Jeder Biegung der Thaya folgt Friedreich mit dem Helikopter, bei dieser Schlinge macht er eine Ausnahme.

Zur Ansichtssache: Buschpilot über Wasser

Foto: Mirjam Harmtodt

Es gibt Situationen, die kann man nicht beeinflussen. Anstatt sich über sie zu ärgern, kann man auch versuchen, mit ihnen zu leben und das Beste daraus zu machen. Die Menschen entlang der Thaya kennen solche Momente spätestens seit 2002, als der Fluss ihre Häuser weggespült hat und vielen die Existenz nahm. Betroffen war damals auch das Hotel Liebnitzmühle, das in einer Welle aus Schlamm und Wasser versank. Im Jahr 2006 drückte der Schnee einen Teil der Dächer ein, der Winter war so kalt, dass die Thaya bis auf 80 Zentimeter durchgefroren war. Der Frühling kam dann völlig unerwartet mit einem Temperaturanstieg von 20 Grad und setzte die Naturgewalt des Wassers frei. Eisschollen barsten und flogen wie Geschoße durch die Luft, köpften Bäume und schlugen in Hausfassaden ein. Die folgende Schneeschmelze sorgte abermals für schwere Überschwemmungen. Aber ein echter Waldviertler gibt nicht auf, fängt wieder von vorne an und fügt sich den Kräften der Natur, in der er letztendlich lebt.

Wieder auf dem Damm

Franz W. Friedreich, Architekt und Eigentümer der Liebnitzmühle, hat 15.000 Kubikmeter Erde in Bewegung gesetzt und einen Damm gebaut, der einen Schutzwall um das Hotel bildet, 30 Zentimeter höher als der höchste je gemessene Wasserstand der Thaya. Die fließt direkt am Haus vorbei, ein grundsätzlich ruhiger, romantischer Fluss mit wild bewachsenem Ufer, Granitfelsen und zudem ein unerschöpfliches Fischwasser. Karpfen, Hechte und Welse tummeln sich in den Tiefen des Flusses; 2002 tummelten sich die Karpfen dank dem Hochwasser auch in der Einfahrt des Hotels. Jetzt wartet man mit Spannung, ob der Damm beim nächsten Hochwasser hält und die Liebnitzmühle dieses Mal verschont bleiben wird. Für die Gäste präsentiert sich der Damm vor allem als Liegewiese und Grenzwall zwischen der Anlage und der wilden Flusslandschaft der Thaya.

Friedreich ist aber nicht nur Architekt und Hotelbesitzer, sondern auch leidenschaftlicher Helikopterpilot – und von dieser Liebe zum Fliegen profitieren auch die Hotelgäste. Der Bell 206 Jet Ranger startet bei Schönwetter vom Hotel aus zu Rundflügen über das Thayatal, Termine für Flüge sollten vorab telefonisch erfragt werden. Ganz sanft steigt der Helikopter senkrecht nach oben, macht einen weichen Schwenk und startet dann hinaus in das weitläufige Tal. Durch den Glasboden sieht man die Thaya vorüberziehen. In Raabs verbinden sich die beiden Arme der deutschen und mährischen Thaya zu einem Fluss, der sich in engen Mäandern durch die Landschaft schlängelt. Vorbei an Feldern, Dörfern und Burgen windet er sich wie eine Lakritzschnecke und schmiegt sich an Jagdreviere, in denen sich Eber und Bache eine Spur zu gut verstehen – sehr zum Ärger der Bauern und Gartenbesitzer.

Mitmäandern

Vom Helikopter aus sieht man den Verlauf der Thaya nicht nur besonders gut – man spürt ihn auch körperlich. Denn jeder Mäander bedeutet einen Schwenk mit dem Fluggerät, das sich kraftvoll in die Kurven legt und sich gegen die Flieh- und Schwerkraft stemmt. Orientierungslos, mit dem Hirn in den Knien, entwischt einem ein begeistertes Quieken. Spätestens nach dem ersten Tiefflug über eine Wiese ist man süchtig.

Im rasanten Flug geht’s vorbei an Wäldern, direkt auf eine grüne Wand zu, die viel zu schnell näher kommt. Ein leichter Zug am Steuerknüppel, und die silberne „Wespe“, wie Friedreich sein Fluggerät nennt, neigt sich nach hinten, steigt nach oben, kippt nach rechts und saust dann beinahe kopfüber wieder den Flusslauf entlang. Was für ein Glück, dass die Thaya so mäandert, bedeutet doch jede Schlinge einen weiteren Schwenk. Friedreich ist offensichtlich in seinem Element. Er kennt jedes Haus, jede Straße und erteilt Geografieunterricht, erklärt, welche Burg gerade unten vorbeizischt und dass auf zwölf Uhr – also direkt geradeaus – die Grenze zu Tschechien liegt.

Es wird klar, warum die Menschen diesen Fluss, der so zerstörerisch sein kann, trotz allem heiß lieben. Denn selbst, wenn man den festen Boden unter sich nicht verlassen will, entschädigt die Thaya die Waldviertler auf ihre Art – zu Land, zu Wasser und in der Luft. Sie ist ein perfekter Führer durch das Tal, Wanderwege entlang des Flusslaufes sind still und meditativ. Kanufahrten auf der Thaya sind Ausflüge in eine üppig grüne Wunderwelt voller Geheimnisse, und abgesehen von ein paar Grad Temperaturunterschied ist es fast wie eine Fahrt durch den dichten Dschungel des Amazonas.

Wenn das Wetter einen Helikopterflug nicht erlaubt, lässt sich die großartige Natur des Waldviertels immer noch zu Fuß oder mit dem Rad erkunden; auch lockt die Wellnesslandschaft der Liebnitzmühle mit Sauna und Dampfbad. Die sämige Waldviertler Rahmsuppe mit Kartoffeln von Frau Friedreich erwärmt dazu von innen, und wenn der Chef seine Flinte schultert, stehen die Chancen auf Wildschweinbraten gut. Aber beeinflussen können sie das alles nicht, weder das Wetter, noch, ob eine Sau vor den Lauf rennt. Ein bisschen Abenteuerlust gehört ins Reisegepäck von Waldviertel-Besuchern und dazu die Akzeptanz, dass die Dinge im Thayatal gerne ihren eigenen Lauf nehmen. (Mirjam Harmtodt/Der Standard/Printausgabe/15./16.9.2007)