Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer: "Meines Erachtens rechtfertigt die EPIGUS-Studie die generelle Abschaffung von "Licht am Tag" nicht. Der Sicherheitsgewinn im Herbst und Winter ist unbestritten, jener im Sommer bedarf weiterer Evaluierungsstudien."

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Nach Ansicht der Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer rechtfertigt die neue EPIGUS-Studie, die dem Ministerium als Grundlage für die Einstellung dient, die generelle Abschaffung von "Licht am Tag" nicht. Im Interview mit derStandard.at erklärt sie warum und plädiert für die schrittweise Einführung von Tagfahrleuchten. Die Fragen stellten Petra Eder und Rainer Schüller.

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derStandard.at: Bringt "Licht am Tag" nun mehr Verkehrssicherheit oder nicht?

Schützhofer: Mehr als 95 Prozent aller Informationen im Straßenverkehr nehmen wir über das Auge auf. "Sehen und gesehen werden" hat somit eine große Bedeutung.

Metaanalysen zum Thema Licht am Tag (z.B. SWOV, 1997; BAST, 2005) kommen zu dem Schluss, dass "Licht am Tag" - unter der Voraussetzung, dass es flächendeckend eingesetzt wird - immer zu einer Erhöhung der Verkehrssicherheit beiträgt. In Skandinavien, wo es lange Dämmerungszeiten gibt, zeigten sich die größten Effekte. Die skandinavischen Länder zählen verkehrssicherheitsmäßig auch zu den "Hochsicherheitsländern".

Auf österreichische Lichtverhältnisse umgelegt, bedeutet dies, dass "Licht am Tag" jedenfalls im Herbst und im Winter durch verbesserte und schnellere Erkennbarkeit zu einem Sicherheitsgewinn führt und jedenfalls verwendet werden sollte. Für Sommerverhältnisse gibt es noch keine Evaluierungsstudien bzw. jetzt als erste die EPIGUS-Studie.

derStandard.at: Gibt es internationale Vergleichswerte? Kann man sagen, dass in Ländern mit "Licht am Tag" weniger Unfälle passieren?

Schützhofer: Die deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen hat 2005 für deutsche Verhältnisse bei "Licht am Tag" errechnet, dass der Nutzen im Vergleich zu den Kosten - bei Verwendung des Abblendlichts - bei mindestens dem 1,6 fachen liegt, bei Verwendung von Tagfahrleuchten schätzen sie ein Kosten-Nutzenverhältnis von mehr als 3.

Ungeklärt ist noch die Frage, wie sich "Licht am Tag" auf das Problem der Veränderungsblindheit, der sogenannten "change blindness", auswirkt. Studien, welche das Phänomen bei statischen Objekten untersuchten, berichten von einer verschlechterten Erkennbarkeit von relevanten Reizen, eine Studie mit dynamischen Objekten konnte dies nicht replizieren. Wiederholungsstudien fehlen hier aber noch. Mit dem Phänomen der Veränderungsblindheit meint man, dass relevante, "alarmierende" Bewegungssignale einer Veränderung durch einen Lidschlag verdeckt werden oder der Betrachter von der Veränderung abgelenkt wird, sodass die visuelle Aufmerksamkeit mangels Hinweisreiz nicht zum Ort der relevanten Veränderung gelenkt wird.

derStandard.at: Rechtfertigt nun die neue EPIGUS-Studie die Einstellung von "Licht am Tag" in Österreich?

Schützhofer: Die EPIGUS-Studie bestätigt den Sicherheitsgewinn von "Licht am Tag" bei schlechten Sichtverhältnissen und zeigt einen geringen Zeitgewinn durch verbesserte Früherkennung bei guten Lichtverhältnissen, welcher laut Studie durch eine längere Zuwendungsdauer zum Scheinwerfer wieder zunichte gemacht werde. Es gibt in Bezug auf Sommerverhältnisse somit noch keine eindeutigen Befunde und somit kann hier noch kein eindeutiger Schluss gezogen werden.

Ein Punkt, weshalb "Licht am Tag" vor allem im Sommer sehr angegriffen wird, ist der Vorwurf, dass Motorräder und Fahrräder schlechter erkannt werden können und deren Sicherheitsgewinn verloren geht.

Wichtig ist hier jedenfalls, Unfallursachen nicht zu vermischen. Die heuer gestiegene Anzahl an Motorradunfällen ist sicherlich in erster Linie auf den ungewöhnlich milden Winter und die dadurch ungewöhnlich lange Saison zurückzuführen.

