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Wenn Josef Pröll nicht gerade mit dem Klimaschutz beschäftigt ist, diskutiert er die Perspektiven, die seine ÖVP hat. Im Gespräch mit Conrad Seidl und Überraschungsgast Feri Thierry (ÖVP) wehrt er sich gegen den Eindruck, dass bei dieser Diskussion neue Wege unerwünscht wären.

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STANDARD: Herr Bundesminister, welchen Strom verwenden Sie eigentlich in Ihrem Ministerium?

Pröll: Wir beziehen an den drei Standorten, für die das Umweltministerium verantwortlich ist, den Strom von der Oekostrom AG. Mit der einen kleinen Einschränkung, dass für das Gebäude am Stubenring 1 nicht wir den Strombezug verantworten, sondern das Wirtschaftsministerium. Wir schauen immer auf eine sehr nachhaltige Energiequelle und wir wollen das auch gemeinsam mit den anderen Ministerien am Stubenring umsetzen, da spreche ich mit den Ministern Bartenstein und Faymann. Unser Ministerium ist Emas-zertifiziert, das ist die höchste Umweltzertifizierung für Betriebe und öffentliche Einrichtungen, die ein nachhaltiges Energie- und Abfallwirtschaftskonzept voraussetzt. Und egal, wo wir den Strom beziehen, wir verwenden überall Energiesparlampen.

STANDARD: Ich frage das deshalb, weil Ihr deutscher Amtskollege Sigmar Gabriel im Rahmen seines Klimaschutzprogramms alle Ministerien und Bundesbehörden verpflichten will, auf Ökostrom umzusteigen - bei uns ist in dieser Hinsicht nichts geplant?

Pröll: Ich bin ganz massiv dahinter, dass wir in der Beschaffungsagentur die ökologische Beschaffung forcieren. Das beginnt beim Fuhrpark und der Mobilität - ein höherer Anteil von ökologischen Treibstoffen und Antrieben - und führt zum Einkauf von Ökostrom. Ich werde mit dem Finanzminister diese Frage vorantreiben.

STANDARD: Nun hat der Finanzminister andere Prioritäten: Für ihn gelten ökonomische Kriterien, sein Ziel ist doch eher die Budgetsanierung, nicht der Klimaschutz?

Pröll: Es stimmt schon, dass der Konflikt von Ökologie und Ökonomie in der Vergangenheit viel blockiert hat - aber wir waren noch nie so nahe an einer Lösung wie jetzt. Gerade durch den Schwung der Klimaschutzdebatte brechen Dämme auf. Und wir haben im öffentlichen Bereich eine Vorbildwirkung wahrzunehmen.

STANDARD: Man merkt halt nichts davon - außer vielleicht beim Bundesheer, das schon in den Achtzigerjahren vom Biotopschutz auf den Truppenübungsplätzen bis zum Biosprit für die Autos eine Pilotfunktion eingenommen hat.

Pröll: Da hat sich aber doch einiges getan: Wir haben beispielsweise bei Bundesschulen Contracting-Modelle, wir zeigen dort, wie Energiesparen funktioniert. Die Bundesimmobiliengesellschaft engagiert sich da wirklich sehr. Und wir beschaffen mit Ethanol betriebene Fahrzeuge, wir verwenden seit jeher Recycling-Papier, wir bieten in der Kantine Essen aus biologischer Landwirtschaft.

STANDARD: Von der Umsetzung der ökosozialen Marktwirtschaft, zu der sich die ÖVP 1990 verpflichtet hat, ist man aber noch weit entfernt. Im Gegenteil: Sie selbst sitzen einer Perspektivengruppe vor, die der Partei eine neue Programmatik geben soll.

Pröll: Die ökosoziale Marktwirtschaft ist für mich die grundlegende Handlungsanleitung, Politik zu machen. Sie ist hochmodern, man könnte meinen, sie ist damals von Joschi Riegler fast zu früh propagiert worden, da hat man sie noch nicht verstanden. Heute ist sie das Leitbild einer nachhaltigen Politik, auch wenn man sie nicht immer mit diesem Begriff belegt.

STANDARD: Warum gibt sich die ÖVP dann überhaupt ein neues Programm?

Pröll: Nach dem Wahlergebnis vom 1. Oktober hat mich die Volkspartei beauftragt, über Perspektiven nachzudenken: Welche neuen Antworten muss die Partei geben - ohne die Strukturen und die Partei in ihren Fundamenten zu zerstören. Wir führen die Diskussion jetzt knapp ein Jahr - und werden wiederum am 1. Oktober der Partei eine Zusammenfassung vorlegen, die dann feststellen kann: Was ist umsetzbar und wie schnell? Was braucht Zeit und wo sind die Menschen schon weiter als wir selbst es in den Gremien sind?

