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Uta Ranke-Heinemann: "Seit Johannes Paul II. ist Christentum völlig zum Marientum geworden. Wer wie ich an der Jungfrauengeburt zweifelt, wird exkommuniziert."

Foto: APA/dpa/Multhaupt
"Aus dem kritischen und bescheidenen Studenten" von damals sei "ein unfehlbarer, besserwisserischer Papst geworden," kritisiert die Theologin Uta Ranke-Heinemann ihren einstigen Studienkollegen Joseph Ratzinger im derStandard.at- Interview . Die "naive" Hoffnung, die sie zu Beginn in Ratzinger als Papst gesetzt habe, sei sofort enttäuscht worden. Immer noch sei die Kirche ein "frauen- und sexualfeindliches "Junggesellenreservat".

Scharf ins Gericht geht Ranke-Heinemann unter anderem mit der Verweigerung des Vatikans, das Problem der Pädophilie in der Priesterschaft zu thematisieren. Friedliche Proteste gegen den Papst unterstützt sie. Die Fragen stellten Manuela Honsig-Erlenburg und Rainer Schüller.

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derStandard.at: Sie sind eine Studienkollegin von Joseph Ratzinger und meinten einmal, dass von daher zwischen ihm und Ihnen "eine warme Sympathie" bestehe, Sie aber nichts von ihm als Papst erwarten. Jetzt steht Ihr ehemaliger Studienkollege schon über zwei Jahre lang an der Spitze des Kirchenstaates. Haben Sie Ihre Meinung geändert?

Ranke-Heinemann: Ich hatte wegen meiner aus unserer Studienzeit herrührenden Sympathie für ihn eine fast naive Hoffnung, dass er als Papst z.B. den Zölibat abschaffen würde. Aber die Hoffnung wurde sofort enttäuscht.

derStandard.at: Wo liegt der größte Unterschied zwischen Papst Benedikt und dem Menschen Joseph Ratzinger?

Ranke-Heinemann: Aus dem kritischen und bescheidenen Studenten ist ein unfehlbarer, besserwisserischer Papst geworden.

derStandard.at: Der Papst wird bei seinem Österreich-Besuch Kritik nur schriftlich entgegen nehmen. Was halten Sie von dieser Diskussionsverweigerung?

Ranke-Heinemann: "Kritik nur schriftlich einreichen" entspricht genau Papst Benedikt, dem Chef der vormaligen Inquisition. Denn es war Kardinal Ratzinger, der 2001 in einem Geheim-Schreiben an die Bischöfe über die "Exklusive Kompetenz" des Vatikans bezüglich der Pädophilie von Priestern (Crimen Sollicitationis) absolute Geheimhaltung einschärfte. Das bedeutet: jede Kritik wird ungeöffnet an den Absender zurückgeschickt.

In dem erschütternden BBC-World Fernsehfilm "Sex Crimes and the Vatican" von dem irischen BBC-Korrespondenten Colm O'Gorman, der mehrfach gesendet wurde im Oktober 2006, sieht man die Leidensgeschichten vieler Kinder, die von Priestern mißbraucht worden waren. Und als einzige Reaktion des Vatikans werden alle Schriftstücke staatlicher Behörden ungeöffnet zurückgeschickt. Man sieht in dem Film das umfangreiche Schriftstück, das der Staatsanwalt in Phönix Arizona Rick Romley ungeöffnet zurückerhielt. Auf dem Umschlag lediglich zu lesen in mehreren Sprachen: "retour, rinvio, refuse..".

derStandard.at: Kritische TheologInnen wie Sie oder Leonardo Boff wurden vom Lehramt ausgeschlossen, Radikale wie der Chef von "Radio Maryja" dürfen bleiben. Wie radikal ist Kirchenführung mittlerweile?

Ranke-Heinemann: Seit Johannes Paul II. ist Christentum völlig zum Marientum geworden. Wer wie ich an der Jungfrauengeburt zweifelt, wird exkommuniziert. Ja, der Papst ist radikal, wie man an seiner Regensburger Rede sieht, in der er sich vom Inquisitor zum Kreuzritter entwickelt. Ein Radiosender, der Marientum und Kreuzrittertum verbindet, ist deswegen ideal.

derStandard.at: Nach Johannes Paul II hat sich auch Benedikt XVI öfter in politische Diskussionen gemischt. Zum Bsp. innenpolitisch in die Diskussion um die Anerkennung homosexueller Partnerschaften in Italien. Darf das ein Religionsführer?

