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Ein Streitgespräch über Krise, Gleichschaltung und Mutlosigkeit bei den Grünen.

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STANDARD: Herr Brosz, als Parteistratege eilt Ihnen der Ruf voraus, parteinterne Diskussionen abzuwürgen. Was haben Sie unternommen, um dieses Streitgespräch zu verhindern?

Brosz: An sich sehr wenig. Es ist doch rasch zustande gekommen, oder?

Voggenhuber: Da hat es keine Versuche gegeben, solche wären bei mir auch vergeblich gewesen.

Brosz: Es mag mitunter so aussehen, als würde ich Debatten abbrechen. Der Punkt ist: Manchmal muss man einfach Entscheidungen treffen, die sonst ständig aufgeschoben werden. Irgendwann muss eine Diskussion zum Schluss kommen.

Voggenhuber: Manchmal muss man durchgreifen, das ist wahr. Aber dazu bräuchtest du ein Mandat, du müsstest gewählt sein. Die Entscheidungen, die du triffst, stehen dir nicht zu, sondern der gesamten Fraktion.

Brosz: Dir ist vielleicht entgangen, dass ich seit 1999 als Abgeordneter im Parlament sitze.

Voggenhuber: Das mag so manchem Österreicher entgangen sein, ist jetzt aber nicht das Thema. Du sitzt hier als "Parteistratege" am Tisch, und diese Rolle ist in den grünen Statuten nicht verankert. Kein Auftrag, kein Mandat, keine Rechenschaftspflicht. Und da sind wir genau beim Kern des Problems: Alexander Van der Bellen beziehungsweise du selbst haben dich zur Schlüsselfigur gemacht, die nicht legitimiert ist.

STANDARD: Warum haben Sie so viel Macht, Herr Brosz?

Brosz: Meine Rolle als geschäftsführender Parlamentarier ist im grünen Klubstatut sehr wohl klar festgelegt. Und die besteht nicht darin, den Kollegen die Taschen in den Plenarsaal hinterherzutragen. Ich bin für die Öffentlichkeitsarbeit mitverantwortlich und koordiniere die Parlamentssitzungen.

Voggenhuber: Koordination ja. Aber ihr legt heute im engsten Kreis viel mehr fest: Welcher Grüne wann mit welchem Thema an die Öffentlichkeit kommt, wer Redezeit, Geld und Personal bekommt und wer nicht.

Brosz: Wer ist "ihr"?

Voggenhuber: Der Apparat, für den du stehst. Ein Filz von Kleinstgremien, der abseits der freien, gewählten Mandatare den Lauf der Dinge bestimmt.

Brosz: Das ist absoluter Unsinn. Sind Alexander Van der Bellen und Eva Glawischnig gewählt oder nicht?

Voggenhuber: Schon. Aber rundherum hat sich ein informeller Apparat gebildet. Nun wird auch noch eine "Betriebsleitung" installiert. Diese Sprache ist so verräterisch, dass man sie weiter nicht kommentieren muss. Unter der Verantwortung von Van der Bellen und dir entsteht ein bürokratischer Hofstaat, in dem Multifunktionäre Ämter kumulieren, geheime Machtzirkel Entscheidungen treffen und Wordings diktieren, während die jungen Abgeordneten nach Freiraum japsen. Jede "Reform" ein Demokratieverlust. Das ist der Inbegriff dessen, was wir einst bekämpfen wollten. Dafür sind die Grünen nicht gegründet worden.

Brosz: Du redest aber schon von den Grünen, oder?

Voggenhuber: Natürlich. Ich bin auch nicht der Einzige, der das so sieht. Aber ihr habt euch eine Teflonschicht zugelegt, an der jede Kritik abperlt. Lasst ihn reden, denkt man sich, er fährt eh bald wieder nach Brüssel. Kopf rein und durch.

Brosz: Das entspricht doch alles nicht der Realität. Fakt ist: Wir sind nicht mehr der kleine Klub von 1990. Die Leute erwarten sich, dass die Grünen professionell agieren.

STANDARD: Was ist so schlecht an straffer Organisation?

