Wiener Studie belegt die Wirkung der Lichttherapie

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Nun ist es wieder so weit: Das Wetter kippt ins Trübe, die Tage werden kürzer, Himmel und Landschaft, Städte und Dörfer hüllen sich zunehmend in tristes grau. Es sind nicht die besten Aussichten und folglich betrachtet wohl kaum jemand den Herbst als favorite Jahreszeit.

Saisonbedingte Depression

Besonders unangenehm ist der Übergang in die kältere Jahreshälfte jedoch für Menschen mit saisonabhängigen Depressionen – kurz SAD. Diese auch als Herbst-Winter-Depression bekannte Krankheit lähmt Antriebskraft und Lebensfreude. Nach vorsichtigen Schätzungen leiden in unseren Breiten mindestens 1-2 Prozent der Bevölkerung unter der schweren Form von SAD. Circa ein Achtel zeigt "subsyndromale" Symptome.

Knappes Tageslicht-Seelisches Leiden

Interessanterweise nimmt die Häufigkeit dort zu, wo die Wintertage nur wenige Stunden dauern oder gar gänzlich fehlen. "In Nordskandinavien ist die Prävalenz viel höher", erklärt der Psychiater Matthäus Willeit von der Abteilung für Biologische Psychiatrie an der Medizinischen Universität Wien im Gespräch mit dem STANDARD. Offensichtlich löst knappes Tageslicht das seelische Winterleiden aus. Aber wie? Dieses Rätsel versuchen Willeit und Kollegen zu lösen.

Botenstoff Serotonin

Schlüsselsubstanz bei der Entstehung vieler depressiven Erkrankungen ist nach bisherigen Erkenntnissen der Botenstoff Serotonin. Er ist ein Umwandlungsprodukt der Aminosäure Tryptophan und dient an den Schaltstellen zwischen Nervenzellen – den so genannten Synapsen – als Signalüberträger. Depressive Verstimmungen gehen oft mit Serotonin-Mangel einher. Ein solches Defizit beobachten Mediziner auch bei SAD-Patienten.

Feinheiten der Steuerung

Um die Feinheiten des Serotonin-Steuerung tiefer zu ergründen, untersuchten die Wiener Forscher die Aktivität des Transportproteins 5-HTT im Blut von winterdepressiven Menschen und verglichen diese mit den Werten gesunder Personen. 5-HTT reguliert die Verfügbarkeit von Serotonin in den Synapsen.

Bei SAD-Betroffenen liegt eine "Hyperfunktionalität" des Proteins vor, berichten Willeit und Co-Autoren heute in der Fachzeitschrift "Neuropsychopharmacology". Es transportiert das Serotonin zu schnell aus dessen Einsatzbereich in den Synapsen heraus und verursacht so den besagten Mangel.

Versuch mit Lichttherapie

Nach der ersten Probeserie behandelten die Experten ihre SAD-Patienten und die gesunden Testpersonen vier Wochen lang mittels Lichttherapie. Hierzu setzten sich alle Versuchsteilnehmer täglich nach dem Aufstehen für 45 Minuten in das Licht einer speziellen 10.000 Lux-Lampe.

Verblüffende Ergebnisse

Die Auswirkung dieser bereits jahrelang eingesetzten Therapieform auf die 5-HTT-Aktivität war verblüffend: Bei etwa zwei Dritteln der Depressiven zeigte das Protein eine deutlich reduzierte Transport-Tätigkeit. Das Wohlbefinden dieser Patienten besserte sich, ungefähr die Hälfte von ihnen wurde sogar symptomfrei. "Und auch bei den Kontrollpersonen konnten wir einen positiven Effekt der Lichttherapie feststellen", erklärt Matthäus Willeit erfreut.

Kostenlose Leihgeräte

Die Wiener Studie ist nicht nur ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Entschlüsselung des Serotonin-Haushalts, sondern zugleich ein beeindruckender wissenschaftlicher Beleg für die Wirksamkeit der Lichttherapie, die in Österreich leider noch immer nicht von den Krankenkassen übernommen wird. In Willeits Abteilung behandelt man jährlich 100-150 Patienten mit kostenlosen Leihgeräten. "Wir können jedoch bei weitem nicht den Bedarf decken". (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, Printausgabe, 20.09.2007)