Ranke-Heinemann: Der Papst hält sich für unfehlbar auch in Moralfragen und erlaubt sich jede Einmischung auf diesem Gebiet. Ich höre auf den katholischen Fernsehsendern Abend für Abend das Gejammer entweder des Papstes oder seiner bischöflichen Claqueure, dass nicht genügend Priesterberufungen erfolgen, weil angeblich die Familie durch die Homosexuellenpartnerschaften bedroht ist. Familienfeindlich ist aber vielmehr das vatikanische Junggesellenreservat. Die Familie geringschätzend ist der Papst.

Das Konzil von Trient, bis heute wesentliche Grundlage katholischer Lehre, erklärt am 11. November 1563: "Wenn jemand sagt, es sei nicht besser und gottseliger, in der Jungfräulichkeit und dem Zölibat zu bleiben, als zu heiraten, der sei verdammt". Statt dessen will der Papst in seiner Frauen- und Sexualfeindlichkeit Gott, den Schöpfer des Universums, korrigieren. Mit dem Vatikan als dem Ideal-Biotop für keusche Homosexuelle, als einem frauenlosen Terrarium, ist ein uralter religiöser Menschheitsirrtum zu seinem krönenden Abschluß gelangt.

derStandard.at: Es wird anlässlich des Papstbesuches in Österreich auch Demonstrationen gegen Benedikt XVI. geben. Unterstützen Sie eine derartige Form des Protests?

Ranke-Heinemann: Solange ein Protest friedlich bleibt, unterstütze ich ihn.

derStandard.at: Wie viel Kritik müsste die katholische Kirche zulassen, um auch tatsächlich wieder von den Menschen ernst genommen zu werden?

Ranke-Heinemann: Papst Benedikt XVI. hat zwar auf dem "Weltkongress gegen die Todesstrafe" in diesem Jahr in Paris am 15. März dazu aufgerufen, die Todesstrafe abzuschaffen. Aber die Kirche selbst befürwortet die Todesstrafe nach wie vor: Weltkatechismus 1992, Nr. 2266, lateinische Fassung 1997, Nr. 2267 und Kompendium des Katechismus von Benedikt XVI. 2005, Nr. 469.

Statt nur zur Abschaffung der Todesstrafe "aufzurufen", hätte er beim Papstbesuch von Bush am 10.6.07 auf einer Abschaffung der Todesstrafe bestehen sollen. Aber er und Bush gehen vor nach dem Motto: je ungeborener, ja ungezeugter der Mensch, desto schützenswerter ist er. Und deswegen wurde auch bei diesem Bushbesuch der Irakkrieg nicht einmal erwähnt.

Ich bin als Pazifistin gegen Tötung und Abtreibung. Aber ich glaube nicht, dass der Sprung in das Individuum (= Unteilbares) "im Augenblick der Empfängnis" geschieht. Bis 1869 gab es eine Frist von 40 Tagen (Männerseele) bzw. 80 Tagen (Frauenseele) in Anlehnung an die Sukzessivbeseelung (Nach-und-Nach-Beseelung) bei Aristoteles. Aber da es "der Jungfrau Maria unangemessen" sei, nicht "vom ersten Augenblick an eine vernunftbegabte Seele" gehabt zu haben, so der Leibarzt des Papstes Innozenz X. Paul Zacchias 1661, wurde diese Frist schließlich von Pius IX. abgeschafft (Bulle Apostolicae Sedis 1869) und das Kirchenrecht geändert. Ein Jahr später erklärte er die Unfehlbarkeit des Papstes (also seine eigene) zum Dogma.

Die Menschwerdung des Menschen entzieht sich jeder Berechnung und Fixierung und vollzieht sich in einer geheimnisvollen Unnahbarkeit, in einer trotz aller Nähe fremden Ferne. Aber die Menschwerdung auf den Augenblick der Empfängnis festzulegen und sogar jede Verhütung, z.B. Kondome usw. "gleichermaßen zu verdammen" (Pillenenzyklika Humanae Vitae 1968, Kapitel 14., von Kardinal Karol Wojtyla eingeflüstert), das geschieht nicht aus Sorge um Menschenleben, sondern aus 2000-jähriger Sexual- und Frauenfeindlichkeit.

derStandard.at: Gibt es das "Massenphänomen Papst" oder muss sich die katholische Kirche langsam damit abfinden, dass sich niemand mehr für sie begeistern kann.

Ranke-Heinemann: Die Gefahr besteht nicht. Es ist für viele Menschen leichter, an alle möglichen Wunder, insbesondere an Marienerscheinungen zu glauben, als das zu tun, was Jesus predigte: "Keine Vergeltung und den Feinden Gutes tun." Aber schon das Wort "Pazifisten" wird vom Papst und seinem Vorgänger gemieden, obwohl in seiner Bergpredigt Matthäus 5,9 Jesus die pacifici (lateinische Vulgata-Übersetzung) selig preist. (derStandard.at/6.9.2007)