Helmut Denk (67), Professor für Pathologische Anatomie und Vorstand des Instituts für Pathologie der Medizinischen Universität Graz. Studium der Medizin in Wien mit Sub-auspiciis-Abschluss, drei Jahre lang Postdoc in New York, 1976 Habilitation aus Pathologie, danach Professor für Pathologie an den Universitäten Wien (1977-1982) und Graz (1983-2008). Rund 200 medizinische Fachpublikationen, zahlreiche nationale und internationale Auszeichnungen sowie Mitglied der mathematisch- naturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Foto: Standard/Markus Prantl

Leopold Rosenmayr (82), Soziologe und Altersforscher, wurde bereits mit 30 Jahren Professor für Soziologie und Sozialphilosophie an der Universität Wien. Heute ist er Professor emeritus am Institut für Soziologie der Universität Wien. Zahlreiche Untersuchungen zum Thema Jugend und Altern auch aus vergleichend kulturanthropologischer Perspektive, zuletzt das Buch "Schöpferisch Altern. Eine Philosophie des Lebens" (2007). 2007 erhielt er den Preis für Wissenschaft und Ethik der Stadt Wien. Rosenmayr ist Mitglied der philosophisch-historischen Klasse der ÖAW.

Foto: Standard/Markus Prantl
Die neue Langlebigkeit stellt neue Anforderungen an Medizin und Gesellschaft. Wie das genau gehen kann, diskutierte Klaus Taschwer mit Helmut Denk und Lepold Rosenmayr in Alpbach.

STANDARD: Was geht in unserem Körper vor, wenn wir alt werden?

Denk: Mein Beruf, die Pathologie, leitet sich zwar vom griechischen Wort für Krankheit her. Aus medizinischer Perspektive ist das Altern aber keine Krankheit. Die entsteht immer dann, wenn der Körper nicht in der Lage ist, mit besonderen Herausforderungen umzugehen. Freilich: Der alternde Körper ist diesbezüglich weniger adaptierungsfähig. Das beginnt bei der Zelle und ihrer Energieversorgung, die im Alter weniger effizient wird. Es kommt zum Beispiel aber auch vermehrt zu fehlgefalteten Proteinen, die, wenn dies in Nervenzellen des Gehirns erfolgt, zu Alzheimer führen können. Solche degenerativen Veränderungen können im Alter leichter zu Krankheiten führen, weil der Körper nicht mehr so gut auf bestimmte Herausforderungen - also etwa bei einem bakteriellen Infekt - reagieren kann.

STANDARD: Kann man dagegen bewusst etwas machen? Oder liegt das alles in den Genen?

Denk: Es ist immer ein Wechselspiel zwischen den genetischen Aspekten und den Umweltfaktoren. Eine "bessere" genetische Ausstattung erleichtert natürlich gerade auch im Alter das richtige Reagieren des Körpers auf krankheitserzeugende Umwelteinflüsse. Wenn die aber zu stark werden, dann helfen auch die "besten" Gene nichts. Um ein Extrembeispiel zu nennen: Wir wissen alle, dass Alkohol schädlich ist. Eine schwere Leberschädigung entwickeln aber nur rund 20 bis 25 Prozent der chronischen Alkoholiker, die entsprechende genetische Veranlagung haben.

STANDARD: Wenn man nun aber auch und zumal im Alter etwas Positives für den Körper tun will ...

Denk: ... dann ist sicher das Training in körperlicher und geistiger Hinsicht etwas ganz Wichtiges. Durch Bewegung kommt es unter anderem zu einer besseren Blutversorgung der Organe und zur Anregung von allen möglichen Synthesevorgängen auf zellulärer Ebene. Man sollte aber zugleich Überlastungen vermeiden. Das gilt natürlich auch schon für den Spitzensport in jüngeren Jahren, der auch nicht gesund ist.

Rosenmayr: Auch von der Soziologie aus gilt, dass Gesundheit im Alter nicht passives Verhalten ist, sondern aktives Handeln.

STANDARD: Woran denken Sie da?

Rosenmayr: Persönliche und soziale Beziehungen sind für gesundes Altern, durch Forschungen nachweisbar, essenziell. Sie erfordern aber Handeln, z. B. in aktiven Freundschaften. Wichtig ist dabei, dass man immer weiterlernt. Man sollte das gesamte Leben als Schule, oder besser: als einen Prozess der Selbsterziehung betrachten, der in allen Lebensphasen stattfindet. Dazu gehört aber auch, dass man sich bestimmte Dinge - wie überholte eingeschliffene Gewohnheiten - auch wieder abtrainiert. Ich weiß, dass das nicht leicht ist.

Es ist aber nicht nur das Lernen, das zu einer besseren Verarbeitung kritischer Ereignisse und besserer Vorausschau im Leben führt. Auch die Erlebnisfähigkeit hat einen mittelbaren Einfluss auf die Gehirnentwicklung und damit auch auf die Kapazität bewusster Selbststeuerung. Erleben und Erlebtes fokussiert zu verarbeiten ist eine von den guten Voraussetzungen für das Älterwerden. Wer schlampig mit sich umgeht und sich dahintreiben lässt, setzt sich großen Risiken im späten Leben aus. Das Konsumieren als Kompensation von Stress, Sinnkrisen oder Langeweile genügt nicht für die neue Langlebigkeit.

STANDARD: Die höchste durchschnittliche Lebenserwartung gibt es in Japan. Gibt es wissenschaftliche Erklärungen, warum die Japaner Altersweltmeister sind?

