des Films lautet nicht: They Feed the World. Darauf besteht Wagenhofer ausdrücklich. Der wahre Protagonist des Films sind wir, die Konsumenten: Wir greifen ins Kühlregal, wir treffen an der Ladentheke die Auswahl zwischen regional oder global, zwischen ökologisch oder industriell, zwischen Zukunft oder Katastrophe.(Dietmar Kammerer ist Journalist und Filmkritiker („taz“, „Junge Welt“, „kolik.film“ u._a.), lebt in Berlin)