Elmar Altvater

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Guido Hülsmanns Replik auf Jörg Huffschmid ist schnoddrig, daher erfrischend, aber gar nicht radikal und obendrein ein grandioser Unfug. Er hätte wie der Staubsauger im alten Beatles-Film "The Yellow Submarine" sich selbst aufsaugen müssen. Wenn schon ohne Staat, dann bitte auch ohne staatlich direkt oder indirekt finanzierte Professoren.

Überhaupt sollte sich jeder "Professor" nennen können. Und die Kinder sollen nicht auf öffentliche Schulen gehen. Öffentlicher Nahverkehr möge verschwinden und das private Automobil endlich zu seinem Recht kommen. Aber bitte auf privat finanzierten Straßen, nicht auf öffentlichen.

Die Bahn soll privat werden und dann werden die Strecken so geführt wie zur Zeit der Kaffee-Barone im Bundesstaat Sao Paulo: kreuz und quer durch die Landschaft zu den Herrensitzen der Fazendas und an den Agglomerationen der Massen vorbei. Es geht ja nicht um Verkehrsbedürfnisse, sondern um profitträchtige Abschöpfung von Kaufkraft. In dieser privaten Anarchowelt werden nicht nur die Freie Universität Berlin oder die Technische Universität München wie Unternehmen geführt, der Rendite verpflichtet und nicht der Wahrheit, dem Erkenntnisdrang oder dem Eros der Pädagogik. Irgendwie wird man das Kulturerbe der Menschheit schon auf den Hülsmann kriegen.

Ich befinde mich in diesen späten Sommertagen auf einer Ägäis-Insel, schaue durch eine purpurrote Bougainvillea aufs Mittelmeer und lese Thomas Morus "Utopia". Warum das Ausmalen einer utopischen Gesellschaft? Weil im England des ausgehenden 15. Jahrhunderts die frühkapitalistischen Zustände Menschen und Gesellschaft zerstörten, so wie Marx dies später in seinen Ausführungen über die ursprüngliche kapitalistische Akkumulation bitter analysiert hatte. Die Insel Utopia war das radikale Gegenstück zum England der enclosures, der Landvertreibung, des Elends und des massenhaften Hängens der Elenden.

Utopia hatte keinen Staat im modernen Sinne. Aber es gab auch keinen entfesselten Markt. Leben und Arbeit waren gemeinschaftlich, sehr hierarchisch-ordentlich organisiert. Das war vor der Zeit, die Karl Polanyi als "great transformation" zu einem aus der Gesellschaft "entbetteten Markt" beschrieb. Die entbetteten Märkte wirken, so fügt er hinzu, wie Satansmühlen, die die Arbeitskraft und die Natur sowie die gesellschaftlichen Institutionen zerstören.

Die Liberalen von heute sind borniert genug, um die zerstörerische Kraft der Märkte zu verdrängen. Sie kommt in ihrer neoliberalen Kommunikation nicht oder allenfalls mit dem Schumpeter'schen Attribut "schöpferisch" vor. Doch Marktliberale haben eine große Klappe, und wenn es ums Eingemachte, d.h. um die eigenen Privilegien geht, sind sie hasenherzig.

Die alten Liberalen des 18. Jahrhunderts haben ihre Theorien, z.B. die Metapher von der unsichtbaren Hand des Marktes, gegen die Eingriffe der Obrigkeit ins gesellschaftliche Leben entwickelt. Das war durchaus fortschrittlich und riskant. Heute sind die Neoliberalen nur noch reaktionäre Propagandaesel der herrschenden Eliten.

Es ist frustrierend, die - mit Verlaub – ziemlich ignoranten Ausführungen zu den Finanzkrisen zu kommentieren. Denn man muss sich auf ein Argumentationsniveau hinunter begeben, das schon seit Generationen überwunden ist. Ob Markt- oder Staatsversagen zu den Krisen führt, ist ziemlich unwichtig. Die globalen Krisen haben systemische Ursachen, sind die Ausdrucksformen der Entwicklungsdynamik eines finanzgetriebenen Kapitalismus. Sie kommen unbeteiligte Menschen teuer zu stehen und sie bescheren den Staatshaushalten (aber von Staat reden wir besser nicht) hohe Verluste, die die Bürger zu tragen haben.

Um die Dynamik der Finanzkrisen verstehen zu können, muss man mehr als Geld haben: man muss sich einen Begriff von Geld erarbeiten. Man muss zumindest wissen, dass Geld als Zahlungsmittel in der Zeit Vergangenheit (in der Kreditsicherheiten produziert wurden), Gegenwart (in der Investitionsentscheidungen getroffen werden) und Zukunft (in der die Kredite bedient und getilgt werden) verknüpft, daher Unsicherheit und Risiken in die Ökonomie bringt. Allein diese keynesianische Charakterisierung jeder Markt- und Geldwirtschaft qualifiziert Hülsmanns Aussage, der Staat habe die Depressionen der vergangenen Jahrzehnte geschaffen, als einen Abgrund von Unsinn.

Weder Hülsmann noch die Leute von Wörgl, wohl aber Helmut Kohl haben verstanden, dass Geld auch ein Gemeinwesen zusammenhält. Die Tauschringe in Argentinien nach der Finanzkrise 2001 waren ein Kind der Not und ein Ausdruck der gesellschaftlichen Zersetzung. In Wörgl war die Autonomie des Tauschrings immer begrenzt. Denn die lokale Währung war mit einem Wechselkurs an die nationale Währung Österreichs gebunden. Der ehemalige Bundeskanzler Kohl hatte die synthetisierende Kraft des Geldes instinktiv verstanden, als er die damalige DDR erst mit der DM "beglückte" und danach zur BRD "beitreten" ließ.

In den "unternehmerischen Universitäten", die heute à la mode sind und sich in Werbeanzeigen in der FAZ und anderswo anpreisen wie 180 Tonnen Ekelfleisch, mag ja Hülsmanns Sermon auf Resonanz stoßen. In der der Wissenschaft "noch" verpflichteten Gemeinschaft und erst recht im kritischen Denken gießt man besser die Milch des Mitleids darüber aus.