STANDARD-Herausgeber Oscar Bronner.

Foto: STANDARD/Cremer
Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen für die Einladung zur Diskussion und dafür, dass Sie ihr den Titel "Die Zukunft der Printmedien" gegeben haben. Denn der Titel inkludiert immerhin die Möglichkeit, dass die Printmedien vielleicht doch noch so etwas wie eine Zukunft haben könnten.

Meist bin ich mit Fragen konfrontiert wie zum Beispiel: "Wie lange wird es Zeitungen überhaupt noch geben?" Und es gibt auch Menschen, die eine genaue Antwort auf diese Frage haben. Philip Meyer, ein Medienprofessor in den USA, schrieb ein Buch mit dem Titel "The Vanishing Newspaper", in dem er prophezeit, dass die letzte Zeitung im ersten Quartal des Jahres 2043 gedruckt wird. In dieses Quartal fällt mein hundertster Geburtstag, und ich habe natürlich sofort die Planungen für die große Feier eingestellt. Die Zeitschrift "Economist" titelte ihre Coverstory zu diesem Thema bereits in der Vergangenheitsform: "Who killed the newspaper?"

Tatsächlich, die Meldungen zu diesem Thema sind nicht sehr erfreulich:

  • In den USA verlieren fast alle Zeitungen kontinuierlich Auflage. Im vorigen Jahr zum Beispiel die "Washington Post" 3,3 Prozent, die "New York Times" 3,5 Prozent, der "Boston Globe" 6,7 Prozent, die "Los Angeles Times" sogar 8 Prozent. Insgesamt ist die Auflage aller Zeitungen der USA in den letzten 20 Jahren um rund ein Drittel gesunken. Auch in manchen europäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Holland sinken die Auflagen.

  • Gleichzeitig verlieren Zeitungen Inserate. Gannett, die größte Zeitungskette der USA verlor im ersten Quartal des heurigen Jahres 4,8 Prozent des Anzeigenumsatzes, die Tribune-Company 11 Prozent.

  • Fast alle Zeitungen, auch die Qualitäts-Ikonen wie "New York Times", "Financial Times", "Neue Zürcher Zeitung" und "Frankfurter Allgemeine Zeitung" mussten Sparmaßnahmen setzen und auch Journalisten kündigen. Allein die "New York Times" im vorigen Jahr 250 redaktionelle Mitarbeiter. Die "Frankfurter Rundschau" hat heute weniger als die Hälfte der Mitarbeiter von vor fünf Jahren.

  • Trotzdem sinken bei vielen trotz guter Konjunktur weiterhin die Gewinne, bei der NYT zum Beispiel voriges Jahr um 26 Prozent. Manche Zeitungen machen hohe Verluste. Der "San Francisco Chronicle" rund 50 Millionen Dollar im Jahr, "Le Monde" und "Liberation" in Frankreich verlieren seit Jahren Dutzende Millionen Euro.

Eine der Konsequenzen dieser Entwicklung führt dazu, dass viele Zeitungseigentümer nach dem Motto "Take the Money and Run" die Branche entnervt verlassen. Insbesondere Erben der zweiten, dritten oder vierten Generation, die meist nichts mehr mit den Zeitungen zu tun haben und sich primär um ihren Zweitporsche sorgen.

Der letzte prominente Fall war der Verkauf von Dow Jones mit dem "Wall Street Journal" an Rupert Murdoch. Schon vorher wurden die Pulitzer-Blätter verkauft, die Tribune-Gruppe mit der "Los Angeles Times" und der "Chicago Tribune" und Knight Ridder, die zweitgrößte Zeitungsgruppe der USA.

In Deutschland hat David Montgomerys Mecom-Finanzgruppe die "Berliner Zeitung", den "Berliner Kurier" und die "Hamburger Morgenpost" gekauft, neben fast hundert Regionalzeitungen in Holland, Dänemark, Norwegen und Polen.

Auch bei meinem Partner, der "Süddeutschen Zeitung", wird es demnächst einen Eigentümerwechsel geben, da einige Erbengemeinschaften, die gemeinsam mehr als 60 Prozent der Anteile besitzen, diese verkaufen wollen. Als Interessenten haben sich einige wichtige Verlage, aber auch mehrere Finanzinvestoren - neuerdings gerne Heuschrecken genannt - gemeldet.

Dieser bevorstehende Deal veranlasste den Philosophen Jürgen Habermas in einem Essay in ebendieser "Süddeutschen Zeitung" vor der Möglichkeit zu warnen, dass Finanzinvestoren - für die ja nur die Profitabilität eines Deals ausschlaggebend ist - nach einem Zuschlag die Qualität zerstören könnten, um die Rentabilität der Zeitung zu steigern.

