1988 hatte am Wiener Volkstheater ein Stück von Joshua Sobol Premiere, das der Autor sechs Jahre zuvor erfolgreich in Haifa auf die Bühne gebracht und das danach einen Siegeszug durch Europa (u. a. wurde es 1986 am Hamburger Schauspielhaus unter Peter Zadek realisiert) angetreten hatte. Und Weiningers Nacht, in der Inszenierung von Paulus Manker, der auch die Hauptrolle spielte, wurde auch in Wien zum Triumph. Die Kritik, jubelte (mit Ausnahmen), das Publikum tobte vor Begeisterung – ob immer aus den richtigen Gründen, sei dahingestellt. Es war dies die erste Zusammenarbeit Mankers mit Sobol, dessen spektakelhaftes „Polytheater“ dem umtriebigen Regisseur und Schauspieler auf den Leib geschneidert zu sein schien. So folgten binnen weniger Jahre Der Vater, das triumphale Alma – A Show Biz ans Ende, uraufgeführt bei den Wiener Festwochen 1997 im Sanatorium Purkersdorf, und F@lco – A Cyber Show.

Der Theatererfolg von Weiningers Nacht zog, wenig überraschend, eine filmische Umsetzung nach sich, die Manker großteils mit der Originalbesetzung der Volkstheater-Inszenierung in Angriff nahm und die im März 1990 ins Kino kam. Manker belässt das Geschehen weitgehend in seinem theatralen Raum, nämlich der Wohnung in Beethovens Sterbehaus, in der sich der 23-jährige Philosoph Dr. Otto Weininger im Oktober 1903 eingemietet hatte, um dort Selbstmord zu begehen. Im revueartigen Rückblick auf sein kurzes Leben entfaltet sich die grelldüstere Show vom Untergang eines neurotischen Frauen- und Selbsthassers, dessen „jüdischer Antisemitismus“ in der Folge vielen nichtjüdischen Antisemiten als willkommene Quelle diente. Die Grenzen zwischen Wahn und Realität sind fließend, Albträume und Visionen geben einen glaubhaften Eindruck vom Zustand Weiningers in dieser seiner letzten Nacht, als sein Leben an ihm vorüberzieht.

Begegnungen mit prominenten Persönlichkeiten wie Strindberg und Freud (der Weininger, wohl nicht ganz uneigennützig, eine herbe Abfuhr erteilte), einem Doppelgänger (gespielt von Josefin Platt), seinem einzigen Freund Berger (real: Gerber) und seinen Eltern ergeben ein Stationendrama, durch das, erwartbar, der Schauspieler Manker – vom Regisseur Manker kaum gebremst – wild wütet. Und doch sind es die stilleren Szenen, die am meisten im Gedächtnis bleiben, Momente der Reflexion, in denen die zugrunde liegende Tragik dieser gequälten und verirrten Seele besonders deutlich wird. Weiningers Nacht erhellt darüber hinaus die gerne verdrängte Tatsache, dass der Antisemitismus in Österreich nicht erst mit Hitlers Machtübernahme salonfähig wurde. Gerade um die Jahrhundertwende, auf dem Höhepunkt des viel gepriesenen „jüdischen Geisteslebens“ in Wien, begann mit der Übernahme des Bürgermeisteramtes durch den Christlichsozialen Karl Lueger ein scharfer Wind zu wehen.

 

Andreas Ungerböck ist Herausgeber des Filmmagazins „ray“.