Thierry: Man fragt sich: Wie sehr will die ÖVP die Veränderung wirklich? Man hat doch eher den Eindruck, dass sich die ÖVP bemüht, die Geister, die sie gerufen hat, wieder loszuwerden.

Pröll: Da können Sie beruhigt sein: Man wird mich nicht so leicht los. Ich habe 16 Leute gebeten, Vorschläge zu erarbeiten - das ist ein Diskussionsprozess, wie ihn eine große Partei noch nie geführt hat: 10.000 Leute reden mit, über 100 Veranstaltungen, eine Million Zugriffe auf die Homepage. Ich bin überzeugt, dass dieser Prozess unumkehrbar ist, die Vorschläge werden da liegen und an denen kommt niemand vorbei.

STANDARD: Aber kaum gibt es einen auch nur etwas kontroversielleren Vorschlag aus einer Perspektivengruppe, wird sofort beschieden: Darüber diskutieren wir nicht einmal.

Pröll: Es gab konkret von hunderten Vorschlägen zwei, wo die Diskussion kontroversiell gelaufen ist: Wie schaut es aus mit dem Zuzug von Familienangehörigen und mit der Arbeitsberechtigung? Und zweitens die Frage der Neutralität, die singulär aus einem sehr guten und umfangreichen Papier herausgegriffen wurde. Da haben wir nicht gesagt: Nein zur Diskussion, sondern dass wir abseits der Neutralität keine andere Perspektive sehen und entwickelt haben. Eine Diskussion erwartet ja auch Widerspruch.

Thierry: Und welche Gewissheit haben die erwähnten 10.000 Leute, die mitgearbeitet haben, dass da auch wirklich etwas passiert?

Pröll: Wir werden neben meinen Schlussfolgerungen alles offenlegen, was diskutiert wurde - und gehen Sie bitte davon aus, dass die Diskussion am 1. Oktober nicht vorbei ist, sondern in den Parteigremien Punkt für Punkt massiv weitergeführt wird und Antworten gegeben werden.

STANDARD: Antworten geben, das ist ja nett - aber in vielen Punkten geht es doch eher zurück als vorwärts. Einer ist die Familienpolitik - da war das Familienbild des Salzburger Programms aus den Siebzigerjahren, wo von neuen Formen des Zusammenlebens die Rede war, ja geradezu modern. Heute heißt es: keine Diskussion über die Homo-Ehe.

Pröll: Wir diskutieren sehr intensiv: Was ist Familie? Das Bild hat sich geändert und wir müssen eine Antwort geben. Familienpolitik wird das Herzstück unserer Politik sein - darf aber nicht heißen: Ausgrenzung von anderen Lebensformen.

Thierry: Ich habe den Eindruck, dass die ÖVP da in die strukturkonservative Falle läuft: Da gibt es die Ehe, wie sie immer war, und die darf nur Mann und Frau offen stehen. Warum sagt die ÖVP nicht: Uns sind die Werte wichtig, die Verantwortung, die Solidarität - und daher wollen wir diese Werte auch gleichgeschlechtlichen Paaren eröffnen?

Pröll: Lassen Sie mich klarstellen: Wir behandeln nicht das Sakrament der Ehe, sondern - welchen Rahmen bietet der Staat für das Zusammenleben von Menschen an? Und wo übernehmen Menschen füreinander Verantwortung und welche Rechte und Pflichten verbindet der Staat damit? Dieser Diskussionsprozess hat in den Köpfen viel verändert - da haben viele erstmals überhaupt mit Betroffenen geredet. Die Frage gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist durch ein wesentlich stärkeres Bekenntnis auch in den Mittelpunkt der Diskussion gekommen. Auch auf diese Entwicklungen muss die ÖVP aus ihrem kernpolitischen Bild von Familie eine Antwort geben und ich gebe zu: Das haben wir bisher nicht ausreichend getan.

Thierry: Und welche Antwort können Sie finden?

Pröll: Wir müssen eine Antwort finden für jene, die sich diskriminiert fühlen und die das vielleicht in dem einen oder anderen Punkt auch sind. Warten wir also ab, was der Diskussionsprozess zum 1. Oktober ergibt.