Voggenhuber: Die Grünen produzieren nur mehr Stehsätze, wie man sie von den anderen Parteien kennt. Es gibt weder Konzepte noch Mobilisierung. Ihr testet Positionen so lange im Windkanal ab, bis sie stromlinienförmig sind. Da erklärt ein Landeshauptmann Pröll Minarette für artfremd, und was ist die Antwort der Grünen?

Brosz: Die Reaktion von Van der Bellen dazu hast du schon mitbekommen?!

Voggenhuber: Damit ist es, bitteschön, doch nicht getan. Da muss ich raus auf die Straße! Den Grünen fehlt jedes Feuer. "Artfremd" ist ein nationalsozialistischer Kampfbegriff. Da tut sich ein Abgrund auf, und du sagst mir: Wir haben eh eine Presseaussendung gemacht!

Brosz: Diese Auseinandersetzung hat Van der Bellen im letzten Wahlkampf mit FPÖ und BZÖ intensiv geführt. Ich frage mich, ob du nicht in einer Welt lebst, wo du das alles nicht mehr realisierst.

Voggenhuber: Wenn der Verfassungsgerichtshof in der Ortstafelfrage verhöhnt wird, dann müssen die Grünen auf die Barrikaden, die heute im Parteikeller verstauben.

Brosz: Dieser Vorwurf ist an den Haaren herbeigezogen. Wir haben jene Anzeige gegen Jörg Haider eingebracht, auf deren Basis die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen hat. Gut, man kann uns vorwerfen, uns nicht an jede einzelne Ortstafel angekettet zu haben.

STANDARD: Erwarten Sie von einer kleinen Oppositionspartei nicht zu viel?

Voggenhuber: Nein. Wir haben sehr viel durchgesetzt, als wir noch halb so groß waren. Wo ist heute das Sozialprogramm, wo das Wirtschaftsprogramm der Grünen? Die soziale Frage existiert nicht mehr! Das ist dramatisch.

Brosz: Du fährst die klassische Strategie, einen Punkt nach dem anderen aufzuzählen, obwohl du genau weißt, dass viele falsch sind. Zum Vorwurf der Stehsätze ein altes Zitat (kramt in seiner Mappe): "Die Beschlüsse der Grünen würden zu 95 Prozent die Bereiche Finanzen, Personelles, Strukturfragen und Klärung der Gerüchteküche und infame Unterstellungen betreffen." Kommt dir das bekannt vor? Das war Johannes Voggenhuber 1990, als er die Partei genau so analysierte wie heute.

Voggenhuber: Ein Personaldossier! Seid ihr wirklich schon bei diesem Stil angekommen? Dieser Beißreflex ist unangemessen.

Brosz: Das ist nur eine alte APA-Meldung, die dir offenbar unangenehm ist.

Voggenhuber: Nein, überhaupt nicht, ich find's nur traurig.

Brosz: Ich will damit nur zeigen, dass deine Kritik heute ungefähr so lautet wie vor 17 Jahren. Seither sind wir aber stark gewachsen.

STANDARD: Bei ihrer Klubklausur haben die Grünen eine angriffigere Politik versprochen. Haben Sie davon etwas bemerkt, Herr Voggenhuber?

Voggenhuber: Ich habe nur dieselben Stehsätze zu Klima und Verkehr gehört wie in den Wochen zuvor. Oppositionsarbeit muss aber auch daran gemessen werden, was verwirklicht wird. Diese Vorstellung existiert heute nicht mehr, die Grünen warten nur auf die Regierungsbeteiligung - um diese dann auch noch zu verspielen. Wann fand die letzte große Parlamentsrede eines Grünen im Parlament statt?

Brosz: Kann ich dir genau sagen: Werner Kogler zu den Bankenskandalen, Peter Pilz zum Eurofighterausschuss.

Voggenhuber: Und welche Positionen bekleiden die beiden? Nicht sie bestimmen die Strategie der Grünen, sondern Leute, die noch nie eine große Initiative gesetzt haben. Man weiß, wofür Pilz und Kogler stehen, und man weiß auch, wofür ich stehe.

Brosz: Also Pilz und Voggenhuber voran, und für den Rest gilt: Hände falten, Gosch'n halten? Ich bezweifle, dass früher alles so ideal war, wie Voggenhuber das schildert. Ich erinnere daran, dass wir noch in den Neunzigern Angst hatten, aus dem Parlament zu fliegen.