Tatsache ist aber auch, dass Ablendlicht Motorradfahrer überstrahlen kann, weshalb ich vor allem im Sommer auch Tagfahrlicht empfehle, das schrittweise eingeführt werden sollte. Es hat eine andere Lichtstreuung und schwächere Leuchtmittel, führt aber zu einem Sicherheitsgewinn in Alleen, kleinen, dunklen Gassen und Strassen.

Meines Erachtens rechtfertigt die EPIGUS-Studie die generelle Abschaffung von "Licht am Tag" nicht. Der Sicherheitsgewinn im Herbst und Winter ist unbestritten, jener im Sommer bedarf weiterer Evaluierungsstudien.

derStandard.at: Männer schalten laut einer deutschen Studie das Licht später ein als Frauen: Wie können Sie dies erklären?

Schützhofer: Ein ähnliches Phänomen zeigt sich beim Angurten, wo Frauen ebenfalls eine bessere Gurtquote aufweisen als Männer.

Aus psychologischer Sicht ist dies wohl darauf zurückzuführen, dass Männer sich durch solche Vorgaben eher in ihrer Freiheit und Autonomie beschnitten fühlen als Frauen. Männer sind auch eher bereit, ein größeres Risiko in Kauf zu nehmen als Frauen und von sicherheitsförderlichen Maßnahmen dadurch nicht so leicht zu überzeugen.

derStandard.at: "Licht am Tag" scheint nicht der erfolgreichste Weg gewesen zu sein, um die Verkehrssicherheit in Österreich zu steigern. Wo kann sonst angesetzt werden, um effektiv mehr Verkehrssicherheit und weniger Opfer zu bekommen?

Schützhofer: Wenn man die Verkehrssicherheit erhöhen will, so kann man nicht von Einzelmaßnahmen ausgehen, sondern nur von Maßnahmenpaketen.

Grundsätzlich gibt es in Österreich sinnvolle und gute Verkehrsgesetze, die Schwierigkeit liegt nur darin, dass diese nicht ausreichend kontrolliert werden und somit von vielen AutofahrerInnen nicht eingehalten werden. Leider halten sich viele nur dann an Gesetze, wenn die subjektive und objektive Entdeckungswahrscheinlichkeit hoch ist, was in Österreich nicht gegeben ist (z.B. kommt es in Österreich statistisch gesehen nur durchschnittlich alle 33 Jahre pro FahrzeuglenkerIn zu einer Alkomatkontrolle).

Genauso wichtig wie die hohe subjektive und objektive Kontrolldichte sind natürlich gute Verkehrssicherheitskampagnen zur Bewusstseinsbildung. Diese müssen zielgruppenspezifisch entwickelt werden, um ausreichend Akzeptanz zu erreichen. Risikogruppen brauchen aber noch mehr, mit ihnen muss man sich in Beziehungsarbeit auseinandersetzen, sie fühlen sich im Allgemeinen durch Kampagnen nicht angesprochen.

derStandard.at: "Licht am Tag" ist ein Thema, bei dem die UserInnen auf derStandard.at besonders aktiv posten: Warum regt diese Frage so auf?

Schützhofer: Ich denke, dass die Sinnhaftigkeit der Maßnahme zu wenig erklärt wurde bzw. dass diese für den mitteleuropäischen Raum noch zu wenig evaluiert wurde . Der unmittelbare oder auch mittelfristige Nutzen ist für die meisten nicht erkennbar. Viele AutofahrerInnen fühlen sich deshalb durch "Licht am Tag" in ihrer Eigenverantwortlichkeit beschnitten und reagieren mit Reaktanz.

derStandard.at: Man hat des Gefühl, dass alles rund ums Autofahren die Österreicher besonders emotionalisiert: Ist Autofahren für Österreicher emotionaler besetzt als in anderen Staaten? Was unterscheidet österreichische Lenker von Lenkern in anderen Staaten?

Schützhofer: In Österreich und auch in Deutschland ist Autofahren im Vergleich zu anderen Staaten tatsächlich emotional stärker besetzt. Warum dies so ist, wurde bisher noch nicht untersucht. Im englisch-sprachigen Raum verzichten die Menschen leichter auf ihr Auto und auf das Autofahren, was sich zum Beispiel auch in der hohen Akzeptanz von Mitfahrgemeinschaften niederschlägt, welche sich hierzulande leider nur sehr schwer durchsetzen. Diese würden Stau reduzieren und sind auch noch umweltfreundlich. (derStandard.at, 12. September 2007)