Foto: Petra Spiola

"Bei einem Mann wird Erfolg als selbstverständlich akzeptiert, Frauen werden hingegen unterschätzt und müssen selbst initiativ werden. Ich war immer sehr selbstständig."

 

Die Mykoplasmen-Expertin Renate Rosengarten erklomm den Karrieregipfel im völligen Alleingang, hat kollegialen Neid abgeschüttelt und strebt ein inspirierendes Forschungsklima an, wo alle MitarbeiterInnen gleichwertig sind. Ein Porträt von Gastautorin Teresa Arrieta.

Position: Leiterin des Instituts für Bakteriologie, Mykologie und Hygiene der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Gründerin (2003) und Geschäftsführerin von Mycosafe.
Ausbildung: Studium der Biologie und Veterinärmedizin an der Universität Hannover und Tierärztlichen Hochschule Hannover.
Branche: Forschung und Entwicklung im Bereich der veterinär- und humanmedizinischen Mikrobiologie und biopharmazeutischen Qualitätskontrolle

 

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"In den USA, das war einfach ein anderes Leben", schwärmt Renate Rosengarten. Mit viel Herzlichkeit und Unkompliziertheit sei sie an der University of Missouri als junge Post-Doktorandin empfangen worden. Jenseits von Hierarchie und Bürokratie – alle seien dort gleichwertig gewesen. "Die Arbeit war so spannend, dass wir oft die ganze Nacht durchgemacht haben", so schildert sie die Sternstunden ihres damaligen Forscherinnen-Lebens. Um drei Uhr früh hätte sich das Team noch eine Pizza bestellt. Nach ein paar Stunden lästigen obligatorischen Schlafes sei sie dann gleich wieder ins Labor zurückgekehrt.

Ja, Renate Rosengarten lebt für ihren Job, ein richtiges Arbeitstier, das sich auch dann nicht aufhalten lässt, wenn das profane Leben außerhalb des Labors ihre Arbeitswut zu erschweren trachtet: Bei einem Forschungsaufenthalt in Israel war sie dermaßen getrieben von dem Wunsch, "etwas weiterzubringen", dass sie sogar am Sabbat ins Labor ging, bei abgedrehter Klimaanlage und nur eingeschränkt zugänglicher technischer Ausrüstung. "Aber es gab auch israelische Forscher, die am Sabbat arbeiteten", sagt sie entschuldigend. Liebenswürdig, unaufdringlich und zurückhaltend ist Renate Rosengarten, nobles Understatement klingt aus jeder ihrer Schilderungen. Ihre fulminante Karriere habe eher "auf Glück und Zufall beruht", wiegelt sie Beifallskundgebungen ab. Als Kind sei sie stets hinter ihrem Bruder zurück gestanden, bis heute ist sie keine, die nach vorne prescht und ihre Meriten vor sich her trägt – dabei hätte sie allen Grund dazu.

Sensationserfolg in den USA

Bereits als junge Post-Doktorandin landete sie in den USA unverhofft einen wissenschaftlichen Volltreffer: Ihre Erkenntnisse zur Wandlungsfähigkeit der Mykoplasmen-Oberfläche wurden zur Titelstory des renommierten "Science Magazine", das von ihr beigelegte Mykoplasmen Foto kam prompt aufs Cover. "Es war ein wunderschönes buntes Bild, die Story war für mich und meine amerikanischen Kollegen ein riesiger Durchbruch, mit Presse und weiteren Papers." Um Mykoplasmen, diese kleinen Bakterien ohne Zellwand, die ein geringes Genom aufweisen und zu chronischen Krankheiten wie Lungenentzündung oder Arthritis bei Mensch und Tier führen, dreht sich Renate Rosengartens Forscherleben bis heute. Denn häufig erweisen sich diese Krankheitsträger als therapieresistent, weil sie über die Fähigkeit verfügen, sich im Wirtsorganismus zu verstecken und der Immunantwort auszuweichen.

Das Interesse für winzige, mit freiem Auge nicht auszumachende Lebewesen war bei Renate Rosengarten von klein an ausgeprägt: Als Kind einer großbürgerlichen norddeutschen Familie wuchs sie auf einem riesigen Anwesen mit Wäldern und Teichen auf und staunte schon damals über die Wunder der Natur. Als sie zum Geburtstag ein Mikroskop bekam, untersuchte sie stundenlang Wassertropfen: "Mich hat immer schon das Unsichtbare fasziniert."

