Als Norbert Pfaffenbichler bei der Diagonale 1998 ein Programm mit dem Titel „Austrian Abstracts“ vorstellte, ging ein erstauntes Raunen durch die Szene: Endlich wurde auch in Österreich der Anschluss an die zeitgenössische Videokunst mit ihren digitalen Mitteln vorgeführt. Die Künstler dieses Programms waren bisher im Umfeld der experimentellen elektronischen Musikszene öffentlich aufgetreten, als Grafiker, Musiker, DJs oder VJs. Die Früchte der kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen Musikern und Videomachern sind mittlerweile jedes Jahr bei österreichischen und internationalen Filmfestivals zu sehen, einige erhielten sogar den Preis für Innovatives Kino.

Die Videos zeichnet eine meist abstrakte visuelle Ebene und ein gleichberechtigter elektronischer Sound aus. Man kann die Arbeiten durchaus in der Tradition der früheren visuellen Musiker wie Hans Richter, Oskar Fischinger oder Harry Smith betrachten. Auch diese verwarfen das Erzählen von Geschichten und alles Theatralische. Sie waren der Ansicht, die Kinematografie sollte Formen und Flächen mit dem ihnen innewohnenden Stimmungsgehalt darstellen.

Der Gebrauch von einfachen grafischen Elementen und die rhythmische Beziehung zwischen Bild und Musik wird in vielen Videos (lia, Michaela Schwentner, [n:ja], Tina Frank, Barbara Doser, Pfaffenbichler/Schreiber, Gustav Deutsch) weitergeführt. Natürlich handelt es sich heute um keine animierte Malerei mehr, sondern um komplexe, meist am Computer generierte Formen. Der Rhythmus ist das elementarste Gestaltungsmittel, geht in ideale Korrespondenz mit wesensverwandter Musik. Manchmal bestehen die Videos aus reiner Grafik, reduzieren sich auf einfache Linien oder geometrische Gebilde, die rhythmisch variiert werden.

Einige Formen dagegen wirken weniger mathematisch, sind verspielter und impressionistischer. Andere unterziehen das filmische (Michaela Grill, Didi Bruckmayr, Jürgen Moritz, Dariusz Kowalski, Billy Roisz, skot) oder fotografische (Karø Goldt, Ben Pointeker) Ausgangsmaterial einem Abstraktionsprozess auf der Suche nach einer digitalen Reinterpretation der analogen Abbildung. Hier ist eine reichhaltige Themenvielfalt in der Wahl der eigenen oder fremden Bilderwelt gegeben, die wiederum in den Bearbeitungsprogrammen des Computers ihre neue, meist lyrische Identität erhält. Ein Stück Schallplatte wird zum zerkratzten Archivobjekt; Pflanzenbilder werden in Farbstreifen aufgelöst; das Selbstporträt gleicht einem deformierten Cyborg; eine historische Straßenbahnfahrt durch Wien ist nur mehr in Spuren sichtbar; Wetterbeobachtungen ziehen beschleunigt vorbei. Nie werden die Bilder als simple Illustration eines Songs wie im herkömmlichen Musikvideo verwendet.

Trotz der formalen Strenge verblüfft vor allem die sinnliche Qualität der Arbeiten: visuelle Opulenz, Farbexplosionen, der opernhafte Gestus, Wahrnehmungsräusche und wirklich guter Sound.

Brigitta Burger-Utzer ist Geschäftsführerin von „sixpackfilm“