Auch ein Hollywood-Star wie Cate Blanchett kann Bob Dylan sein: US-Regisseur Todd Haynes nähert sich in seinem jüngsten Spielfilm "I'm Not There" der Lebensgeschichte einer Popkulturlegende in Form eines vibrierenden Kompendiums - neben Blanchett agieren Richard Gere, Christian Bale oder Heath Ledger unterschiedliche Identitätsentwürfe aus.

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Andere Wettbewerbsbeiträge der 64. Filmfestspiele von Venedig sehen daneben trotz bunter Farben blass aus.

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Die Währung eines Filmfestivals wie Venedig sind seine Stars. Direktor Marco Müller, geschickt im Ausbalancieren von populären und intellektuelleren Ansprüchen, kann sich in diesem Jahr unbekümmert zeigen: George Clooney, Brad Pitt, Colin Farrell, Charlize Theron, Richard Gere - sie alle ließen sich bisher am Lido sehen, artig befragen und frenetisch beklatschen. Dieser Markt scheint intakt, auch wenn der eigentliche Grund mancher Anreise, der jeweilige Film, ein wenig hinterm Starglanz verschwindet.

Warum aber wirkt ein Star so nachhaltig? Und wie verhält es sich mit seiner Glaubwürdigkeit, wenn er das Publikum mit seinen Kreationen beschenkt, zugleich den Markt bedient und womöglich auch noch politische Absichten verfolgt? US-Filmemacher Todd Haynes befasst sich in I'm Not There mit solchen Fragen, und dabei geht es um niemanden Geringeren als Bob Dylan, eine "der wichtigsten Pop-Figuren der Nachkriegszeit", so Haynes - freilich auf gänzlich andere Art, als man es vom Genre des Bio-Pics gewöhnt ist.

Haynes, der schon in Velvet Goldmine Pop-Geschichte innovativ behandelte, hat ein dichtes Gewebe entworfen, in dem sich Pop, Politik und Zeitgeschichte nicht voneinander lösen lassen. In dem vibrierenden Dylan-Kompendium verwandelt sich nicht ein Darsteller in einem Kraftakt den Musiker an, vielmehr agieren gleich sechs Figuren unterschiedliche Identitätsentwürfe aus. Gemäß dem Prinzip: Dylan, dieser Kunstfigur, kommt man nur dann näher, wenn man sich jeder Authentizitätsbehauptung enthält. Ich ist also immer ein anderer.

Zum filmisch herausfordernden Parcours durch ein Künstlerleben wird I'm Not There aber erst durch den Umstand, dass Haynes jedes Dylan-Ich in ein anderes ästhetisches Ambiente einbettet und diese dann unaufhörlich ineinander übergehen lässt: mal als Video-Clip, mal als Fake-Doku (Christian Bale als der junge Dylan), dann wieder als Western-Paraphrase (Richard Gere als amerikanischer Archetyp, in Anlehnung an Dylans Arbeit an Pat Garrett & Billy the Kid), als Beat-Delirium in Schwarz-Weiß (bei dem Cate Blanchett durch Dylans drogenintensivste Zeit taucht) oder als quasirealistisches Familienstück (Heath Ledger und Charlotte Gainsbourg in der Ehekrise).

Todd Haynes hat sich schon immer als Rekonstrukteur vergangener Stile bewährt, die er mit neuen Inhalten füllt. In I'm Not There riskiert er mehr denn je, weil er auf erzählerische (bzw. biografische) Kontinuität verzichtet und das Kino in Richtung einer musikalischen Collage führt. Bestehendes Material wird wie Found Footage behandelt, das man sich aneignet und verwandelt, indem man es neu inszeniert. Angetrieben und kommentiert von zahlreichen Dylan-Songs reicht der Film damit ständig über seine Hauptfigur hinaus und erzählt auch davon, wie sich Pop-Bilder und -Songs verselbstständigen, ein Eigenleben führen.

Imaginäre Reisen

Gemessen an Haynes Experimentierlust wirken andere Wettbewerbsbeiträge ein wenig mutlos: Wes Anderson hat mit The Darjeeling Limited ein zwar vergnügliches Follow-up zu The Life Aquatic with Steve Zissou gedreht, lässt es aber an neuen Ideen mangeln. Owen Wilson, Adrien Brody und Jason Schwartzman spielen Brüder, die mit dem Zug durch ein imaginäres Indien reisen. Die vertrauten Elemente sind alle da: eine dysfunktionale, vaterlose Familie, die wieder zusammenfinden muss; der verschrobene Witz, der Melancholie mit Slapstick paart; die vollgeräumten Settings und bunten Farben.

Im ersten Abschnitt, fast zur Gänze im Inneren eines Zuges, wird die räumliche Enge immer wieder für sehr komische Arrangements genutzt. Das Gleichgewicht zwischen den Brüdern ist gestört, sie hintergehen einander und kommen trotz äußerer Bewegung nicht recht vom Fleck. Anderson ist besser im Andeuten der Defekte als darin, von ihrer allmählichen Heilung zu erzählen. Sein eigenwilliger Stil scheint in der zweiten Hälfte auch eine gewisse inhaltliche Leere kaschieren zu wollen.

Über eine spezifische Handschrift verfügt auch Help Me Eros / Bang Bang Wo Aishen, der neue Film des Taiwanesen Lee Kang-Sheng, den man als Schauspieler aus den Filmen von Tsai Ming-Liang kennt. Lee spielt einen Mann, der sein Vermögen verloren hat und zwischen Sehnsuchtsattacken und Selbstmordfantasien wechselt. Er sucht bei einer Chat-Partnerin Hilfe und lässt sich mit einer Betelnuss-Verkäuferin ein. Beides stößt ihn aber nur tiefer ins Elend.

Ähnlich wie Tsai, der den Film produziert hat, entwirft Lee in beinahe dialoglosen Szenen ein reduziertes Kammerspiel. Nähe stellt sich nur in wenigen ekstatischen Momenten ein. Die meiste Zeit zeigt der Film Existieren als die Wiederholung von monotonen Tätigkeiten: Leerläufe und immer wieder die Lust, Intensitäten zu erfahren - auch über bizzare Speise-Ideen. Vielleicht nicht in jeder Hinsicht originell, vermag Help Me Eros aber immer wieder mit hochstilisierten Bildern zu irritieren, die die Erosion von Gefühlen betreffen. (Dominik Kamalzadeh aus Venedig/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. 9. 2007)