Frausein als Karrierehindernis

Nach den anfänglichen amerikanischen Sensationserfolgen wollte man Renate Rosengarten in Deutschland zurückhaben, doch diese Rückkehr stand unter keinem guten Stern: Allzu groß war der "Kulturschock" nach der lockeren Amerika Zeit. "Es war alles sehr bürokratisch und hierarchisch in Deutschland, dieses Gleichwertigkeitsgefühl der USA fehlte", schildert Renate Rosengarten den schwierigen Neueinstieg. Zwar versuchte sie, eine eigene Arbeitsgruppe aufzubauen und es gelang ihr auch, Forschungsgelder einzuwerben. Doch dieser neuerliche Erfolg führte zu derart vehementem Neid, dass sie sogar Rechtsberatung in Anspruch nehmen musste und schließlich an die Hadassah Medical School der Hebrew University Jerusalem nach Israel flüchtete. "Wäre ich ein Mann gewesen, hätte man in Deutschland meine Erfolge eher akzeptiert", ist die Top-Forscherin überzeugt.

Viel freundlicher wurde sie hingegen im aufgeschlossenen Israel empfangen. Dort beeindruckten sie nicht nur die Herzlichkeit der ForscherInnengemeinde, sondern auch die überwältigende Landschaft. Täglich wanderte sie um halb sieben Uhr früh den Berg nahe der Hadassah Medical School hinauf, um Kraft in der Natur zu tanken: "Der Ausblick war einmalig."

Zwei Jahre später erfolgte der Ruf nach Wien, als Vorstand des Instituts für Bakteriologie, Mykologie und Hygiene an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Auch hier kam ihr das Frausein anfangs in die Quere: Nicht nur, dass sie damals erst die zweite ordentliche Universitätsprofessorin an der VetMed war, sondern sie war anfangs die jüngste Professurinhaberin sogar im Männervergleich und obendrein Institutsvorstand – zuviel des Guten. "Noch eine Frau, das ist uns hier zuviel", entfuhr es einem Wiener Kollegen älteren Semesters – eine Äußerung, die Rosengarten trotz aller Standfestigkeit verunsicherte und verletzte. "Aber vielleicht war es nicht so gemeint, die Wortwahl war halt unglücklich", relativiert sie heute nobel. Einfach seien die Anfänge jedenfalls nicht gewesen, lang hatte sie zu kämpfen, um ihr Institut wissenschaftlich flott zu machen.

Eigene Firma, Hochkultur und Briefmarken

Heute versucht sie, die in den USA genossene Gleichwertigkeit auch an der Wiener Universität zu leben und so ein inspirierendes Forschungsklima zu schaffen. Die MitarbeiterInnen ihres Institutes danken es ihr mit ausgezeichneten Forschungsleistungen und Begeisterung für die Sache: "Manche Kolleginnen, die beispielsweise in Karenz sind, wollen danach unbedingt wieder zu mir zurück." Eine wichtige Stütze ist ihr heute das von ihr Ende 2003 gegründete Spin Off, die Firma Mycosafe. Hier werden für die biopharmazeutische Industrie Impfstoffe und andere Biologika auf Mykoplasmenfreiheit erprobt, sowie raschere Testmethoden entwickelt. Synergien mit der Mykoplasmen-Forschung am Institut ergeben sich ideal.

Als nächsten Schritt möchte sie jemanden mit der kooperativen Weiterentwicklung der Firma auf internationaler Ebene betrauen, um vielleicht mehr Freizeit gewinnen zu können, denn die Wissenschafterin genießt Wiens Kultur: "Klassische Musik hat mich schon als Kind begeistert und den Goldenen Saal im Musikverein genieße ich einfach." Auch möchte sie einer weiteren Leidenschaft in Zukunft mehr Raum geben: Der Philatelie, Spezialgebiet Altdeutschland. Die Hannoverschen Briefmarken wecken Assoziationen mit ihrer Familie, die angesehene Papierfabrikanten in Osnabrück waren. "Über die Briefmarken hab ich mich immer schon gerne mit meiner Familiengeschichte bis zu Karl dem Großen befasst."

Als Frau hätte sie es in ihrer Karriere bisher immer schwer gehabt, meint sie rückblickend. "Alles, was ich geschafft habe, beruhte auf Eigeninitiative, mich hat kaum jemand unterstützt." Man müsse sich mitunter eben alternative Wege schaffen, um trotzdem erfolgreich sein zu können. "Meine Devise war immer: Weitermachen, hartnäckig am Ziel dran bleiben."