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Goldoni Terminus, bei der 39. Theater-Biennale von Venedig

Foto: Standard/Archiv
Dieses Klischee des galoppierenden "Goldonismus" wollte die diesjährige Theaterbiennale in Venedig einem absoluten Härtetest unterziehen.
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Der künstlerische Leiter Maurizio Scapparro (der als Wiedererfinder des Carnevals einige Relaunch-Erfahrung aufzuweisen hat) ließ zum 300. Geburtstag des venezianischen Meisters ein wahres Feuerwerk an Initiativen entfachen: 30 Stücke in 12 Tagen an 5 verschiedenen Spielorten, umrahmt von einem internationalen Universitätscampus mit Vorlesungen, Radiosendungen, Videoprojektionen, und und und...

Weit entfernt von einer vollständigen Retrospektive(der fruchtbare Jurist hat - libretti inklusive - an die 200 Werke hinterlassen), aber dennoch ein willkommener Anlass für den österreichischen Gast, seine ortsbedingte Ignoranz in Sachen Goldoni(von dem ja hierzulande maximal Der Diener zweier Herren, Die Wirtin, Trilogie der Sommerfrische und Il Campiello geläufig sind) in einem Crash-Kurs ein wenig zu vermindern.

Zumal es Scapparo auch nicht dabei bewenden ließ, mehr oder minder bekannte Komödien im Original aufführen zu lassen, sondern zusätzlich junge AutorInnen dazu anstiftete, sich an den Werken des Geburtstagskindes zu vergreifen, sie zu bearbeiten, um-oder gar neu zu schreiben. Seltsamerweise vermochten aber am Ende der Tage diese Hardcore-Versionen ebensowenig zu überzeugen wie die traditionelleren Fassungen.

Auf der einen Seite die Wunderkinder der italienischen Literatur(wie z.B. Letizia Russo, die "neue Sarah Kane", die gerade an einer Trilogie über Natascha Kampusch arbeitet oder Campiello-Preisträger Giancarlo Marinelli), die in ihrer manischen Textfixiertheit und rein verbaler Radikalität ("merda", das Wort der Saison) fast genauso pathetisch und überholt wirkten wie die Elefanten und lebenden nationalen Monumente des italienischen Theaters, die mit der Aussicht auf lange Tourneen sich vorsorglich schon im Darstellungsstreik zu befinden schienen.

Enthusiasmus und Begeisterung bei Publikum und Presse erregten vielmehr zwei Outsidergruppen, die - nur scheinbar - einen Mittelweg zwischen Texttreue und Textschändung zu gehen schienen: das Katona Theater Budapest mit La Guerra und das Theater Fiume mit Goldoni Terminus.

La Guerra (Der Krieg) ist ein Sück, das man dem gutmütigen "friedfertigen Papa Goldoni" am allerwenigsten zugetraut hätte. Ein zynisches Panorama über die wirtschaftsbelebende Macht des Geldes mit einem präbrechtianischen Spekulantenpärchen im Mittelpunkt, das Mutter Courage wie Mutter Teresa aussehen lässt.

Drei im Laufe der Handlung der Zerlegung anheim fallende, in Einzelteilen auch als Requisiten dienende Klaviere, ein äußerst ungewöhnlicher, dramaturgisch-kontrapunktischer Umgang mit klassischer(Live-)Musik, virtuose Wein- und Schreiarien,12 junge, einsatzfreudige SchauspielerInnen mit präzisestem Timing und Ausdruck - Regisseur Gabor Zsambeki ist, man kann es nicht anders sagen-mit einfachsten Mitteln ein Meisterwerk gelungen(das man nur zu gerne auch in Wien wieder-sehen würde).

Von dem eine 10 Minuten dauernde Szene, in der – gleichzeitig - eine erbeutete Ziege Selbstmord zu begehen versucht, eine im Sack gefangene Gans stumme Schreie ausstößt und eine aufgrund unwillkommener Avancen eines Offiziers haltlos vor sich hinheulende Marketenderin sich plötzlich gegen Geld befehlen lässt, zu lachen, besonders unvergesslich bleiben wird(und eigentlich mit Fug und Recht in die Theaterannalen eingehen müsste).

Von analoger Energie, Vitalität und Frische auch GOLDONI TERMINUS, eine notgedrungen freie Version des goldonianischen canovaccio (heute würde man treatment dazu sagen, also Handlungsablauf ohne Dialoge) Le avventure di Camilla e Arlecchino aus seiner unglücklichen Pariser Zeit.

Regisseur Toni Cafiero stellt die berechtigte Frage, ob Goldonis vielzitierte "Theaterreform" (mit der er versucht hat, die Improvisationen, Masken und Typen der commedia dell'arte zugunsten verbindlicher Texte, Psychologie und Maskenlosigkeit zurückzudrängen)nicht mehr Fluch als Segen gebracht hat, ob Goldoni somit nicht eher als Ahnherr des bürgerlichen Steh- Sitz- und Sprechtheaters (unter dem wir bis heute leiden)und in weiterer Folge gar als Vorläufer der Fernsehserien und (Stichwort: Verfolgte Unschuld, endlose Konflikte in Familienbetrieben) der Telenovelas anzusehen ist.

Ausgehend davon lanciert sich seine aus kroatischen, portugiesischen und sardischen Akteuren bestehende Gruppe mithilfe von Texten ihrer Landsleute Rui Zink, Tena Stivicic und Edoardo Erba (ohne aber dass diese Mischung je ein Argument wäre)in einen virtuosen Versuch einer Neu-Erfindung maskenloser Gestualität, der seinesgleichen sucht.

Unschuld, Verbürgerlichung und Tod einer venezianischen Hotelsfamilie (daher der Titel Terminus)als Ausdruck von Schönheit, Verkommerzialisierung und des Sterbens einer Stadt .Zum Schreien komisch und zum Plärren tragisch.

Manchmal geht es also doch zu vereinen, was unvereinbar erscheint: Die commedia dell arte und das bürgerliche Theater, das Alte und das Neue, den Respekt und die Respektlosigkeit, die Schändung und die Liebe, oder-wie Goldoni postuliert hätte: Das Theater und Welt. (Robert Quitta, derStandard.at, 19.9.2007)