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Favorit Álvaro Colóm mit seinem "Vize" Rafael Espada.

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Otto Perez Molina tritt für die "Partido Patriota" (PP), die Patriotische Partei an.

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Nobelpreisträgerin und Präsidentschaftskandidatin Rigoberta Menchu auf Wahlkampftour.

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Guatemala gilt als eines der gewalttätigsten Länder Lateinamerikas. Im vergangenen Jahr starben dort mehr als 6000 Menschen durch Gewalttaten.

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Gunther Neumann: "Die Gesellschaft hier ist militarisiert, Korruption und strukturelle Gewalt herrscht bis in obere Ebenen."

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Gunther Neumann ist einer von denen, die am Sonntag für die EU die Präsidentschaftswahlen in Guatemala beobachten werden. Im Drogenhändlerparadies San Marcos an der Grenze zu Mexiko ist sein Einsatzgebiet. Dass Guatemala den "gewaltsamsten Wahlkampf" seit jeher erlebt hat, bedeutet laut Neumann noch lange nicht, dass es auch zu unkorrekten Wahlen kommt. Aber korrekte Wahlen allein machen noch keine Demokratie aus, betont Neumann und weist hin auf Einschüchterungen, Korruption, organisiertes Verbrechen und fehlende Strukturen im Land.

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derStandard.at: Wie ist die Stimmung vor Ort?

Neumann: Im Allgemeinen ist die Stimmung angespannt. Die Europäische Union hat sich ja schon im Vorfeld über die herrschende Gewalt besorgt gezeigt. Gewalt ist in Guatemala zwar nichts Neues, sie hat aber in der letzten Zeit erheblich zugenommen. Aber auch korrekte Wahlen machen noch lange keine Demokratie. Wenn die Institutionen schwach sind, der Zugang zum Rechtssystem für die Mehrheit der Bevölkerung nicht gegeben ist, dann steht die Demokratie allgemein auf tönernen Füßen. Der Ablauf der Wahlen mag korrekt vor sich gehen, aber wenn vorher Einschüchterung oder gar Stimmenkauf stattgefunden haben, dann ist das ein Problem. Die Gesellschaft hier ist militarisiert, Korruption und strukturelle Gewalt herrschen bis in obere Ebenen.

derStandard.at: Hat der Zentrumspolitiker und Favorit Alvaro Colóm von der Partei Nationale Einheit der Hoffnung (UNE) das Rennen schon gewonnen oder hat der Herausforderer Otto Perez Molina von der Patriotischen Partei (PP) noch eine Chance?

Neumann: In den Umfragen liegen die beiden ungefähr gleichauf. Aber ansonsten möchte ich nicht spektulieren. Und man kann die Frage stellen, inwiefern die Oppositionsparteien tatsächlich große Alternativen bieten.

Politische Parteien mit unterschiedlichen Programmen in unserem Sinn gibt es hier kaum. Es ist eher so, dass Mächtige ihre Familienclans und die unter ihrem Einfluss stehenden Medien um sich scharen, um so ihre Interessen politisch legitimiert durchzusetzen.

derStandard.at: Welche Themen bestimmen dann den Wahlkampf?

Neumann: Die Themen im Wahlkampf sind vollkommen austauschbar und unterscheiden sich höchstens marginal. Alle wollen Forschritt und Gerechtigkeit. Sicherheit ist natürlich ein großer Faktor. Das Sicherheitsbedürfnis ist groß, das Vertrauen sehr gering. Man muss sich vorstellen: es gibt hier 15.000 Militärs, 20.000 Polizisten und 160.000 private Sicherheitskräfte. Jeder, der irgendwie ein Interesse und vor allem die Mittel hat, engagiert irgendjemanden. Das sind dann teilweise auch Ex-Militärs, die vielleicht eine Vergangenheit in Todesschwadronen haben, und ähnliches. Auch die EU verlässt sich auf private Sicherheitskräfte.

derStandard.at: Bislang wurden 50 politische KandidatInnen umgebracht. Allein die Oppositionspartei UNE verlor bereits 18 ihrer KandidatInnen und AktivistInnen. Wer fürchtet sich so vor der Mitte-Links-Partei?

