Bild nicht mehr verfügbar.

Elegant stelzt Macheath (Stefan Kurt) durch Robert Wilsons Traumwelten - doch wo hat er die Zähne gelassen?

Foto: dpa/Berliner Ensemble
Berlin - Stürmischer Jubel am Berliner Ensemble für Die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill - zumal aber auch für Robert Wilson, der für Regie, Bühne und Lichtkonzept verantwortlich zeichnet. Dort, im damaligen "Theater am Schiffbauer-damm", hatte sie Erich Engel in der Bühne von Caspar Neher Ende August 1928 uraufgeführt. Mit ähnlichem Erfolg wie heute, während eine von Klaus Maria Brandauer ins völlig Belanglose abgespulte Version im Admiralspalast schräg gegenüber im letzten Herbst gründlich ausgebuht wurde.

Bei Robert Wilson trifft man dagegen auf entschiedenen, vertrauten, in Oper und Schauspiel seit Jahren und auf vielen Bühnen erprobten Kunstwillen. Auf schwarzem Grund werden weiße Neonstäbe immer wieder neu zu starker Bühnengrafik zusammen geschoben. Dem Schwarz-Weiß-Design entsprechen auch Kostüm und Maske: oft aufgepolsterte Gestalten mit markanten Gesichtern und hochstilisierten Frisuren. Alle Figuren bewegen sich zwischen Scherenschnitt, Stechschritt und Struwwelpeter.

Ein Hauch von Stummfilm

Kurt Weills geniale, populäre, hier oft etwas behäbige Musik mit Hans-Jörn Brandenburg am Pult reicht der Regie als Bewegungsimpuls nicht aus. Hier ist jeder Schritt und Tritt ein akustischer Knall. Der Hauch von Stummfilm, der über Wilsons Ästhetik liegt, wirkt oft leicht monoton. Hier dauert es ohnehin fast zwei Stunden, bis der salopp aggressive und subversive Text mit der so passenden musikalischen Schubkraft Weills deutlicher Biss bekommt. Hat hier der Haifisch wirklich Zähne? Wo ist des Menschen sexuelle Hörigkeit? Und wo das Bordell, das unser Haushalt war ? Der Mond über Soho ist eine schmale, zarte Sichel, rund um die ein paar kleine Sternchen nachgeschoben werden. Der soziale Protest, dass erst das Fressen und dann die Moral kommt, greift endlich fast überraschenderweise doch noch. Lob der Gemütlichkeit

Die Stimmung ist über weite Strecken applausfreudig gemütlich. Stefan Kurt als Mac-heath ist schlank, elegant, blond, liebenswürdig und ein bisschen liebenswert gestelzt - kein Mann, der Herzen klaut, Polizeibeamte (Axel Werner) besticht und große, krumme Dinger organisiert.

Da hat Jürgen Holtz als Peachum, Unternehmer für Bettlerverkleidung und strenger, schutzbesorgter Vater einer Tochter, schon mehr Schärfe, und seine Frau (Traute Hoess) schon geradezu fülligen Zynismus. Tochter Polly (Christina Drechsler) ist allzu süß und piepsig in weißem Schleier und findet in Lucy (Gitte Reppin) eher eine Freundin als eine Rivalin.

Traumwandler-Allüre

Ein wunderbarer, begeistert gefeierter Solitär aber ist Angela Winkler als Jenny: Mit bezaubernd flirrenden Vibrato-Koloraturen, mit verwirrter, verirrter Traumwandler-Allüre erhebt sie sich über die formalen Wilson'schen Konturen und formt eine Gestalt von unendlichem Zauber.

Am Ende sucht auch Wilson den Anschluss an die Uraufführung, stellt Caspar Nehers rohen Galgen in den Mittelpunkt, drapiert das Ensemble dahinter und Walter Schmidinger als reitenden Boten des Königs mit roter Schleppe dazu. Da wird die Dreigroschenoper doch noch zur leicht karikierten großen Oper, über die sich der große, geraffte Opernvorhang senkt und stürmischer Applaus die Musik ablöst.

Was Elias Canetti nach der Uraufführung notierte, gilt auch für diese Aufführung von Robert Wilson: "Es war eine raffinierte Aufführung, kalt berechnet. Es war der genaueste Ausdruck dieses Berlin. Die Leute jubelten sich zu, das waren sie selbst und sie gefielen sich. Erst kam ihr Fressen, dann kam ihre Moral, besser hätte es keiner von ihnen sagen können." (Lorenz Tomerius, DER STANDARD Printausgabe, 29./30.9.2007)