Debatte zwischen Lehrer und Studentin: Internist und Ausbildner Anton Luger und ÖH-Vorsitzende Julia Straub über Erstsemestrige, Erwartungen und Menschenliebe.

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Stress im Krankenhaus, schwierige Facharztausbildung, ständige Nachtdienste. Warum es dennoch 660 Neuinskribierende gibt, fragte Julia Harlfinger die ÖH-Vorsitzende für Medizin, Julia Straub, und den Internisten und Studienabschnittskoordinator Anton Luger.

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Standard: Warum inskribieren junge Leute heute Medizin?

Straub: Die meisten, weil sie in ihrem Berufsleben etwas Sinnvolles tun und Menschen helfen wollen. Sie haben Helfersyndrom im positiven Sinne. Bei vielen spielt die familiäre Tradition eine Rolle - wobei ich nicht glaube, dass Personen, die Medizin nur der Familie zuliebe studieren, sehr lange dabeibleiben. Es braucht Interesse und Begeisterung. Studierende aus einer Arztfamilie haben den Vorteil, dass sie wissen, woran sie sind.

Luger: Ich komme aus einer Arztfamilie, habe aber anfangs auch Jus und Theaterwissenschaften studiert. Medizin war das einzige Studium, das ich konsequent betrieben habe.

Straub: Es gibt aber natürlich auch Studierende, die aus Prestigegründen Medizin studieren, weil sie mit dem Arztberuf Ansehen und finanziellen Wohlstand verbinden.

Standard: Sollten nicht gerade solche durch Eingangstests herausgefiltert werden?

Straub: Ob diejenigen, die den Test schaffen, später die besseren Ärzte werden, kann ich nicht beurteilen. Es ist allerdings schon so, dass Studienanfänger heute sich früher Gedanken über ihre Ausbildung machen. Das führt zu weniger Studienabbrüchen, und die Ressourcen werden in den Augen der Universität besser genutzt. Erstsemestrige, die erst einmal inskribieren und erst viel später draufkommen, dass sie keine Spritzen und kein Blut sehen können, werden immer weniger.

Luger: Wenn man eine qualitativ hochwertige Ausbildung anbieten möchte, muss die Zahl der Studierenden limitiert sein. Sonst ist die Qualität der Ausbildung nicht gewährleistet, vor allem in späteren Studienabschnitten mit viel Praxis ist das wichtig. Ich halte die aktuellen Studentenzahlen schon für hoch, doch noch für realistisch.

Standard: Was erwartet die Studienanfänger in den nächsten Wochen?

Straub: In den ersten drei Wochen geht es noch um Orientierung, aber dann geht es los mit Anatomie, Histologie, Biochemie, Genetik und Physiologie.

Standard: Welche Schwierigkeiten treten in der Anfangsphase auf?

Straub: Viele fühlen sich erst einmal überfordert, oft weil sie andere Erwartungen hatten. Ein Medizinstudium ist sehr stark von Naturwissenschaften geprägt. Generell ist es so, dass man viel lernen und in kurzer Zeit große Mengen an Stoff beherrschen muss.

Luger: Wenn die Studierenden im dritten Studienabschnitt für den klinischen Teil zu mir ans AKH kommen, sind sie schon sehr gut vorbereitet und haben ein solides theoretisches Grundwissen. Dann steht das unmittelbare Arbeiten mit den Patienten im Vordergrund. Für die Praxis ist im neuen Studienplan erfreulicherweise sehr viel Zeit vorgesehen.

Standard: Wie lernt man die Arbeit im Spital? Läuft man immer noch dem Professor nach?

Luger: Nein! Das wäre ganz falsch. Eher steht der Lehrende hinter den Studierenden, geht ihnen eventuell zur Hand und bringt ihnen verschiedene Fertigkeiten bei. Das geht weit über die Blutabnahme hinaus, Studierende untersuchen Patienten, lernen zuzuhören und genau hinzuschauen.

Standard: Sind Studierende mit guten Noten auch die besten Ärzte?

Luger: Wissen aus Büchern ist sehr wichtig, doch nicht die wichtigste Voraussetzung für den Arztberuf. Wenn man sich allerdings nach dem Studium für die Patientenversorgung entscheidet, ist Empathie die Grundvoraussetzung. Man muss sich für den Menschen interessieren. Um es trivial zu sagen: Ein Arzt muss Menschen lieben, muss Patienten zuhören wollen, sie beobachten und viel Zeit investieren, um Symptome zu erkennen. Auf der anderen Seite hört aber auch das Lernen niemals auf: Vor allem für einen Arzt ist lebenslange Weiterbildung von großer Bedeutung.

Standard: Wie vermitteln Sie Studenten Empathie?

Luger: Das lässt sich nicht aus Büchern lernen, man kann es nur vorleben.

Standard: Und wenn diese Empathie, die man nicht erlernen kann, fehlt?

Luger: Nach dem Medizinstudium hat man viele Möglichkeiten. Für den traditionellen Arztberuf sind ganz sicher Menschen ungeeignet, die nicht offen sind und nicht auf andere Menschen eingehen können. Diese Personen sind aber vielleicht ganz ausgezeichnete Forscher. Es gibt Alternativen zur Arbeit am Patienten.

