Auch der Mittelspecht fühlt sich in Wiens Wäldern wohl. In keiner größeren Stadt Europas sind so viele verschiedene Spechtarten in dieser Menge vertreten wie in Wien.

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Mit einer einzigen Ausnahme brüten alle Spechtarten des Kontinents innerhalb der Stadtgrenzen - und zwar so dicht wie sonst nirgendwo

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Wien - "Alle Spechte sind schon da, alle Spechte, alle." Es fehlt nicht viel, und man könnte in Wien diese Variation des Kinderliedklassikers tatsächlich anstimmen. Denn bis auf den Dreizehenspecht leben alle in Europa existierenden Spechtarten innerhalb der Stadtgrenzen der Bundeshauptstadt.

Neben dem allseits bekannten Buntspecht brüten in Wien also der Grün-, Grau-, Schwarz-, Blut-, Mittel-, Weißrücken- und Kleinspecht sowie der Wendehals. Das hat eine kürzlich fertig gestellte Studie des Konrad-Lorenz-Institutes für Vergleichende Verhaltensforschung am Wilhelminenberg ergeben. Die Spechte kommen noch dazu in so großen Stückzahlen vor, dass man sie - ein bisschen Glück und Fachwissen vorausgesetzt - innerhalb von ein bis zwei Tagen alle zu Gesicht bekommen kann.

Geleitet wurde die Untersuchung vom Zoologen Hans Winkler, beteiligt waren aber auch Mitglieder des Österreichischen Forstfachverbandes und Schüler der Forstschule Waidhofen/Ybbs, die nicht nur hunderte Nistkästen bauten, sondern auch das Untersuchungsgebiet vermaßen. Das bestand im Wesentlichen aus dem im Westen Wiens gelegene Ottakringer Wald, wo Rotbuchen an kühl-feuchten Standorten und Eichen in trockenen, sonnigen Lagen gedeihen.

Höchste Spechtdichte

Wie die Untersuchungen ergaben, sind es vor allem gemischte Bestände von Trauben- und Zerreichen, die den Wald für die Spechte attraktiv machen. In solchen Eichenwäldern brüten zehn Buntspecht-Brutpaare pro zehn Hektar, beim Mittelspecht sind es vier. In Waldteilen, an denen Buchen und Eichen gemischt vorkommen, ist die Dichte halb so hoch.

Diese weltweit einzigartige Spechtdichte im westlichen Wienerwald lässt sich, wie die Untersuchung zeigte, vor allem durch das Angebot an abgestorbenen Ästen erklären. Unter ihrer Rinde finden die Vögel einen reich gedeckten Tisch in Form zahlreicher Insekten vor. Auch hier spielen Eichen eine besondere Rolle, denn an ihnen finden sich besonders viele tote Äste, selbst wenn die Bäume gesund sind.

Morsch hingegen müssen Bäume sein, wenn sie Spechten als Nistplatz dienen sollen: Die Vögel haben zwar einen harten Schnabel - und einen speziell konstruierten Schädel, der verhindert, dass ihr Hirn bei dem Gehämmere Schaden nimmt. In grünem Holz jedoch können auch sie keine Bruthöhlen zimmern. Von der Bautätigkeit der Spechte profitieren zahlreiche andere Tiere, die zwar Höhlen brauchen, sie aber nicht selbst anlegen können. Dazu gehören unter anderem Siebenschläfer, Marder, Meisen und verschiedene Eulen- und Fledermausarten, die die Spechthöhlen übernehmen.

Umstrittene Nistkästen

Wo es zu wenig morsche Bäume gibt, können Nistkästen Abhilfe schaffen - was gerade in einer zweiten von der Stadt Wien beauftragten Studie untersucht wird: Dabei geht es unter anderem um die optimalen Dimensionen der Nisthilfen. Polnische Forscher haben nämlich herausgefunden, dass Vögel, die in natürlichen Höhlen brüten, bessere Bruterfolge erzielen als solche in Nistkästen. Ob, wie vermutet, die größere Raumhöhe der Naturhöhlen dafür verantwortlich ist, soll nun im Wienerwald erforscht werden.

Während die optimale Größe von Nistkästen verhandelbar sein dürfte, wagt sich die Studie noch weiter vor und will ihre prinzipielle Sinnhaftigkeit untersuchen. Im Zuge der Beobachtungen der letzten Jahre entstand nämlich bei den Vogelkundlern der Verdacht, dass an beliebigen Stellen aufgehängte Nistkästen eine ökologische Falle darstellen könnten. Wenn Nistplätze der limitierende Faktor für die Besiedlung eines Reviers sind, könnten ohne entsprechendes Hintergrundwissen zur Verfügung gestellte künstliche Nisthilfen mehr Vögel anlocken, als das Territorium tatsächlich ernähren kann.

Staub dürfte die Studie zumindest unter Vogelfreunden allemal aufwirbeln. "Die Untersuchung hat mir schon etliche Anfragen eingebracht, bevor sie richtig angelaufen ist", erklärt Projekt-Organisator und ÖFF-Obmann Jürgen Arno Auer. Sollte sich der Verdacht bestätigen, bedeutet das zwar nicht notwendiger Weise das Aus für Nistkasten-Aktionen. Wohl aber das Einbeziehen neuer Aspekte bei der Auswahl der entsprechenden Plätze. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23. 9. 2007)