Voggenhuber: Wenn es nur ein paar weniger von den lang gedienten Abgeordneten gäbe, würdet ihr wohl nur mehr die Hälfte der Stimmen erreichen. Brosz: Für grüne Nachwuchspolitiker entsteht aber gleichzeitig das Problem, dass wichtige Räume besetzt sind. Wie wir das ändern könnten, diskutieren wir gerade.

STANDARD: Bisher ohne handfeste Ergebnisse.

Brosz: Etwas Handfestes darf man nicht zu Beginn einer Diskussion erwarten.

STANDARD: Warum hört man so wenig von Ihnen als Bildungssprecher, Herr Brosz?

Brosz: Bildungspolitik war im letzten Wahlkampf doch unser Kernthema. Van der Bellen und Glawischnig leisten da einen großen Beitrag. Es ist nicht so wichtig, wie sehr ich in der Öffentlichkeit stehe. Wie überall gibt es auch bei den Grünen unterschiedliche Begabungen: Der eine ist rhetorisch brillant, der andere kann Strukturen führen. In der Europapolitik etwa sind wir, wie ich finde, sehr gut aufgestellt, auch dank Johannes Voggenhuber. Ich würde mir aber wünschen, dass man von den europapolitischen Anliegen auch in der österreichischen Öffentlichkeit mehr hört. Da könnte Voggenhuber noch einiges investieren.

STANDARD: Herr Voggenhuber, fühlen Sie sich als ewiger Kritiker in Ihrer eigenen Partei nicht einsam?

Voggenhuber: Eine Partei ist keine Familie, um ein anderes Missverständnis aufzuklären. Ich habe keine Bedürfnisse nach emotionaler Zuwendung, warne aber vor dem Versuch, mich als einsamen Dissidenten hinzustellen, der aus Jux und Tollerei seine Partei kritisiert. Ich spreche für viele Menschen, die die Entwicklung der Grünen mit Beklemmung und manchmal großem Zorn sehen. Als jener Politiker, der bei Bundeswahlen das beste Ergebnis in der Geschichte der Grünen erzielt hat, muss ich da meine Stimme erheben. Ich bin sicher keiner, der wie Fred Sinowatz sagt, alles was ich bin, bin ich durch die Partei.

Brosz: Die Wahlerfolge sprechen auch für Van der Bellen. Das solltest du endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Du misst deinen politischen Erfolg an deinen Wahlergebnissen, jenen von Van der Bellen aber nicht an seinen. Da ist eine große Diskrepanz.

Voggenhuber: Fragt sich nur, wie nachhaltig diese Erfolge sind, es waren ja reine Sympathiewahlkämpfe. Lest doch Zeitung! Ein Kommentator nach dem anderen schreibt von der Orientierungslosigkeit, Unprofessionalität und Kraftlosigkeit der grünen Politik. Das kann euch doch nicht verborgen geblieben sein.

Brosz: Diese Kritik dreht sich freilich ständig. 2005 hieß es noch: Die Grünen sind regierungsgeil und sonst nichts. Jetzt soll plötzlich alles umgekehrt sein.

Voggenhuber: Vielleicht wäre es nach einem Jahr Kritik an der Zeit, ganz vorsichtig zu fragen: Könnte da eventuell vielleicht doch etwas dran sein?

Brosz: Das passiert ununterbrochen.

Voggenhuber: Du hast dich in der vergangenen Stunde doch gegen alle Kritik verwahrt. En gros und en detail.

Brosz: Findest du eigentlich noch irgendetwas gut an den Grünen? Dass die Wahlergebnisse offenbar irrelevant sind, nehme ich zur Kenntnis.

Voggenhuber: Ich finde mich auf komische Weise bestätigt. Die Frage "Können S' net auch was Nettes sagen", ist so typisch. Da geht's darum, mich als pauschalen Kritiker abzutun. Aber schön: Die Grünen geraten mehr und mehr in eine tiefe, innere Krise. Gut finde ich, dass ich ein ziemlich tiefes Vertrauen darin hab, dass sie auch die Kraft aufbringen werden, diese zu überwinden. (Von Gerald John und Nina Weißensteiner/DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2007)