Nachdem im Vorjahr klassische Hollywood-Western zu besichtigen waren, kommen nun deren räudigere Nachfahren zum Zug.
Wien – Ein alter Lehrer weiß nicht so recht, was er vom wilden Treiben seiner Studenten halten soll. Er wirkt ein bisschen amüsiert, ein bisschen verärgert, vor allem aber von der leisen Vorahnung geprägt, dass die ungestüme "Klasse von 1870" noch gar nicht weiß, was sie bald draußen im Wilden Westen erleben wird.
Der Film von Michael Cimino heißt "Heaven's Gate" und stammt aus dem Jahr 1980. Aber dass der altgediente Charakterdarsteller Joseph Cotten darin zu Beginn einen Auftritt hat, darf man durchaus auch als Reminiszenz an King Vidors "Duel in The Sun" lesen. Einen Film aus dem Jahr 1946, der für eine ganz ähnliche Geschichte über Besitzverhältnisse, Selbstjustiz und Rassismen durchaus vergleichbare Motive findet und sie trotzdem ganz anders erzählt.
Das Österreichische Filmmuseum setzt nunmehr also fort, was es im vergangenen September begonnen hat: Damals widmete man sich mit gut drei Dutzend Filmen – darunter auch Vidors Klassiker – der "Reifezeit des Westerns" und den Jahren 1946 bis 1962. Nun geht es um die folgenden Jahrzehnte, in denen sich bekanntlich nicht nur in Sachen Filmproduktion und -ästhetik einiges fundamental änderte.
Was in Western aller Jahrzehnte sichtbar wird, ist die Reibung eines tendenziell statischen Genrerahmens, mit seinen mythischen Figuren, seinen erzählerischen und formalen Standardsituationen, an den äußeren sozialen und politischen Gegebenheiten. Noch zugespitzt durch den Umstand, dass der Western ein wesentlich historisches Genre ist – er hat an der Produktion und an der Dekonstruktion von Nationalmythen entscheidenden Anteil. Wobei sich dabei (man denke an die Vietnam-Allegorien, die etwa der Autor J. Hoberman in 60er-Jahre-Western findet) vor allem die zeitgenössischen Verhältnisse offenbaren.
Unter dem Titel "The Wild Bunch" (von Sam Peckinpahs 1969 veröffentlichtem, "schmutzigem" Impulsgeber für das Genre entlehnt) werden im Filmmuseum nun also "späte Western" der Jahre 1960 bis 1995 gezeigt. Eine zeitliche Eingrenzung, hinter der mindestens zwei Dinge ein wenig verschwinden:
Zum einen stammt das Gros der Filme tatsächlich aus den 60er- und 70er-Jahren. In den 80ern wurden so gut wie keine Western gedreht – im Filmmuseum kann man als Rarität Robert M. Youngs vom Fernsehen koproduzierten "The Ballad of Gregorio Cortez" von 1983 entdecken. Und man kann diesen Einbruch zumindest symbolisch zu Ciminos Epos und dessen verheerender Misserfolgsgeschichte in Beziehung setzen. Danach war der US-Western erst einmal ziemlich angeschlagen.
Western-Revival
1990 allerdings erhielt Kevin Costner für "Dances With Wolves" sieben Oscars. Damit war der Western nicht zuletzt kommerziell rehabilitiert. Ein Umstand, der dem geneigten Publikum seither in schöner Regelmäßigkeit entsprechende Großproduktionen beschert. Und dabei nicht nur Sentimentalitäten oder Klamauk produziert: Costners "Open Range" von 2003 ist dafür ein schönes Beispiel. Und mindestens Terrence Mallicks "The New World" (2005) hätte man als Versuch einer radikal anderen Erzählung von Landnahme und Unterwerfung gelten lassen können.
In der nichtsdestotrotz reichhaltigen Auswahl der Retrospektive greifen die Zeiten aber ohnehin fortwährend ineinander: Es gibt Arbeiten wie John Sturges' "The Magnificent Seven" (1960), die stilistisch noch relativ direkt an die "Goldene Ära" anknüpfen. Es gibt Regisseure wie Sam Peckinpah oder Darsteller (und Regisseure) wie Clint Eastwood, die zumindest implizit daran erinnern, dass der Western nicht nur im Kino, sondern lange auch im Fernsehen immense Popularität genoss.
Anhand von Eastwood alleine ließe sich eine ganz eigene Entwicklungsgeschichte des Genres erzählen, in der dann neben eigenen Arbeiten wie "Unforgiven" (1992) – ebenso wie in der Retrospektive – die Italo-Western eine prominente Rolle spielen würden.