Roberta Lima: "Inversion – Taking Out", 2007, Video, Farbe, 1.30 min.

Foto: Roberta Lima

Die Performance-Preisträgerin Roberta Lima im Porträt von Anja Manfredi.

Foto Anja Manfredi / Kunstraum Niederösterreich

Wien – Performance lebt von und leidet zugleich an ihrer Flüchtigkeit. Immer wieder auch findet sie überhaupt unter Ausschluss von Publikum statt, wird also versucht, die angestrebte Intensität ausschließlich über das Dokumentarmaterial öffentlich zu machen – auf Fotos, Filmen, Videos. Wer womöglich dennoch dabei war, zeichnet sich dann gerne selbst damit aus, das selbstverständlich Legendäre der Aufführung zu verkünden. Performance und der passende Legendenapparat haben eine lange Tradition in Österreich. Die Klassiker haben etwa die Wiener Aktionisten geliefert oder Valie Export oder später dann Elke Krystufek oder Erwin Wurm.

Bei Günter Brus wurde die Performance 1970 im Aktionsraum München zur Zerreißprobe, er schnitt sich mit einer Rasierklinge Wunden in die bestrumpften Oberschenkel, verhakte Schnüre an den Wundrändern. Die Wunde klaffte auf, die Strümpfe zerrissen, Blut floss. Anschließend hat Brus in ein Glas uriniert und selbiges ausgetrunken. Selbstverstümmelung und Tortur waren Themen, die auch schon zuvor, 1966, am Destruction in Art Symposion in London in die anschauliche Tat umgesetzt wurden.

Roberta Lima wurde 1974 in Manaus geboren. Roberta Lima hat den erstmals ausgeschriebenen Performance-Preis des Kunstraums Niederösterreich zugesprochen bekommen. Am Donnerstag Abend zeigt sie dort ihre Arbeit "Lights Out!" – Selbstverstümmelung und Tortur stehen dabei nicht zur Debatte.

Vielmehr konzentriert sich ihre Arbeit auf die Verhältnisse zwischen Künstlerin und Betrachter, zwischen Architektur, Publikum und Performer. In welche Spannungs- und Kräfteverhältnisse treten die Beteiligten des Abends? Wer wagt sich wie weit heran an die Performerin, deren Körper geöffnet, gepierct, die Haut penetriert wird, während es dunkel ist im Raum und klarerweise Blut fließt?

Wer wird es vorziehen, dem Geschehen aus der Distanz, auf Bildschirmen zu folgen, oder/und wer wird sich selbst mit den Relikten assoziativ austauschen, das befleckte Kleid betrachten, die Nadeln, die den Körper geöffnet haben, die Handschuhe dessen, der die Öffnung ausführt? Schmerz, sagt Roberta Lima, sei dabei weder Thema, noch würde sie solchen empfinden. Zu sehr sei sie auf den Ablauf der Aktion selbst konzentriert, auf das Geschehen und darauf, dass die Aktion nicht zum Spektakel verkommt, dass sie Stärke zeigt und nicht das Klischee der Frau bedient, die schutzbedürftig ist.

Schmerz hallt bisweilen als Echo nach, wenn sie ihre Performances auf Video betrachtet. Schmerz empfinden angesichts von Aktion, Fotomaterial und knapp geloopten Videos eher die anderen, das Publikum. Womit ein Austausch stattgefunden hätte, eine unmittelbare Übertragung vom Performer auf den Akteur.

Transformation

Erst über die Arbeit mit dem eigenen Körper hat sie zu einem Selbstbewusstsein als politisch agierende Künstlerin gefunden. "Ich experimentiere mit Performance als eine extreme, schnell greifende Methode, um Diskussionen hervorzurufen. Weil ich meinen Körper preisgebe, empfinde ich eine große Notwendigkeit, mich sozial und politisch zu positionieren. "Lights Out!" ist Kritik und Metapher auf die Adaption des weiblichen Körpers gegenüber den Standards der Gesellschaft und gegenüber der Konstruktion und Dekonstruktion von Weiblichkeit. Die Erschaffung, Transformation und Zerstörung eines Kleidungsstücks wird mit einem Hauch Ironie und Humor performt."

In Brasilien, erinnert sie sich, war sie eher "dabei", hat Architektur studiert, hat aus Neugierde heraus die Body-Modification-Szene entdeckt. Aber erst eine umfassende Recherche zugleich nach der Geschichte der Performance, jener der Zirkusse und Freakshows wie nach der Geschichte des Feminismus hat sie dorthin gebracht, den eigenen Körper als zentrales Material ihrer Kunst zu benutzen.

"In meiner Studienabschlussarbeit 'Freak Show – Centro de Cultura – Body Modification' begann ich, durch Porträts zum Thema einen direkten Zusammenhang zwischen Architektur und Fotografie herzustellen. In den Fotografien von Menschen, die der 'Body-Modification' anhängen, wurde ein Raum für diese Menschen gedacht und geschaffen. Die an den Körpern dieser Menschen dokumentierten Veränderungen suggerieren die architektonischen Formen dieses projektierten Raumes."

Im Gegensatz zum Machismo, der weite Teile der BodyModification-Szene bestimmt, zum dort stets hervorgehobenen Aspekt des "Ertragen-Könnens" und der daraus abgeleiteten Auszeichnung als "starker Mann", erscheinen Roberta Limas Experimente mit dem eigenen Körper als klärende Rituale, als in aller Vorsicht, Behutsamkeit, Selbstliebe und Schönheit vollzogene Häutungsakte. (Markus Mittringer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.9.2007)