Alpbach - Kritik bis hin zu Rücktrittsaufforderungen hat der irakische Premier Nuri al-Maliki in den vergangenen Wochen von zahlreichen Seiten, auch aus den USA, einstecken müssen. "Premier Maliki hat den schwierigsten Job der Welt", meint der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Zalmay Mamozy Khalilzad. Maliki sehe sich mit einer Reihe großer Herausforderungen konfrontiert, aus seiner eigenen Koalition und seiner Regierung, aber auch durch Aufständische und Terroristen. "Er hat keine Regierung, die hinsichtlich Institutionen so effektiv ist wie sie sein müsste, um mit dieser Situation umzugehen", erklärte der ehemalige US-Botschafter im Irak (2005-2007) am Rande der Politischen Gespräche des "Europäischen Forums Alpbach" im Gespräch mit der APA.

Kritisiert werde, dass Maliki es nicht geschafft habe, die Unterschiede zwischen den verschiedenen politischen Kräften im Irak zu verringern. "Ich glaube, das liegt teilweise in seiner Verantwortung, aber es ist auch die Verantwortung anderer Führungspersonen. Es ist auch wichtig, dass Außenstehende anerkennen, dass der Irak es mit sehr komplizierten und schwierigen Fragen zu tun hat." Khalilzad nannte hier unter anderem die politische Organisation des Landes, die Aufteilung der Ressourcen, aber auch den Umgang mit Funktionären des früheren Regimes von Saddam Hussein. "Außerdem sind sie in einer sehr schwierigen Nachbarschaft, wo die Nachbarn nicht sehr hilfreich für sie sind", meinte der Diplomat. Die derzeitige Lage wäre nach seiner Einschätzung eine große Herausforderung für jeden "Leader".

Abrupter Truppenabzug wäre gefährlich

Für den Fall eines abrupten Rückzugs der Koalitionstruppen sieht der Botschafter die Gefahr, dass sich der Konflikt im Irak verschärfen und noch viel mehr Opfer fordern, gleichzeitig aber auch eine Einmischung anderer regionaler Mächte nach sich ziehen könnte. So könnte sich ein interner irakischer Konflikt zu einem regionalen Konflikt ausweiten.

Eine Gefahr sei aber auch, "dass die Terroristen der Al-Kaida einen Teil des Landes übernehmen" oder sich ein Teil des Landes, etwa die kurdische Region, für unabhängig erklären könnte, was zu einer Involvierung der Türken führen könnte. "Es gibt also mehrere mögliche Komplikationen. Deshalb basiert die Entscheidung des Weltsicherheitsrates (für ein breiteres Mandat der UNO im Irak) teilweise auf der Annahme, dass das, was im Irak passiert, nicht nur sehr wichtig für die Zukunft des Irak ist, sondern für die Region, und die Zukunft der Region wichtig für die Zukunft der Welt ist, und dass daher die Welt mittels der Vereinten Nationen mehr tun muss, um den Irakern zu helfen, zusammenzukommen, um einige der Szenarien zu vermeiden, die wir gerade besprochen haben."

"Haben erwartet, dass die Dinge nicht so kompliziert sein würden"

Auf die Frage, ob die Vereinigten Staaten zum Zeitpunkt der Invasion im Irak mit einem derartigen Ausgang gerechnet hätten, meinte Khalilzad: "Wir haben erwartet, dass die Dinge nicht so kompliziert sein würden, und wir haben uns natürlich eine bessere Situation erhofft als die jetzige, und wir haben auch in den vergangenen paar Jahren auf mehr politische Fortschritte gehofft, als das, was wir gesehen haben." Allerdings sei man realistisch und habe festgestellt, dass die Iraker vor schwierigen Herausforderungen stünden und es Kräfte gebe, die versuchten, "ihnen das Leben schwer zu machen" - etwa die Al-Kaida, die einen Krieg innerhalb des Islam, zwischen Sunniten und Schiiten, entfachen wolle.

"Der Prozess im Irak ist Nations- und Staatsbildung gleichzeitig. Europäer werden wissen, dass solche Prozesse sehr viel Zeit brauchen", fügte der Botschafter hinzu. Frühe Vorhersagen mancher Leute, wie rasch eine Normalisierung im Irak zu erreichen sei, "waren klarerweise unrealistisch". Es sei aber wichtiger, nach vorne zu schauen als zurück, und herauszufinden, wie man die Iraker "in dieser schwierigen Übergangsphase" unterstützen könne, meinte Khalilzad.