Denk: Von der Warte des Pathologen, ja: Japan hatte zum Beispiel die höchste Magenkrebsrate. Durch die Umstellung der Ernährung hat sich da etwas zum Positiven verändert. Wichtig am Beispiel Japan ist aber auch die Einführung von Vorsorgeuntersuchungen, wodurch die Magenkarzinomsterblichkeit stark vermindert werden konnte. Das Besondere daran: Diese Untersuchungen wurden von paramedizinischem Personal durchgeführt. Das würde aber bei uns aufgrund diverser Standesinteressen schwer gehen.

STANDARD: Welche Rolle spielt eigentlich der Wohlstand - wo Japan ja auch längst mit führend ist - als individueller und kollektiver Faktor für Langlebigkeit?

Rosenmayr: Je wohlhabender, desto länger lebt der Mensch. Das ist ein internationaler Befund. Studien, die ich gemeinsam mit Gerhard Majce in Österreich durchführte, zeigen, woher es kommt, dass die Lebenserwartung auch bei uns sozial deutlich gestaffelt ist. Angehörige der Oberschicht 50+ sehen im Unterschied zu den sozial Schwächeren ihre eigene Gesundheit im Alter überwiegend als "sehr positiv" oder "positiv", was selbst wieder positive Effekte hat. Sie blicken auch weitaus optimistischer in die Zukunft. Das hat auch mit mehr gelebter Selbstbestimmung im (früheren) Beruf zu tun. Ein gesundheitsbewusster Lebensstil und Training sind in der Oberschicht 50+ sehr viel weiter verbreitet als in der Unterschicht. Mit dem Auto rasch in den Wiener Prater zu fahren, um dort zu joggen oder zu walken, ist nicht allen möglich. Es erfordert aber auch, dass man sich dazu aufschwingt.

STANDARD: Wie ist das mit dem Zugang zur medizinischen Versorgung im Alter? Hängt die - Stichwort Zweiklassenmedizin - auch vom Geld ab?

Denk: Zustände wie in Großbritannien, wo ab einem gewissen Alter bestimmte Operationen nicht mehr durchgeführt werden, gibt es bei uns sicher nicht. Mitunter kommt es natürlich zu Problemen mit den Krankenhauserhaltern bzw. den Versicherungsanstalten, die Untersuchungen und Behandlungen zahlen müssen. Aber im Großen und Ganzen ist medizinische Versorgung im Alter in Österreich für alle gleichermaßen sichergestellt.

STANDARD: Gleichwohl könnte es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten angesichts der alternden Gesellschaft zu Problemen kommen. Wo sehen Sie denn die größten Herausforderungen?

Rosenmayr: Bei allem bereits existierenden medizinischen und technologischen Fortschritt hat sich die Kultur für die neue Langlebigkeit nicht entsprechend mitentwickelt. Es gibt den Dauerprozess der wirtschaftlichen Innovation und die individuelle wie gruppenhafte Vorteilssuche mit den Ellbogen. Selbst für Menschen, die sich im späten Leben um Selbstständigkeit und Eigenverantwortung bemühen, ist es schwer, soziale Anerkennung zu gewinnen. Das immer noch herrschende Altersbild hat etwas Unterdrückendes für die älteren Generationen. Das gefährdet die menschliche und soziale Zuwendung zwischen den verschiedenen Generationen.

STANDARD: Inwiefern?

Rosenmayr: Das Selbstbildnis hängt auch vom Sozialbild ab. Als Gegenkraft könnte das enorme Potenzial an aktiven und hilfs- und aktionsfähigen älteren Menschen wirksam werden. In vielen deutschen Städten haben sich diese Personen längst selbst organisiert. Und da gibt es auch sehr viel mehr "von unten" organisierte lokale Kooperation zwischen den Generationen. Bei uns ist das leider durch das immer noch vorhandene obrigkeitsstaatliche Denken weit weniger entwickelt und z. T. auch gar nicht erwünscht.

Denk: Wenn es um die Herausforderungen geht, dann ist vom medizinischen Standpunkt sicherlich eine Intensivierung der Vorsorgeuntersuchungen wünschenswert. Dies gilt nicht nur für Tumorerkrankungen. Es gibt Demenzerkrankungen, die durch entsprechende Untersuchungen fünf bis 15 Jahre vorher erkennbar sind. Diese Spanne könnte man nützen, um den Krankheitsprozess positiv zu beeinflussen ...

Rosenmayr: ... und um diese Personen früher sozial zu integrieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass im Jahr 2030 die Hälfte der Haushalte 60+ in Österreich Einpersonenhaushalte sein werden. Das macht neue Formen der zwischenmenschlichen Kooperation dringend notwendig, nicht nur für die Demenzgefährdeten.

STANDARD: Die Pflegediskussion ist für Sie gelöst?

Rosenmayr: Was heißt gelöst? Die Politiker eröffnen natürlich gerne neue Pflegeheime. Was es hingegen ebenso braucht, sind Tageskliniken und viel mehr ambulante als stationäre Behandlung. Ein gefördertes und kleinräumig sozial gestütztes Dasein 70 und 80+ soll Pflege im engeren Sinn aufschieben. Auf jeden Fall ist qualitativ hochwertige individuelle Pflege als Zukunftsziel den Anstalten vorzuziehen. Reiche Gesellschaften können sich das leisten. Ich hoffe, dass Politiker bereit sein werden, das umzusetzen. (STANDARD, Printausgabe, 3.9.2007)