Verkauf von Hanfpflanzen im Stadium blütenloser Unschuld: im Einklang mit dem Gesetz und dennoch strafbar?

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Die vergangene Woche publik gewordene Strafandrohung gegen 80 Hanfshopbetreiber, die diese mit professionellen Drogendealern gleichsetzt, sät Zweifel in die Herzen derer, die an den Rechtsstaat glauben, meint Georg Bürstmayr - Von Georg Bürstmayr (Rechtsanwalt in Wien)

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Man könnte die Auseinandersetzung zwischen den Betreibern so genannter Hanfshops und der Justiz als Match betrachten: Dann hätten die Betreiber dieser Läden einen frechen Start mit etwa diesen Worten hingelegt:

Suchtgift

"Wir verkaufen zwar Hanfpflanzen, aus denen jede Menge des (verbotenen) Rauschstoffes THC gewonnen werden kann, aber: Laut Suchtgiftverordnung sind nur die Blüten und Fruchtstände, denen das Harz nicht entzogen ist, Suchtgift! Ergo ist die nicht ausgeblühte Hanfpflanze völlig legal. Und wir hindern sie am Ausblühen, einfach indem wir sie 18 Stunden am Tag belichten. Was unsere Kunden später damit machen, geht uns nichts an. Und was wir sonst noch so verkaufen (Zigarettenpapier in Übergröße, "Fachliteratur" zum Thema Cannabis und Marihuana, ganze Hanfzuchtanlagen), das gibt's alles woanders auch, ganz legal. Also?"

Tatsächlich war die Justiz zwar irritiert, denn das Sortiment eines durchschnittlichen Hanfshops schien doch auf Konsumenten zugeschnitten, die, sagen wir, dem Marihuanakonsum nicht grundsätzlich abgeneigt sind, aber zunächst schien diese Argumentation wasserdicht.

Keine Blüte - kein Gift

Erste Versuche, den Hanfshop-Betreibern den Prozess wegen unmittelbarer Herstellung von Suchtgift zu machen, scheiterten an der Rechtslage: keine Blüte, kein Gift. Das hat sich gründlich geändert. Umgangssprachlich ausgedrückt sagen Staatsanwaltschaft und Gerichte seit einiger Zeit nämlich: Wir lassen uns doch nicht pflanzen, ihr wisst, und wir wissen, was eure Kunden mit dieser Sorte Grün vorhaben.

Blüten abernten

Von wegen Luftverbesserung oder Zimmerschmuck, jeder vernünftige Mensch muss davon ausgehen, dass er eure Hanfpflanzen zu genau einem Zweck bei euch kauft: sie ausblühen lassen (und zwar einfach, in dem er ihnen das Licht früher abdreht, siehe oben!), die Blüten abernten und rauchen! Und deshalb gehen wir davon aus, dass es unter euren vielen Kunden mindestens einen geben muss(!), der eine eurer Pflanzen in die Blüte bringt und Suchtgift herstellt, und das wisst ihr auch und findet euch damit ab. Ob wir den einen finden oder nicht, wo und wann und wie genau er das THC schließlich gewonnen hat, das alles ist egal, wir dürfen jedenfalls voraussetzen, dass es ihn und seine Straftat gibt, und für diese Tat haftet ihr mit.

Keine Herstellung

Juristisch gesagt: Wer Hanfpflanzen vor der Blüte verkauft, stellt zwar kein Suchtgift her und gibt es auch nicht weiter. Aber er gilt vor Justitia als vorsätzlicher Beitragstäter an einer gedanklich vorausgesetzten (!) Straftat, deren Haupttäter (der mindestens eine Kunde, der es wohl hat blühen lassen) unbekannt ist und bleiben darf.

Paradoxe Situation

Das wirkt auf den ersten Blick für manche nicht fair. Aber der Schiedsrichter in diesem Match, der Oberste Gerichtshof, hat diese Argumentation für regelkonform erklärt. Daraus ergibt sich eine paradoxe Situation:

Hanfshops vertreiben Produkte, die per se nicht illegal sind, sie haften aber strafrechtlich dafür, was ihre Kunden mit diesen Produkten später anstellen – weil man ihnen nämlich unterstellt, dass sie es mit einkalkulieren. Weniger die Produkte selbst, ihre Zusammenstellung ist Grund für die Gerichte, das annehmen zu dürfen.

Weiterentwicklung der Judikatur

Das könnte Ängste wecken: In der Diskussion oft gezogene Vergleiche mögen zwar hinken – ein Waffenhändler muss zwar auch damit rechnen, dass irgendeiner seiner Kunden mit einer seiner Waffen einen Mord begehen könnte, aber in seinem Geschäft gibt es keine Anleitung zum Töten; der Besitzer eines Baumarkts verkauft zwar Brecheisen, aber daneben keinen Satz Dietriche. Solche Unterscheidungen, die in Wahrheit an der Produktumgebung und nicht am Produkt selbst anknüpfen, finden sich allerdings in keinem Gesetz, sondern bloß in Urteilsbegründungen. Das heißt, sie könnten von der Rechtsprechung auch aufgegeben werden, zum Beispiel, wenn eines Tages Delikte mit legal erstandenen Waffen oder Brecheisen überhand nehmen. Da wäre sie dann, die Strafdrohung für ein Tun, das per se kein Gesetz unter Strafe stellt. Kritiker nennen das Richterrecht, Juristen sprechen vorsichtiger von "Weiterentwicklung der Judikatur".

Produkt unterliegt keinem Verbot

Die Frage, ob ein Produkt, das an sich selbst keinem Verbot unterliegt, gefahrlos hergestellt und verkauft werden darf, reicht aber in unserem Wirtschaftssystem weit über den Umgang mit Cannabis, ja das gesamte Strafrecht hinaus. Gesetz- und Verordnungsgeber sollten sie eindeutig und verlässlich beantworten – sei es, indem man Produkte, aus denen Illegales so oft und leicht hervorgehen kann, generell verbietet, oder indem man rechtlich klarstellt, dass verkauft werden darf, was nicht für illegal erklärt ist. Sonst müssen Wirtschaftstreibende aller Sparten nämlich bald allabendlich statt ihrer Bücher die aktuelle Strafrechtsprechung prüfen. (DER STANDARD Printausgabe 6.9.2007)