Die ÖVP beginnt sich langsam, vorsichtig aus dem Klammergriff des rechtskonservativen Wolfgang Schüssel zu lösen. Zum einen veröffentlichte die Perspektiven-Kommission unter Josef Pröll ein in Teilen vorsichtig bürgerlich-liberales Zukunftsprogramm; zum anderen erklärte sich Vizekanzler und Parteivorsitzender Wilhelm Molterer etwas verklausuliert zum Kanzlerkandidaten.

Die Notwendigkeit zu Letzterem ergab sich aus einem innerparteilichen Gewisper um die Idee, Außenministerin Ursula Plassnik zur Kanzlerkandidatin zu machen. Diese Idee wird Klubchef Wolfgang Schüssel zugeschrieben, was aus mehreren Gründen plausibel ist: Plassnik steht in den Beliebtheitsumfragen ganz oben, eine Frau als Spitzenkandidatin wäre ein ziemlicher Coup.

Außerdem war Plassnik zu Schüssels Kanzlerzeiten seine Kabinettschefin, enge politische Vertraute und wurde von ihm zur Außenministerin gemacht. Sie ist klug, sympathisch und hat als Außenministerin bisher keine schlechte Figur gemacht.

Ihre jüngste Initiative – kritische Produktionsschritte in der Nukleartechnologie wie die Anreicherung und die Wiederaufbereitung von nuklearem Brennstoff nach dem Vorbild der im Jahr 1952 zwischen Frankreich und Deutschland geschlossenen Kohle- und Stahlunion international zu „vergemeinschaften“ – ist ein interessanter Ansatz.

Es ist dem nunmehrigen ÖVP-Klubchef Schüssel zuzutrauen, dass er Plassnik statt Molterer als Spitzenkandidatin installieren wollte (und will). Schließlich wollte er in einer denkwürdigen Nachtsitzung im vergangenen Jänner noch seinen Schützling Karl-Heinz Grasser als Vizekanzler durchdrücken. Das Problem dabei ist allerdings Plassnik selbst.

Sie ist eine sehr private Person, und die unvermeidliche Preisgabe dieser Privatheit samt erwünschtem Dauerlächeln in einem Wahlkampf ist wohl nicht ihr Ding. Spricht man sie ohne Zeugen auf dieses Thema an, lacht sie nur und schüttelt den Kopf. Immerhin scheinen die Gerüchte aber Molterer dazu bewogen zu haben, etwas früher als geplant seine Ansprüche anzumelden bzw. zu bekräftigen.

Wahlen werden in Österreich von der Partei gewonnen, die die Ängste und Unsicherheiten der Österreicher am ehesten beruhigt. Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger fürchten in der Mehrheit um ihre soziale und physische Sicherheit, um Gesundheits- und Altersversorgung und andere Gewissheiten des Alltags, namentlich, dass nicht zu viele türkische und sonstige „ausländische“ Kinder so viel Geschrei vor den Fenstern der Seniorenwohnung machen.

Fortschritt (außer dem sozialen), Wettbewerb, Wirtschaftsgesinnung, Erfindungsgeist (technischer und gesellschaftlicher) sind dagegen eindeutig zweitrangige Werte (außer bei jüngeren Eliten).

Die „Perspektiven-Volkspartei“ kommt moderater als zuletzt unter Wolfgang Schüssel daher, sie ist aber in vielem noch vom „Missethon“-Effekt geprägt: der Geisteswelt eines konservativen Funktionärs aus einer Provinz-Kleinstadt.

Wenn die Volkspartei daher moderner werden sollte – und bei Molterer kann man das durchaus nicht ausschließen –, so wird sie das gegen die Weltsicht eines guten Teils ihrer Wählerklientel tun müssen. Das kann man schon tun und trotzdem gewinnen, aber dazu braucht man Führungs- und Überzeugungskraft. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2007)