Moneybrother: "Mount Pleasure"

... schnell das erste und einzige Foto, bevor die restliche Ansichtssache wie der Output eines tschechischen Zeichentrick-Studios aus den 70ern aussieht. Was gar keine schlechte zeitliche Assoziation zum neuen Album Moneybrothers darstellt: Melodischer und mitreißend geschmetterter
Po(m)p-Rock mit einem Schuss Soul, mit dem sich Anders Wendin irgendwo zwischen Bruce Springsteen und The Jam platziert. An den gleichermaßen gelungenen Enden der Skala befinden sich Hochtempo-Stücke wie "Guess Who's Gonna Get Some Tonight" und langsame Duette mit doch-nicht-Joanna Newsom Ane Brun (einer Norwegerin mit ähnlich bemerkenswerter Stimme) und Wir-sind-Heldin Judith Holofernes; und die klingt auf Englisch auch gleich viel weniger naseweis. (Sony)

Link
Moneybrother

Coverfoto: Sony

The Pierces: "Thirteen Tales Of Love And Revenge"

Wie ein Gruß aus dem einstigen kalifornischen Paisley Underground wirken die Pierces - jedenfalls in der zweiten Plattenhälfte, wo sich harmonische, Sixties-beeinflusste Folkrockstücke konzentrieren. Auf ihrem dritten Album kann die New Yorker Band aber auch anders, pendelt zwischen Verletzlichkeit und Sleaziness (obercool: die JetSet-Verarsche "Boring") und baut ganz unterschiedliche Sounds mit ein: ob Swing, Kabarett-Tingeltangel oder gar Spurenelemente von R'n'B (und erstaunlich, wie oft R'n'B auftauchen kann, ohne zu stören. Man darf bei dem Stichwort echt nicht nur an die Arsch-und-Tittenvideos auf MTV denken, das muss ich mir immer wieder einpauken). Und über allem wie eine Honigschicht der zauberhafte Zweigesang der Schwestern Catherine und Allison Pierce. Platte des Monats! (Lizard King Records)

Link
The Pierces

Coverfoto: Lizard King Records

Uphill Racer: "You Will Understand "

Beim Eröffnungstrack "Spiral" wähnt man sich fast in Owen Palletts Final Fantasy versetzt - ähnlich dem Kanadier entfaltet sich der Deutsche Oliver Lichtl zu seinem eigenen Kammerorchester. Alle Instrumente, vom Synthesizer über die Gitarre bis zu Geige und Mellotron, spielt er selbst; "Fremdbeiträge" kommen - zumindest auf Platte - in erster Linie von Mutter Natur selbst, die sich mit Flora, Fauna und Meeresrauschen bereitwillig auf Tonband einfangen ließ. Hier stechen Tierstimmen aber weniger heraus als bei Islands Seabear (siehe letztes Bild), sondern drehen sich mit den übrigen Klängen in einem einzigen psychedelischen Strudel. Eine Platte wie ein Trip - und zwar einer von der guten, hellen Sorte. (Normoton/Soulseduction)

Link
Uphill Racer

Coverfoto: Normoton

Soundtrack "Hallam Foe"

Der für Pop-Fans zur Zeit ergiebigste Soundtrack ist der zum Jamie Bell-Streifen "Hallam Foe" (Filmstart in Österreich Ende September); auf der Berlinale verdientermaßen preisbelohnt. Auf einen alten Gassenhauer von Orange Juice folgen aktuelle Gitarrenbands, die - ganz wie der Film selbst - einen Schwebezustand zwischen der Gegenwart und einer unbestimmten Vergangenheit schaffen. Besonders schön: U.N.P.O.C., Psapp, Sons and Daughters, Clinic und Woodbine. Und Franz Ferdinand zeigen sich mit "Hallam Foe Dandelion Blow" von ihrer ruhigsten und besten Seite. Insgesamt 16 handverlesene Stücke, eines pro Band - das gibt jede Menge zum Neu- und Wiederentdecken! (Domino Recording)

Link
"Hallam Foe"

Coverfoto: Domino Recording

Trouble Over Tokyo: "Pyramides"

Den eher ungewöhnlichen Weg, von London nach Graz engagiert zu werden und hier eine Platte aufzunehmen, hat der Brite Christopher "Toph" Taylor beschritten. Und schafft den noch ungewöhnlicheren Spagat, an Radiohead bzw. Thom Yorke gleichermaßen zu erinnern wie an Michael Jackson, indem er mit seiner Stimme ganz Unwahrscheinliches vollbringt. Denn diese Stimme hat wortwörtlich den Rhythmus und den Blues; der variierende Instrumenteneinsatz spiegelt die jeweilige vokale Schwerpunkt­setzung wider. R'n'B-Stücke wie "Washing Away The Dirt" oder "My Anxiety" stehen daher wie selbstverständlich neben Gitarren- oder Klavier-Balladen wie "Eyes Off Me", vereinen die scheinbar fernen Musikstile zu einem durchgängigen Soundkontinuum; Eigenbezeichnung: "Indie-Lectro". (Schönwetter/Hoanzl)