Wir erleben Ähnliches derzeit tatsächlich bei der Fernsehsendergruppe ProSiebenSat.1, die vor kurzem von einer Privat Equity Gruppe erworben wurde. Dort werden Nachrichtenprogramme reduziert, da sie teuer sind und man die Rentabilität von 23 auf 30 Prozent steigern will.

Ich zitiere Habermas: "Die Qualitätspresse spielt mindestens im Bereich der politischen Kommunikation - also für die Leser als Staatsbürger - die Rolle als 'Leitmedien'. Auch Funk und Fernsehen und die übrige Presse sind nämlich in ihrer politischen Berichterstattung und Kommentierung weitgehend abhängig von den Themen und Beiträgen, die ihnen die 'räsonnierende' Publizistik vorschießt."

Kleine Fußnote: In Österreich scheint das wie so oft anders zu sein. Hier hat der ORF einen Informationsdirektor, der in einem Interview verkündet, ohne stundenlange Diskussion nicht beurteilen zu können, welche Zeitung dem Qualitätssegment zuzurechnen ist und welche nicht.

Ich weiß nicht, ob Elmar Oberhauser mit Jürgen Habermas etwas anfangen kann - oder Jürgen Habermas mit Elmar Oberhauser - Habermas jedenfalls meint, keine Demokratie könne es sich leisten, die Qualitätszeitungen nur den Spielregeln des Markts zu überlassen: "Die Öffentlichkeit würde den populistischen Tendenzen keinen Widerstand mehr entgegensetzen und könnte die Funktion nicht mehr erfüllen, die sie im Rahmen eines demokratischen Rechtsstaates erfüllen müsste."

Habermas berührt hier eine der Widersprüchlichkeiten der Medienbranche. Um die von ihm beschriebenen Funktionen erfüllen zu können, müssen die Medien unabhängig, das heißt wirtschaftlich erfolgreich sein. Das trifft sich gut, denn alle Menschen - daher auch Zeitungsverleger - verdienen lieber mehr als weniger. Wenn der wirtschaftliche Erfolg jedoch bei einer Qualitätszeitung zum Selbstzweck wird – was sonst in der Wirtschaft normal ist - leidet die Seriosität der demokratiepolitischen Funktion.

Dieser Widerspruch erzwingt immer wieder schwierige Entscheidungen. Zum Beispiel wenn ein Großinserent mit Boykott droht, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Eigentlich ist so eine Entscheidung sehr leicht. Sowohl für den Verleger einer Qualitätszeitung, der so einer Drohung selbstverständlich nicht nachgibt. Als auch für den anderen Verlegertyp, der bereitwillig seine Geschäftsfreunde zu Helden der Berichterstattung macht. Man kann die schon von Karl Kraus kritisierten Bekessy-Methoden, die auch heute noch bei manchen Kaufleuten in Sachen bedrucktem Papier beliebt sind, schlicht als publizistische Korruption bezeichnen.

Soll man also für Medien die Gesetze des Markts abschaffen? Natürlich nicht. Im Gegenteil: In Österreich zum Beispiel wäre es höchste Zeit, die Gesetze des Markts wieder einzuführen, nachdem sie durch die Zulassung einer einmaligen Konzentration mit dem Spitznamen Mediamil weitgehend abgeschafft worden sind. Ich habe mehrfach betont, dass ich auf die Presseförderung verzichten könnte, wenn sich die Politik zur überfälligen Entflechtung von Mediamil entscheiden würde. Aber ich mache mir da keine Illusionen. Und mittlerweile traut sich auch kein Politiker mehr das Thema auch nur zu erwähnen. Auch kein Grüner.

Selbst Habermas verteidigt den Markt, obwohl er in seinem Artikel über Stützungsmöglichkeiten für demokratiepolitisch wichtige Zeitungen nachdenkt: "Der Markt hat einst die Bühne gebildet, auf der sich subversive Gedanken von staatlicher Unterdrückung emanzipieren konnten."

Was aber, wenn der Markt sich so ändert, dass die Zeitung als Mediengattung bedroht ist? Tatsächlich durchlebt die Medienbranche derzeit den dramatischsten Strukturwandel seiner Geschichte. Die Ursache heißt Internet.

Viele, insbesondere junge Menschen verzichten auf die Zeitung und begnügen sich mit Online-Informationen. Und viele Inserate, speziell die für Tageszeitungen so wichtigen Kleinanzeigen wandern ins Internet ab.

Diese beiden Entwicklungen sind irreversibel, im Gegenteil: sie werden sich noch verstärken.