Andere Lage in Afghanistan

Anders stellt sich für den in Mazar-i-Sharif geborenen US-Diplomaten die Lage in Afghanistan dar, wo er ebenfalls mehrere Jahre lang (2003-2005) Botschafter war. In Afghanistan gehe es nicht um Nationsbildung als solche, denn unter Afghanen herrsche weitgehende Einigkeit darüber, welche Art von Land man wolle. "Das Problem ist die Schaffung effektiver staatlicher Institutionen." Hier müsse man die Afghanen unterstützen.

Auf die Frage, was er Verteidigungsminister Norbert Darabos (S) antworten würde, der US-Pläne für ein Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien als "Provokation" bezeichnet hatte, sagte Khalilzad, er glaube, dass es sehr wichtig sei, dass man die Welt realistisch sehe und nicht zurückschaue. "Die Welt hat den Kalten Krieg hinter sich gelassen, wir sind nicht mehr im Kalten Krieg. Ständig auf den Kalten Krieg zurückzugreifen, ist meiner Meinung nach nicht der richtige Zugang." Darabos hatte in einem "Presse"-Interview gemeint, es habe "keinen Sinn, ein Raketenabwehrsystem in Europa aufzubauen. Dadurch werden nur unnötig alte Debatten des Kalten Krieges wieder angefacht."

Herausforderung Weiterverbreitung von Kernwaffen

Die Frage sei, vor welchen Herausforderungen die Welt nun stehe, und eine dieser Herausforderungen sei das Problem der Weiterverbreitung von Kernwaffen. "Wir möchten mit Russland und unseren europäischen Freunden zusammenarbeiten, um uns mit diesem Thema zu beschäftigen, das die Welt bedroht - in Europa, in Russland, und auch in Teilen Asiens." Es sei nicht gut, anzunehmen, dass Polen oder andere Länder in der Einflusssphäre eines anderen Staates seien, so, als ob man sich im Kalten Krieg befände. "Das ist vorbei. Wir sprechen über eine aktuelle Situation, was machen wir jetzt? Es gibt keinen Kalten Krieg mehr, das sind unabhängige Länder. Sie sind Teil der NATO, Teil der EU."

Gewiss gebe es unterschiedliche Ansichten in Russland und den USA hinsichtlich mancher Themen. "Aber ich glaube nicht, weil wir in der Kosovo-Frage unterschiedlicher Ansicht sind, gibt es einen Kalten Krieg." Man müsse das Paradigma des Kalten Krieges hinter sich lassen. "Der Kalte Krieg ist vorbei und wird nie wieder zurückkommen, denn die Welt ist eine andere." Auch die Herausforderungen seien ganz andere: "Zu Zeiten des Kalten Krieges mussten wir uns nicht mit Bin Laden befassen. Heute sind Bin Laden und die Al-Kaida für alle eine Bedrohung - für Russland ebenso wie für Europa und für die Vereinigten Staaten."

Russland sei keine "neue Sowjetunion"

Russland versuche, seine militärischen Fähigkeiten wieder aufzubauen und seine Energieressourcen zu nutzen, um mehr Einfluss in der Welt zu haben, "aber es gibt keinen Warschauer Pakt, keine Sowjetunion, es entwickeln sich auch andere Machtzentren auf der Welt - Indien, China, Brasilien, die EU ist sehr viel anders, als sie während des Kalten Krieges war." Nach Ansicht Khalilzads wäre es zudem völlig falsch, Russland als eine Art "neue Sowjetunion" zu betrachten.

Im Rahmen der Politischen Gespräche beim "Europäischen Forum Alpbach" wird Khalilzad am Dienstag an einer Plenardiskussion zum Thema "Hard Power versus Soft Power" teilnehmen. Sein derzeitiger Österreich-Aufenthalt ist einer von vielen in den vergangenen Jahren. Die Familie des Diplomaten, der mit der österreichisch-US-amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Cheryl Benard verheiratet ist, hat in Wien gelebt, während er Botschafter in Bagdad war. "Ich mag Österreich. Meine Frau und meine Kinder sprechen nicht nur Deutsch, sondern perfektes Österreichisch. Ich fühle mich Österreich und Wien sehr verbunden, ich habe viel Zeit hier verbracht." (APA)