Das Gründungsteam des "Lesbischen Herbsts" bei der Tagung 2006 (v.li.n.re.):
Cornelia Kähler, Yvonne Ford und Maria Nesselrath
Foto: Uta Chlubek/Lesbischer Herbst 2006
Cornelia Kähler (Hg.)
Tagungsdokumentation
"Lesbischer Herbst 2006"- "Je älter wir werden, desto lesbischer werden wir"
Verlag Dörner+Karbowy
216 S., ca. 23 Euro

Vor zwei Jahren machte sich Cornelia Kähler, Übersetzerin, Mitte Fünfzig, lesbisch, auf die Suche nach Freizeitangeboten für lesbische Frauen, bei denen sie sich auch altersmäßig zugehörig fühlte. Die Suche blieb erfolglos: "Da dachte ich: gut, wenn es das nicht gibt, dann müssen wir es eben erfinden."

 

"Wir", das sind Kähler und die Mitgründerinnen Yvonne Ford und Maria Nesselrath, alle drei kannten sich aus einem von Kähler gestarteten Internetforum, alle drei sind Teil der "ersten Generation offen lebender Lesben in Deutschland, die 'in die Jahre kommt'": "Gemeinsam überlegten wir, wie eine Tagung für ältere Lesben aussehen müsste, was uns beschäftigt, worüber wir diskutieren würden", schildert Cornelia Kähler. "Wir verstehen unsere Initiative als einen Beitrag zu einer lesbischen und feministischen Kultur – ein viel versprechender Anfang einer neuen Phase der Lesbengeschichte."

Sichtbar machen – sichtbar werden

Die Idee wurde bei Interessentinnen und Fachfrauen mit viel Begeisterung aufgegriffen. Im November 2006 startete schließlich der erste "Lesbische Herbst" mit dem Titel: "Je älter wir werden, desto lesbischer werden wir". 110 Frauen aus dem deutschsprachigen Raum nutzten die erste Tagung für Gespräche, Vorträge und Begegnung zu Lesbenkultur heute, zu Politik und Literatur, zu Medizin und Spiritualität.

"Wesentlich war und ist uns dabei das Sichtbarmachen und Sichtbarwerden älterer lesbischer Frauen", sagt Kähler im Gespräch mit dieStandard.at, denn: "Die Gesellschaft nimmt ältere Lesben ebenso wenig wahr oder ernst, wie sie ältere Frauen überhaupt wahr- oder ernst nimmt. Sie sind eine große, graue Menge hinter der lesbische Frauen erst recht verschwinden - dabei haben sie so viel zu sagen, wenn man sie nur fragen würde." Der "Lesbische Herbst" wolle aber auch gegen die vorherrschenden Klischees zu älteren Lesben ankämpfen: "Wir sind nicht immer arm, lustfeindlich und ein Anhängsel von Schwulen. Wir sind nicht nur Randgruppe und Diskriminierungsopfer, sondern auch Teil der Gesellschaft." Kähler sieht hier Parallelen zu unverheirateten Müttern: "In den 50er- und 60er-Jahren lebten sie ausgegrenzt, dann wurden sie mehr und mehr sichtbar, deshalb hat sich die Gesellschaft an sie gewöhnt und mit der Zeit haben sie sich ihren fixen Platz erworben – das wird mit älteren Lesben auch passieren."

"Junges" und "altes" Alter

Lesbische Frauen zwischen 50 und 70 heute sind also die erste ältere Generation, die sich bewusst erlauben kann, ihr Lesbischsein offen zu leben. Warum die Unterscheidung in "junges" und "altes" Alter? "Weil die 50- bis 70-jährigen Frauen eine ganz eigene Gruppe darstellen – ihr Lebenshorizont ist anders. Lesbische Frauen dieser Altersgruppe wollen nicht mehr gegen Diskriminierung kämpfen wie die Jungen, sondern haben das starke Bedürfnis, mit dem eigenen Lebensentwurf nun in Ruhe zu leben. Gleichzeitig sind sie aber noch längst nicht alt, sondern fit, aktiv und interessiert. Früher teilte sich das Leben einer Frau in drei Abschnitte: Kind – Heirat, Familie – Alter. Heute gibt es zwei Phasen des Alterns: die erste ab 50, die zweite mit 70 oder 80. Viele Frauen können sich ab 50 erstmals von Pflichten und Verantwortung lösen, haben mehr Zeit um sich all dem zu widmen, was in ihrem Leben bisher zu kurz kam – aber es gibt kaum Angebote für sie. Die finden sich erst ab 70 wieder, wo es darum geht, den Lebensabend zu gestalten – aber da sind wir noch lange nicht!"

Sandkastenlesben und Late Bloomers

Besonders viel Zulauf habe der "Lesbische Herbst" von so genannten "Late Bloomers", Frauen, die ihr Lesbischsein lange Zeit versteckt gelebt haben, weil sie in den 50er-Jahren aufgewachsen sind, wo es sehr schwierig war, sich zu outen. Viele von ihnen hätten deshalb erst eine ganz normale Ehe geführt, Kinder bekommen. Manche, wie auch Mitgründerin Yvonne Ford, kamen so überhaupt erst sehr spät darauf, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlen, weiß Kähler: "Das kann eine große innere Belastung sein, wenn eine Ehefrau und Mutter plötzlich merkt, dass da noch etwas anderes ist, das sie sein will. Sie muss sich überlegen, wie sie es ihren Kindern sagt und wie sie ihrem Ehemann beibringen soll, dass sie ihn verlassen will, weil sie eine Frau liebt. Die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit dem Selbstbild und der Weg zum Outing dauern bei diesen Frauen oft sehr lang."

Lust auf Lust

Um mehr Platz für Diskussionen zu konkreten Themen zu bieten, wird es ab 2008 erstmals auch eine Frühlingstagung des "Lesbischen Herbst" geben: Die so genannte "Walpurgistagung" von 25. bis 27. April wird sich dem Thema "Sexualität" widmen: "Ein zutiefst persönliches und individuelles Thema, das uns lebenslang begleitet – und vielleicht das lesbischste aller Themen", sagt Kähler.

Ein Mehr an Erfahrung

Vorher gelte es aber noch die zweite, komplett ausgebuchte, Herbst-Tagung von 16. bis 18. November zu organisieren. Diesmal geht es um "Ein Mehr an Erfahrung - ein Mehr an Unabhängigkeit", die veränderte Sicht auf das Leben und die Welt, die Einordnung der bisherigen Lebenswege und um Veränderung: "Lesben leben heute zunehmend selbstverständlicher. Wenn wir älter werden, bewerten wir unser Lesbischsein anders, wir sind gelassener, kümmern uns weniger um die Meinung anderer – mir ist heute nicht mehr wichtig, was der Postbote denkt, wenn er 'Lesbischer Herbst' auf meinem Briefkasten liest." (isa/dieStandard.at, 24.9.2007)