Link
Trouble Over Tokyo

Coverfoto: Schönwetter Schallplatten

New Idea Society: "The World Is Bright And Lonely"

I memorize my words before I sing them, then I run into sand that I know I will sink in: Die Lyrics sind ein zentrales Element der US-Band um Mike Law - Songtexte dieser Länge würden manche Autoren schon als Kurzgeschichten verkaufen, den Titeltrack als Novelle. Musikalisch geht die New Idea Society von einem melodisch komplex aufgebauten (Post-)Hardcore aus, allerdings mit ziemlich durchlässigen Grenzen zu anderen Stilrichtungen, speziell zum Singer-Songwriting ("Let It Be"; keine Angst: kein Cover!), Laws heimlicher musikalischer Liebe. Und "Don't Sleep" ist sogar purer Pop. Insgesamt: Rock, der intelligent ist, ohne musikalisch über den eigenen IQ zu stolpern. Am 5. Oktober live im Wiener Einbaumöbel! (Exotic Fever/Killbot Factory)

Link
MySpace-Seite der New Idea Society

Coverfoto: Exotic Fever Records

Little Dragon: "Little Dragon"

Electro-Jazz aus Schweden: Das Göteborger Quartett Little Dragon deckt mit seinem Debüt-Album eine ziemliche Bandbreite ab - vom superentspannten Dahingrooven mit souligem Einschlag wie in "No Love" über die hektischen Hüpfer von "Recommendation" bis zur minimalistischen Piano-Ballade "Twice". Zwei Elemente bleiben aber konstant: Ein Bass, der auch wirklich schön tief runter geht (magenpochend in "Forever") und die famose Stimme von Sängerin Yukimi Nagano, halb Japanerin, halb US-Amerikanerin. Anspieltipp: die rauschhafte Dreifachpackung von brummendem Bass, glitzernden Synthie-Kaskaden und Yukimis Gesang in "Place To Belong". (Peacefrog/Soulseduction)

Link
Little Dragons MySpace-Seite

Coverfoto: Peacefrog

Laub: "Deinetwegen"

Also wenn der Hype um Frau Gustav zu etwas gut war, dann doch dazu, dass das Hörfeld auch für lyrischen Sprechgesang aufbereitet wurde. Einmal mehr verschmilzt die Berlinerin Antye Greie Privates und Politisches in einem fortwährenden Gedanken- strom, der von elektronischen Klängen begleitet wird. Anders als in früheren Zeiten, als sich Laub noch unter anderem aus Drum'n'Bass-Sounds bedienten, rücken die Keyboards diesmal aber leise in den Hintergrund und machen einer Gitarre Platz: "Deinetwegen" ist eine durch- gängige Blues-Studie mit ein paar sachten Verzerrungs- elementen. Und konsequent Anti-Pop: Hörgewohnheiten, die die Neubauten einst mit dem Vorschlaghammer zertrümmer- ten, fallen hier einer stillen, aber nicht minder nachhaltigen Erosion wie durch Sickerwasser und Flugsand zum Opfer. (AGF Producktion)

Link
Laub

Coverfoto: AGF

Hellogoodbye: "Zombies! Aliens! Vampires! Dinosaurs!"

Auf Laub passt wie die Faust auf's Auge nur das schiere Gegenteil, nämlich P!O!P! - hitparadenbewährt sogar, und - was irgendwie die größe Überraschung ist - aus den USA. Denn Hellogoodbye zücken zwar auch die erwartbare Rockkarte, aber eben nur unter anderem: Auf der Sound-Palette haben sie auch housigen Elektro-Pop, dem man eher eine französische Abstammung andichten würde, die Hit-Single "Here (in your arms)" hat's bewiesen. Mit einem Album ohne jeden Tiefgang, aber hohem Spaßfaktor und gutem Gespür fürs Melodienfinden ist das sympathische Nerd-Quartett aus Kalifornien jedenfalls keine üble Alternative zu dem, was sich sonst so in den Charts tummelt. (Sony 2007)

Link
Hellogoodbye

Coverfoto: drive-thru/Sony

Seabear: "The Ghost That Carried Us Away"

Und zum Abschluss drehen wir uns noch einmal um 180 Grad und lassen die Monatsübersicht in aller Ruhe ausklingen: Mit einem langsamen, fein austarierten Folk-Album aus Island, das zwar tonnenweise Instrumente und Klang-Samples angekarrt hat, aber trotzdem ganz Lo-Fi bleibt. Sindri Már Sigfússon setzt sein Instrumentarium so keusch ein wie die eigene Stimme und liefert mit "Cat Piano", "I Sing I Swim", "Seashell" und und und ein wunderschönes Stück nach dem anderen ab. Zur Band gehören MusikerInnen von Sigur Rós, Múm und Benni Hemm Hemm - und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Sigfússon nicht mit seinen Landsleuten in Sachen Erfolg gleichziehen würde. (Morr Music/Soulseduction)

Link
Seabear

Coverfoto: Morr Music