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Ein Meister der komplexen elektronischen Musikwelten: Joe Zawinul vor dem Wiener "Birdland".

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Joe Zawinul spielt, Duke Ellington hört zu.

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Wien – Geht man auf die Homepage von Joe Zawinul und liest die von ihm autorisierte Biografie – auf der Suche nach dem Selbstverständnis des Erdbergers –, findet man keine Zeile zu seinen Wiener Anfängen, als sich Zawinul musikantisch und Akkordeon quetschend durch volksmusikalische Songwelten spielte, findet auch keine Zeile über den frühen Unterricht am Konservatorium, den er als Sonderbegabung genoss.

Nichts steht da auch über seine "europäische Phase", als er mit Leuten wie Hans Koller und Karl Drewo schon auf hohem Niveau agierte. Und es fehlt auch der Verweis auf Klarinettist Fatty Georg, in dessen Band er spielte. Gleich in der dritten Bio-Zeile steht hingegen etwas von "Emigration" in die USA, 1959; und man will aus dieser Umgehung der frühen Phase fast jene Ungeduld herausdeuten, die den jungen Zawinul irgendwann erfasst und ihm suggeriert haben muss, dass er – so er sich weiterentwickeln wollte – weg musste. Und natürlich hin zur Quelle, in Richtung USA, wo damals noch Originale wirklich wesentliche Jazzdinge erarbeiteten, die man in Europa mit einer gewissen Verzögerung verinnerlichte.

Zawinul muss allerdings schon in Europa das meiste an stilistischem Rüstzeug verinnerlicht haben, als er drüben ankam. Mit einem Stipendium und 820 Dollar in der Tasche ausgestattet, sollte er ganze vier Monate bleiben.

Doch ehe die Zeit um war, landete er in der Band von Trompeter Maynard Ferguson und fand sich danach plötzlich als Begleiter von Sängerin Dinah Washington als Weißer mitten in der afroamerikanischen Musikkultur.

Das war damals alles andere als die Regel. Eher eine Sensation und schon eine veritable Karriere. Welch Potenzial in Zawinul schlummerte, musste sich allerdings erst zeigen. Es sollte offensichtlich werden: Das Phänomen Zawinul setzte sich aus schöpferischer Assimilation einer alten Sprache und dem Drang, eine eigene Sprache zu finden, zusammen.

Erstmals wurde dies evident, als er in der Band von Saxofonist Cannonball Adderley landete, dessen Arrangeur und Komponist wurde und nebenbei mit dem Stück Mercy, Mercy, Mercy den wohl größten Soul-Jazz-Hit aller Zeiten schrieb. Das Erstaunliche: Zum Klassiker des Genres wurde der Song nicht ob innovativer Qualitäten, obwohl er von seiner Form her schon unkonventionell strahlte. Zawinul schaffte eher das besonders Schwierige. Es gelang ihm, die damals sattsam bekannten bluesig groovenden Stil-Klischees mit neuem Melodieleben zu erfüllen.

Aus diesem Stück, auf dem E-Piano umgesetzt, kann man allerdings auch jene langsam erwachsende Unzufriedenheit Zawinuls heraushören, immer nur die traditionelle Song- und Klangform pflegen und in Improvisationen die schon historische Soul- und Bebopsprache pflegen zu müssen. Eine Unzufriedenheit, die sich in Zawinuls Hinwendung zur Elektronik endgültig materialisieren sollte, nachdem er bei Trompeter Miles Davis gelandet war, dessen Angebote er zunächst ausgeschlagen hatte.

Davis gilt als großer Innovator. Eine seiner Stärken bestand allerdings darin, Musiker um sich zu scharen, die seine Vorhaben mit Neuheiten dopten. So kann der Titel jener den Electro Jazz begründenden Einspielung In A Silent Way auch als Hinweis auf die Bedeutung Zawinuls für Davis dienen – schließlich meint der Plattentitel eine Zawinul-Komposition.

Zawinul, mittlerweile in Richtung Synthesizer unterwegs, hat also den "Fusion Jazz" mitgeprägt. Wer noch Zweifel gehegt hatte, konnte ab den 70ern eines Besseren belehrt werden. Zusammen mit Wayne Shorter gründete Zawinul Weather Report und würzte seine Karriere dadurch mit Popreichweiten. Wiewohl dabei nichts simpel angelegt wurde. Auch am formal komplexen Hit, Birdland, einem Stück, das jenem New Yorker Jazzclub gewidmet war, den Zawinul gerne aufsuchte, konnte man es ablesen. "Das war zum Livespielen das schwerste Stück", meinte Zawinul einmal zum STANDARD.

Lieber solo

Mitte der 80er-Jahre war jedoch Schluss mit Weather Report. Zawinul gründete die Syndicate-Band und verlegte sich auf eine komplex groovende Stilistik mit dem Hang zur Weltmusik. Das klang virtuos, aber es hatte nicht mehr jene inspirierte Kraft von Weather Report. Vielleicht fehlte ein Partner wie Saxofonist Wayne Shorter, aber es sollte nicht mehr sein.

Zwar gab es Gespräche, die Band wieder zu aktivieren, aber eine Reunion scheiterte letztlich an den Gagenforderungen, die Zawinul und Shorter gestellt hatten. Schade auch, dass der von Zawinul gegründete Jazzclub Birdland schnell finanzielle Probleme bekam und mittlerweile ein marginales Dasein fristet.

Joe Zawinul ist gestern in Wien einem seltenen Hautkrebsleiden erlegen. (Ljubiša Tošic /DER STANDARD, Printausgabe, 12.09.2007)