Wien - "Unfair, ungustiös und pietätlos" - sagt der eigene Anwalt einmal so etwas über die Äußerungen seines Mandanten, müssen diese heftig sein. Beispielsweise: "Die gute Meldung zum Jahresbeginn: Liese Prokop, Bundesministerin für Folter und Deportation, ist tot." Weil Michael Genner, Obmann der Menschenrechtsorganisation "Asyl in Not" diesen Satz am 1. Jänner in eine Presseaussendung geschrieben hat, steht er Mittwochnachmittag am Wiener Landesgericht vor Richterin Lucie Heindl-Koenig. Und sein Anwalt Alfred Noll moralisch eher nicht hinter ihm.

"Die Aussendung kann man nicht verteidigen", legt sich Noll in seinem Schlussplädoyer fest. Geschmacklos sei sie. Aber: nicht strafbar. Denn das Recht auf freie Meinungsäußerung stünde höher. Und der Vorwurf der "üblen Nachrede", den Prokops Witwer Gunnar erhoben hatte, könne zu keiner Verurteilung führen. Was die Zuhörerinnen und Zuhörer, Unterstützer Genners, ebenso sehen.

Nur sind die mehrheitlich keine Juristen, und Vorsitzende Heindl-Koenig urteilt nicht "vom menschlichen Standpunkt, sondern straf- und medienrechtlich". Eine Frage hat sie vor allem zu klären: Ist Genners Aussendung ein "Wertungsexzess" oder Kritik, die ihm als NGO-Vertreter zusteht? Folgt sie Genners und Nolls Verteidigungslinie? Dass tägliches Erleben von Flüchtlingsschicksalen dazu führt, dass man psychische Folterpraktiken, gedeckt vom Fremdenrecht, ortet?

NS-Assoziationen

Für Heindl-Koenig ist die Antwort eindeutig: "Meiner Meinung nach ist die Kritik einfach einen Schritt zu weit gegangen." Daher die nicht rechtskräftige, teilbedingte Geldstrafe von 1200 Euro. Denn obschon bekannt sei, dass Flüchtlinge in Schubhaft retraumatisiert werden können: "Ministerin für Folter" impliziere persönliche Unterstützung auch für körperliche Misshandlung, und "Deportationen" würden mit dem NS-Regime assoziiert.

Politiker müssten zwar "mehr aushalten" (im Februar hat sie Peter Westenthaler gegen Werner Schneyder in der Causa "blau-oranges Pack" abblitzen lassen), aber in diesem Fall - ein Wertungsexzess. (Michael Möseneder/DER STANDARD, Printausgabe, 20.9.2007)