Aber ist deswegen die Tageszeitung tatsächlich in ihrer Existenz bedroht? Sie wurde schon mehrfach totgesagt, erst mit dem Aufkommen des Radios, dann mit dem des Fernsehens. Das bisherige Überleben garantiert zwar nicht das künftige, aber bevor wir die Zeitung begraben, hier ein paar weitere Informationen:

  • Während im vorigen Jahr die Auflagen der Zeitungen in den USA und Deutschland um 2 Prozent gesunken sind, sind sie weltweit um über 2 Prozent gestiegen. Für die letzten fünf Jahre beträgt die Steigerung der Auflage weltweit 9,5 Prozent. Damit ist nur die Auflage der zu bezahlenden Zeitungen gemeint. Wenn man die Gratiszeitungen dazuzählt, beträgt die Steigerung sogar fast 15 Prozent.

  • Auch die Anzeigeneinnahmen sind in dieser Zeit gestiegen, und zwar sowohl weltweit als auch in den USA um mehr als 15 Prozent.

  • Und das Überraschendste: Während die Anzahl der Zeitungstitel nur in den USA leicht gesunken ist, ist sie sonst überall gestiegen: Um 5,6 Prozent in Europa und 33 Prozent in Asien, mit einem weltweiten Schnitt von 17 Prozent.

Ich habe vorhin einige der Zeitungen aufgezählt, die in letzter Zeit verkauft worden sind. Logischerweise gab es bei jeder dieser Transaktion einen Käufer, in den meisten Fällen waren Milliardenbeträge involviert. Solche Beträge investiert man wohl nicht in eine Branche, an die man nicht glaubt.

Also was stimmt jetzt? Ist die Zeitung zum Tode verurteilt oder gar ein Zukunftsmarkt? Es tut mir leid, wenn ich Sie verwirre. Aber die Sache ist wie fast immer zu kompliziert, um sie in eine Headline oder einen Sager zu pressen.

Also: Natürlich kostet das Internet Marktanteile und daher werden in den voll entwickelten Märkten manche Zeitungen schrumpfen - sowohl in der Auflage als auch im Volumen. Und die Zeitungen, die sich an die neue mediale Situation nicht anpassen können, werden eingehen. Aber solche Zeitungen sind immer schon eingegangen, dafür sind immer wieder neue gegründet worden.

Der "Economist" prophezeit in seinem Artikel "Who killed the newspaper?", dass - wie in anderen Wirtschaftssparten auch - die in der Mitte untergehen werden, und dass sowohl die im ganz oberen und die im ganz unteren Segment weiter florieren werden.

Auf der anderen Seite können wir beobachten, dass in nicht saturierten Märkten erstaunlich viele Zeitungen gegründet und vom Markt akzeptiert werden, obwohl es auch dort bereits eine hohe Durchdringung des Internets gibt.

Wir sehen, dass weiterhin Bedarf nach einem Medium besteht, das immer griffbereit ist. Ein Medium das durch Entschleunigung zur Reflexion beiträgt. Ein Medium, in dem ein vertrauenswürdiges Team von Journalisten aus dem Überangebot an Informationen eine relevante Auswahl herausfiltert. Ein Medium, das die Informationen einordnet und analysiert, sodass man nicht overnewsed und underinformed wird. Ein Medium, das auch immer wieder mit unerwarteten Themen überrascht und damit den Horizont der Leser erweitert.

Wenn es die Zeitung nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Überall dort, wo es sie nicht gibt, geschieht dies auch. Denn sie ist das ideale Leitmedium für Radio, Fernsehen und Internet.

Vielleicht schmunzeln manche von Ihnen jetzt über mich als Auslaufmodell eines Zeitungsherausgebers, dem die Sentimentalität durchgeht. Ich will gern zugeben, dass ich neben den vorhin genannten Vorteilen auch zur Haptik des Papiers sowohl beim Buch als auch bei der Zeitung eine emotionale Bindung verspüre.

Aber ich erinnere daran, dass DER STANDARD als erste Zeitung im deutschsprachigen Raum ins Internet gegangen ist, dass wir früher und stärker in dieses Medium investiert haben als alle anderen, da wir von Anfang an von dessen Möglichkeiten fasziniert waren. Daher ist derStandard.at heute die meistbesuchte und auch wirtschaftlich erfolgreichste Site aller österreichischen Printmedien.

Wenn morgen aus irgendeinem Grund das Papier abgeschafft werden würde, wäre derStandard.at nach dem ORF das zweitgrößte Medium Österreichs. Bevor ich mich allzu sehr mit dieser Vision anfreunde, sollte ich hier abbrechen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.