Salonfähiges Ambiente: Temporäre Denkgemeinschaften in der Tradition literarischer Salons wiederzubeleben funktioniert in diesem Schloss ausgezeichnet.

Foto: Château d'Orion
Foto: Château d'Orion
"Château d'Orion", steht auf der Steintafel an der Schlossparkmauer. Der Weg nach Orion, einem Ort im Béarn im Südwesten Frankreichs, ist lang, nicht unbedingt leicht zu finden. Aber lohnend, denn wir, zehn deutsche und zwei österreichische Neugierige, sind gekommen, um an einer "Denkwoche" teilzunehmen. Und - so verheißt der Prospekt - die kommenden Tage sollen neben Aristoteles, Kant und dem Generalthema "Humanismus" Erholung für Körper, Geist und Seele in traditionsreichem Ambiente bringen.

Es sind keine leeren Worte, dafür sorgt eine bemerkenswerte Frau, die Deutsche Elke Jeanrond-Premauer. Mit Einsatz hat sie diese Mitdenk-Seminare auf die Beine gestellt. "Ich wollte einen Salon auf Zeit ins Leben rufen, wie es früher auch Henriette Herz oder Madame de Staël getan haben. Dafür habe ich einen Ort gesucht, an dem sich Menschen begegnen, nachdenken und austauschen", erklärt die ehemalige TV-Journalistin und Dokumentarfilmerin.

Als die Querdenkerin vor vier Jahren das renovierungsbedürftige Schloss sah, wusste sie, dass das hier Wirklichkeit werden sollte. Nach kosten- und zeitintensiven Renovierungsarbeiten startete sie letztes Jahr zum ersten Mal das Denkprogramm. "Genius loci" nennt Jeanrond-Premauer liebevoll diesen Ort. Tatsächlich taucht man, kaum hat man den Schlosspark betreten, ein in eine andere Welt, weit weg von dem, was alltäglich ist.

Dieses Château aus dem 17. Jahrhundert liegt auf einem Hügel mit überwältigendem Blick auf die Pyrenäen. Die ersten Teilnehmer sind nun angekommen, haben es sich in den Liegestühlen im zauberhaften Schlossgarten gemütlich gemacht. Die Schlossherrin empfängt jeden Gast herzlich, führt durch das "Haus", zeigt seine Zimmer. Jede einzelne der zwölf Chambres ist nach ehemaligen Bewohnern benannt.

Immer aufgeschlossen

Die Renovierung hat die Spuren früherer Generationen nicht verwischt; Briefe aus vorigen Jahrhunderten, alte Bücher und Ahnenporträts im Stiegenhaus halten die Erinnerung an frühere Besitzer wach. Einen Zimmerschlüssel bekommen die meisten von uns die ganze Woche nicht zu Gesicht, er fehlt auch niemandem. Alles bleibt offen, keiner von uns sorgt sich deshalb auch nur eine Sekunde.

Schon kurz nach unserer Ankunft sitzen wir, versorgt mit Tee und Kaffee unter einer alten Platane. Unsere Seelen baumeln, aber die Neugier auf die Denk-Kumpanen und den Vortragenden, den Münchner Universitätsprofessor Julian Nida-Rümelin, ist wach. Sie wird am Abend gestillt. Die Denker-Truppe ist bunt, Krankenschwester und Kulturjournalistin sind genauso vertreten wie ein Architektenpaar oder ein Investor. Beim mehrgängigen Diner kommt man ins Gespräch, es wird jeden Abend ausgiebig in noblem Ambiente zelebriert. Die köstlichen Speisen werden nur aus Zutaten der nahen Umgebung zubereitet.

Am nächsten Tag geht es nach ausgiebigem Frühstück im Garten zur Hauptsache, die erste der sieben Humanismus-Staffeln beginnt. Versammelt um einen großen Tisch, stellt sich jeder vor und erzählt, was ihn hierher geführt hat. Einem hat seine Frau das Nachdenken zu Weihnachten geschenkt, ein anderer ist gekommen, um in dieser Runde Antworten auf zentrale Lebensfragen zu finden, die meisten von uns gönnen sich einfach Erholung.

Eigendynamik denkbar

Gruppendynamische Verrenkungen zum Kennenlernen erspart uns Nida-Rümelin. Verständlich für jeden führt er als Referent durch die Geschichte und Entwicklung der humanistischen Denkbewegung, sein Vortrag ist das Gegenteil von dem, was sich Frontalunterricht nennt. Fragen und Einwände sind in dieser Runde stets willkommen, ja gewünscht, Diskussionen entfachen sich schnell.

Die Atmosphäre regt an zum Weiterdenken, Reden und Fragen, auch nach der vierstündigen Philosophie-Einheit. "Platon und sein Höhlengleichnis, findet ihr das einleuchtend?", fragt eine Mitdenkerin jene, die noch am Mittagstisch sitzen geblieben sind. Andere haben sich mit einem Schläfchen der Antwort entzogen oder wandeln am "Denkweg" um das Schlossgelände. "Nur kein Zwang, jeder ganz wie er will" ist das oberste Gebot von Jeanrond-Premauer.

Am dritten Tag gönnen wir uns eine Denkpause und fahren mit dem Einheimischen Paul zu einer nah gelegenen Chocolaterie und einem Weingut. Der Patron führt durch seinen Weinkeller, verköstigt uns mit Jurançon und Madiran, den typischen Weinen dieser Region. Die Hausherrin wandert mit jenen, die gut zu Fuß sind, ein Stück auf dem Jakobsweg, andere zieht es in die Ortschaften Sauveterre und Salies ganz in der Nähe. Kategorische Stubenhocker sind wir Kant zuliebe nicht geworden, Ausflüge in die Landschaft Béarns sind hier nämlich nicht fakultativ, sondern ein absoluter Imperativ. (Judith Hecht/Der Standard/Printausgabe/1./2.9.2007)