Neumann: Ich kann natürlich auch nur das wiedergeben, was allgemein kolportiert wird: das Level an Gewalt ist hier sehr hoch und teilweise werden persönliche oder Clan-Rechnungen beglichen. Auch wenn die Medien sagen, es handle sich hier um den gewalttätigsten Wahlkampf: es geht nicht immer um ideologische oder politische Abrechnungen zwischen Links und Rechts, sondern oft um persönliche Interessen im Rahmen von organisierter Kriminalität.

derStandard.at: ... die stark mit der Politik verwoben sind.

Neumann: Vollkommen verwoben, auch mit der Wirtschaft. Sogar dem aussichtsreichsten Mittel-Links-Kandidaten Álvaro Colóm wurde nachgesagt, dass er in einem Naheverhältnis zum organisierten Verbrechen steht.

derStandard.at: Wie ist die indigene Bevölkerung im Wahlkampf positioniert?

Neumann: Trotz der Beteuerung aller Parteien, für die Interessen der indigenen Bevölkerung, die immerhin bis zu 70 Prozent ausmachen, einzustehen, spielt sich das in der Realität kaum ab. Die meisten Parteien haben auch sehr wenige indigene Kandidaten, meist an hinterer Stelle.

derStandard.at: Inwiefern ist Nobelpreisträgerin Menchu ein Faktor im Wahlkampf?

Neumann: Roberta Menchu ist natürlich ein Liebkind der Drittwelt-Interessierten in Europa. Aber hier ist sie in den Medien kaum vertreten. Und sie ist durch ihre langen Auslandsaufenthalte im Land nicht verankert. Sie ist außerdem keine gute Rednerin und ihr fehlen auch die Mittel für einen groß angelegten Wahlkampf. Nach den letzten Umfragen liegt sie bei fünf Prozent. Man muss natürlich dazu sagen, dass die Umfragen mit Vorsicht zu genießen sind.

derStandard.at: Kann man Guatemala noch immer als "Hinterhof der USA" sehen?

Traditionell ist das natürlich so. Die politische Angst der Vergangenheit, dass Guatemala zu einem neuen Kuba werden könnte, ist allerdings nicht mehr vorhanden. Zum einen, weil die traditionelle Linke im Bürgerkrieg aufgerieben worden ist und zum anderen, weil das kubanische Vorbild nicht mehr so attraktiv ist. Es herrscht eher die Angst davor, dass Chavez an Einfluss gewinnen könnte. Aber auch für Chavez´ Geschenke ist Guatemala nicht sehr anfällig, da er politisch hier kaum Einfluss und wenig Interesse hat, eine der Oligarchen-Parteien zu unterstützen. Potenziellen Führungsfiguren der linken Parteien und der Gewerkschaften wurden während des Bürgerkriegs eliminiert.

derStandard.at: Steht Guatemala auf der Schwelle zum neuen Bürgerkrieg?

Neumann: Ich würde das nicht so nennen. Nicht, wenn wir von der traditionellen Definition eines Bürgerkrieges ausgehen. Die Gewalt - über 6000 Tote pro Jahr - hier ist eine kriminelle Gewalt, die natürlich ihre Fäden in der Politik hat, aber eher von wirtschaftlichen Interessen gelenkt wird. Ideologische Bruchstellen, die zu einem Bürgerkrieg führen könnten, sind nicht zu sehen. Aber die strukturelle Gewalt ist beängstigend und untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung wie auch potentieller ausländischer Investoren. 200 000 Bürgerkriegstote in 35 Jahren stehen heute wieder einer vergleichbaren Zahl unpolitischer wie auch politisch motivierter Gewalttaten gegenüber.

derStandard.at: Wie sind Sie auf den Wahltag vorbereitet?

Neumann: Unter anderem durch gute security briefings und einen privaten Sicherheitsdienst. (Manuela Honsig-Erlenburg/derStandard.at,8.9.2007)