STANDARD: Stichwort Diskriminierung: Die gibt es auch im Schulbereich, wo es Gruppen gibt, die Probleme haben - und eine ÖVP, die sagt, dass alle Strukturen bleiben sollen, wie sie sind.

Pröll: In der Bildungsdebatte bin ich leidenschaftlich engagiert: Da läuft die Debatte doch nicht bei uns, sondern in der SPÖ völlig aus dem Ruder. Es ist doch die SPÖ, die ein Chaos um die Gesamtschule erzeugt. Die Antwort darauf, dass es unterschiedliche Begabungen, unterschiedliche Herkünfte und unterschiedliches Grundbildungsniveau gibt, kann doch nicht heißen: alle in eine einheitliche Gesamtschule stecken und per Gesetz über Eltern und Lehrer drüberfahren. Oder gar: "Matura für alle" - damit wäre nur das Gymnasium zerstört und nichts gewonnen.

Man muss doch sehen, wo die Defizite wirklich liegen, dass 70 Prozent der Arbeitslosen maximal Hauptschulabschluss haben. Da wäre doch die logische Konsequenz daraus - und sie ist es für mich: Man muss schauen, dass die Hauptschule für diese Menschen nicht eine Sackgasse bildet wie derzeit in Wien, sondern den Weg eröffnet zu höheren Schulen oder zur Lehre und über diesen Weg auf die Universität. Nur in Wien ist die Hauptschule aufgrund einer verfehlten Schulpolitik dazu degradiert worden, dass sie mehr für den Arbeitslosenmarkt als für den Arbeitsmarkt leistet. Wir brauchen nicht ein Downgrade des Gymnasiums sondern ein Upgrade der Hauptschule, damit jemand, der die Hauptschule absolviert, ein geachteter Lehrling, Geselle, Meister, Unternehmer werden kann.

Thierry: Also mir kommt vor, dass das Bildungsthema ebenso diese Diskrepanz zwischen Struktur und Werten zeigt. Die Struktur ist doch drittrangig; wichtig ist, was ein Lehrer den Kindern täglich vermittelt.

Pröll: Ja, auch hier: weg von der Strukturdiskussion. Wir führen die Diskussion um die Bildungsziele - und da zeigt sich: Wir brauchen Bildungsziele für alle, die eine Schule verlassen, es darf keine Sackgassen geben. Und zweitens muss man sehen, dass der Schlüssel die Lehrer sind: Das Problem ist doch, dass sie im Anspruchsdenken mancher zu Ersatzeltern geworden sind, das können sie nicht leisten. Drittens werden wir sagen, dass wir nicht die Nivellierung wollen, sondern die Leistungsdifferenzierung. Alles, was mit Leistungsbeurteilung zu tun hat, muss erhalten bleiben, weil es eine gute Grundlage für die Zukunft ist.

STANDARD: Heißt das zusammengefasst: Die ÖVP will am Land erhalten, dass für ihre ländliche Klientel die dort bewährten Hauptschulen erhalten bleiben und dass in der Stadt für ihre verbliebene bürgerliche Klientel die Bildungsprivilegien bestehen bleiben? Das wäre dann eine klar umrissene Zielgruppenpolitik.

Pröll: Wir denken weit über den in dieser Frage implizierten Vorwurf hinaus, das ist für uns keine Kategorie. Uns geht es um Kinder im ganzen Land, egal, ob sie einen Migrationshintergrund haben oder ob sie nicht so mitkönnen in der Gesellschaft. Wir müssen mehr Differenzierung und Transparenz im Sinne von Um- und Aufstiegsmöglicheiten schaffen. Wir wollen, dass alle mitkommen und keiner zurückbleibt. Aber das kann im Umkehrschluss nicht heißen, dass alles in eine Einheitsschule führt. Das bringt Österreich nicht weiter. Und das bringt auch den Kindern nichts, weil das Niveau innerhalb einer Klasse so unterschiedlich wird, dass auch die Lehrer nicht damit zurande kommen. Zur Person Schwule Perspektive Feri Thierry (34) kam schon als Schüler mit Politik in Verbindung: Er war in der ÖVP-nahen Schülerunion und später bei der Aktionsgemeinschaft (AG) als Bundesobmann engagiert. Thierry arbeitet in der "Plattform für eine offene Politik" mit, die eine ideologische Öffnung der ÖVP anstrebt, und lancierte unter anderem die Kampagne "Stark. Schwarz. Schwul". Sein Anliegen, gleichgeschlechtliche Paare rechtlich mit heterosexuellen Paaren gleichzustellen, trug er auch in die ÖVP-Perspektivendiskussion. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.9.2007)