Bei Robert Wilson trifft man dagegen auf entschiedenen, vertrauten, in Oper und Schauspiel seit Jahren und auf vielen Bühnen erprobten Kunstwillen. Auf schwarzem Grund werden weiße Neonstäbe immer wieder neu zu starker Bühnengrafik zusammen geschoben. Dem Schwarz-Weiß-Design entsprechen auch Kostüm und Maske: oft aufgepolsterte Gestalten mit markanten Gesichtern und hochstilisierten Frisuren. Alle Figuren bewegen sich zwischen Scherenschnitt, Stechschritt und Struwwelpeter.
Ein Hauch von Stummfilm
Kurt Weills geniale, populäre, hier oft etwas behäbige Musik mit Hans-Jörn Brandenburg am Pult reicht der Regie als Bewegungsimpuls nicht aus. Hier ist jeder Schritt und Tritt ein akustischer Knall. Der Hauch von Stummfilm, der über Wilsons Ästhetik liegt, wirkt oft leicht monoton. Hier dauert es ohnehin fast zwei Stunden, bis der salopp aggressive und subversive Text mit der so passenden musikalischen Schubkraft Weills deutlicher Biss bekommt. Hat hier der Haifisch wirklich Zähne? Wo ist des Menschen sexuelle Hörigkeit? Und wo das Bordell, das unser Haushalt war ? Der Mond über Soho ist eine schmale, zarte Sichel, rund um die ein paar kleine Sternchen nachgeschoben werden. Der soziale Protest, dass erst das Fressen und dann die Moral kommt, greift endlich fast überraschenderweise doch noch. Lob der Gemütlichkeit
Die Stimmung ist über weite Strecken applausfreudig gemütlich. Stefan Kurt als Mac-heath ist schlank, elegant, blond, liebenswürdig und ein bisschen liebenswert gestelzt - kein Mann, der Herzen klaut, Polizeibeamte (Axel Werner) besticht und große, krumme Dinger organisiert.
Da hat Jürgen Holtz als Peachum, Unternehmer für Bettlerverkleidung und strenger, schutzbesorgter Vater einer Tochter, schon mehr Schärfe, und seine Frau (Traute Hoess) schon geradezu fülligen Zynismus. Tochter Polly (Christina Drechsler) ist allzu süß und piepsig in weißem Schleier und findet in Lucy (Gitte Reppin) eher eine Freundin als eine Rivalin.
Traumwandler-Allüre
Ein wunderbarer, begeistert gefeierter Solitär aber ist Angela Winkler als Jenny: Mit bezaubernd flirrenden Vibrato-Koloraturen, mit verwirrter, verirrter Traumwandler-Allüre erhebt sie sich über die formalen Wilson'schen Konturen und formt eine Gestalt von unendlichem Zauber.
Am Ende sucht auch Wilson den Anschluss an die Uraufführung, stellt Caspar Nehers rohen Galgen in den Mittelpunkt, drapiert das Ensemble dahinter und Walter Schmidinger als reitenden Boten des Königs mit roter Schleppe dazu. Da wird die Dreigroschenoper doch noch zur leicht karikierten großen Oper, über die sich der große, geraffte Opernvorhang senkt und stürmischer Applaus die Musik ablöst.