Straub: Da erinnere ich mich an eine Famulatur: Einer der Chirurgen hat die Visite immer vor der Tür des Patienten gemacht, ohne den Kranken zu sehen. Fallweise hat er gemeint: Schreiten wir zum Äußersten - sprechen wir mit dem Patienten! So sind natürlich nicht alle Lehrenden.

Standard: Wie engagiert sind Studierende?

Luger: Es gibt solche und solche. Bei den einen fragt man sich, warum sie da sitzen - Gott sei Dank sind es nicht viele -, die anderen sind die "Lästigen", die ständig fragen. Sie sind mir aber lieber, denn sie sind diejenigen, die oft nachfragen und mehr wissen wollen. Ich bin manchmal beschämt, dass ich mir bestimmte Fragen nicht schon selbst gestellt habe.

Standard: Ist es unangenehm?

Luger: Nein. In Österreich ist leider die Ansicht weit verbreitet, dass man, sobald man in einer gewissen Position ist, alles zu wissen hat. Ich sehe das überhaupt nicht so, denn ich erwarte von Studierenden Interesse, und ich erwarte mir auch, dass sie nachfragen. Nur wer sich involviert, bekommt ein Maximum an Wissen.

Standard: Viele Studierende müssen neben der Universität arbeiten. Welche Jobs bringen auch fürs Medizinstudium etwas?

Straub: Taxifahren - das hat nämlich auch sehr viel mit Empathie und Menschenkenntnis zu tun. Nein, im Ernst: Man kann beispielsweise ein Pflegepraktikum absolvieren, als Stationsaushilfe im Spital oder als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschung mitarbeiten. Diese Jobs sind allerdings leider nicht immer bezahlt. Auch Ordinationen oder Pharmafirmen suchen Leute mit medizinischem Vorwissen.

Luger: Ich habe während des Studiums im Pflegehilfsdienst gearbeitet.

Straub: Der große Vorteil bei einem Pflegepraktikum ist der Perspektivenwechsel. Da erlebt man den Patienten nicht aus der Sicht eines Arztes, sondern aus der Sicht des Pflegepersonals. Das ist für die spätere Arbeit im Spital wahrscheinlich eine wichtige Erfahrung. Für Studierende aus höheren Semestern ist dann die Tätigkeit als Tutor ein attraktiver Weg. In jedem Fall braucht jeder, der neben dem Medizinstudium arbeitet, ein gutes Zeitmanagement. Medizin zu studieren ist ein Vollzeitstudium. Vormittags finden die Vorlesungen, nachmittags die Praktika statt.

Standard: Welches Rüstzeug sollten Medizinstudenten aus den Schulen mitbringen?

Straub: Vielleicht ein gesteigertes Interesse an Naturwissenschaften. Wobei ich sagen muss, dass ich selbst während meiner Schulzeit nicht sehr an diesen Fächern interessiert war, das Studium aber ganz gut schaffe. Ich denke, dass andere Fragen viel wichtiger sind. Jeder Einzelne sollte sich im Vorfeld ein genaues Bild dieses Studiums machen. Noch wichtiger ist die Frage, was man später mit all dem Wissen anfangen will.

Standard: Wie früh sollten sich Medizinstudenten auf einen Fachbereich spezialisieren?

Luger: Die Offenheit allem Neuen gegenüber ist schon während des Studiums eine wichtige Voraussetzung und auch später im Berufsleben von sehr großer Bedeutung. Bei einer zu frühen Spezialisierung ist eben zu bedenken, dass jeder dann auch einen Ausbildungsplatz bekommt. Es gibt viele interessante Aufgabengebiete. Flexibilität ist als Mediziner wichtig: Wenn man an Wien gebunden ist, wartet man zwei bis drei Jahre auf eine Ausbildungsstelle. In anderen Bundesländern ist die Wartezeit kürzer.

Standard: Machen sich Studienanfänger realistische Vorstellungen vom Arztberuf?

Straub: Wir haben während des Studiums eine Lehrveranstaltung mit dem Titel Berufsfelderkundung, außerdem beginnen die klinischen Praktika auch schon sehr früh. Deswegen wissen Studierende ziemlich rasch, was sie später erwarten wird. Zu den Studienberatungen kommen allerdings oft Schüler, deren Vorstellungen ziemlich stark von den aktuellen Ärzte-Serien im Fernsehen geprägt sind.

Standard: Die Vorbilder kommen aus Fernsehserien?

Straub: Ja, so ist es wirklich. "Emergency Room", "Scrubs" oder "Grey's Anatomy" sind Vorbilder. Eine Zeit lang war Schönheitschirurgie en vogue, dann Herz-Thorax-Chirurgie. Da werden tatsächlich immer wieder recht authentische Fälle gezeigt, muss ich zugeben. Manchmal hilft das bei der Prüfungsvorbereitung: Man lernt noch ein bisschen was und entspannt trotzdem.

Luger: Hätte es diese Serien gegeben, als ich studiert habe, hätte ich sicherlich "Dr. House" werden wollen. Der beobachtet seine Patienten sehr genau, stellt die richtigen Fragen, denkt unkonventionell, spielt Luftschlagzeug und liebt "The Who"! Warum Medizin studieren? (DER STANDARD Printausgabe, 1. Oktober 2007)