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Wien - "Kürzlich ist mir klar geworden, dass Wien mein bevorzugter Ort in Europa ist. Hier leben die meisten meiner Freunde. Ich liebe die Musik, die Museen. Das Hundertwasserhaus und der Naschmarkt gehören zu meinen Lieblingsplätzen." Dass Wien für einen Bass-Großmeister aus Philadelphia zur zweiten Heimat geworden ist, dafür gibt es einen exakt zu benennenden Grund: Wolfgang Puschnig, Altsaxofonist von internationalem Ruf, engagierte Jamaaladeen Tacuma 1987 erstmals für eines seiner Projekte.

Heidi, Hänsel und Gretel

Seither fungieren die beiden, die ein immerhin dreiwöchiger Altersunterschied trennt, als kongeniale musikalische Zwillingsbrüder, deren Chemie sich im Kontext koreanischer Schamanenmusik ebenso zeigte wie in Konfrontation mit der Blasmusik der Amstettner Musikanten. "Als ich die Musiker in Lederhosen zum ersten Mal sah", so erinnert sich Tacuma an die Premiere des grandiosen, 2006 reaktivierten Alpine Aspects-Projekts, "dachte ich zuerst an Geschichten wie Heidi oder Hänsel und Gretel. Doch damals begann ich zu verstehen, dass Musik wirklich eine universelle Sprache ist."

Einen Jamaaladeen Tacuma musikalisch zum Staunen zu bringen, das ist so selbstverständlich nicht. Schließlich wird die Biografie des 51-Jährigen, der 1977 zum Islam konvertierte und dabei seinen Namen Rudy MacDaniel ablegte, von einem der Großen des Jazz geprägt: Ornette Coleman.

Colemans Schatten

Zum Altsaxofonisten aus Texas, der 1960 mit seinem Free Jazz-Album einer neuen Bewegung (wider Willen) zu einem Etikett verholfen hatte, stieß Tacuma als 19-Jähriger, auf Empfehlung der Miles-Davis-Musiker Reggie Lucas und James Mtume. Als Gründungsmitglied von Colemans Prime Time-Band, die als Speerspitze des Free Funk den Jazz der 70er und 80er mitprägen sollte, schrieb er gleich einmal Musikgeschichte mit. Noch 1975 entstand das berühmte Debüt Dancing In Your Head, bis 1987 war Tacuma E-Bassist Colemans. Aus dessen langem Schatten er in seinen eigenen Projekten erst einmal heraustreten musste - mit Resultaten, die ihm u. a. von Bill Laswell den Vorwurf einbrachten, Colemans "Harmolodics"-Konzept zu kommerzialisieren.

"Ich bin mit James Brown, Stevie Wonder, The Temptations aufgewachsen", entgegnet Tacuma. "Als ich meine ersten eigenen Alben machte, wollte ich all dies mit dem, was ich bei Ornette gelernt hatte, zusammen führen. Manche verstanden nicht, dass diese für sie kommerziellen Elemente die Musik sind, von der ich herkomme!"

In diesen Tagen hat Jamaaladeen Tacuma reichlich Gelegenheit, seine Leader-Qualitäten zu beweisen. Am Donnerstag wurde das Drei-Tages-Portrait im Wiener Porgy & Bess mit dem Rock, Funk und freie Improvisation fusionierenden Trio mit Jean-Paul Bourelly und JT Lewis abgeschlossen. Heute, Samstag, wird der Bassist beim Dornbirner proFILE-Festival ebenfalls aus dreierlei Band-Perspektiven beleuchtet und deutet u. a. Hits von Thelonious Monk in Richtung Groove. "Diese Porträts sind eine große Ehre für mich. Österreich gibt mir viel Liebe", so spricht jener Musiker, der Funk nicht nur spielt, sondern zu atmen, zu leben scheint. Und der dennoch meint: "Musik ist nicht das Wichtigste in meinem Leben. Familie und Freunde, gutes Essen und Natur sind ebenfalls essenziell. Aber wenn ich Musik spiele, dann aus ganzem Herzen und mit ganzer Seele." (Andreas Felber, DER STANDARD Printausgabe, 29./30.9.2007)