Im "Autocamp" von Buljarica erfährt man, wie Campen wirklich funktioniert.

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Der Strand bei Ulcinj.

Foto: Sascha Aumüller

Montenegros Süden birgt ein Drei-Länder-Eck, das es so gar nicht geben kann, nicht mehr geben darf. "Jugoslawien", "Thailand" und Albanien treffen hier aufeinander. Letzteres liegt ja tatsächlich nur wenige Kilometer von der Kleinstadt Ulcinj entfernt, die den albanischen Namen Ulqin gleichberechtigt auf ihrer Ortstafel führt – die Bevölkerung ist hier nämlich mehrheitlich albanischer Abstammung. Als Urlauber kommen sie ebenso zahlreich aus Tirana wie aus dem Kosovo.

Das Stück Thailand hat man sich mit dem optisch ansprechenden Milena-Kanal geholt. Der künstliche Flussarm war eigentlich gebaut worden, um die Malaria aus dem Sumpf um Ulcinj zu vertreiben, geblieben ist eine bizarre Mangroven-Szenerie: Fischerhütten auf dürren Stelzen lassen riesige Netze über ihren Giebeln baumeln – wer das bereits kennt, war bestimmt schon am Thachin-Kanal vor Phuket.

Was aber macht Ulcinj so "jugoslawisch" für Menschen, die eigentlich gar nicht an grober Realitätsverweigerung leiden? In Ulcinj haben sich früher Bewohner fast aller Teilrepubliken Jugoslawiens angesiedelt – jene, die nicht hier wohnen, kommen nun als Touristen der Nachfolgestaaten. Eine gegen die Zeit immune Enklave, so scheint es, hat sich hier gebildet, begünstigt durch integratives Grillen und den längsten Sandstrand der östlichen Adria. Wer den 80er-Jahre-Urlaub nachholen will, oder auf eine Neuauflage drängt, hat hier Chancen. Aber die vielleicht wichtigste Zutat für einen atmosphärisch stringent nachgestellten Jugoslawien-Urlaub ist das Campen – auch hier enttäuscht Ulcinj nicht. Ein Mietwagen, das Zelt im Kofferraum und rund 15 € für zwei Personen genügen, um dann klären zu können, welcher Typ Camper man eigentlich ist.

Resopaltäuschung

Da wäre etwa der "sanitär- flegmatische Eremit" – er wird sich einige Kilometer südlich der Altstadt im "Autocamp Neptun" wohl fühlen. Empfangen wird er in der Rezeption mit einer Variation aus Kunstleder an Resopal, die ob ihrer bürokratischen Strenge nicht vermuten ließe, dass gleich hinter dem Platz das lässige Leben am Strand liegt. Und er wird zu dem Schluss kommen, dass ein äußerst dünn mit Zelten besiedelter, duftender Pinienwald die ebenfalls im Retro-Stil belassenen Sanitäranlagen aufwiegt.

Der "Heimgartenordnungshüter" schlägt am "Autocamp Tomi" in unmittelbarer Nachbarschaft seine Zelte auf. Er ist bedacht auf ein klar abgestecktes, weil begrenzt vorhandenes Territorium, das hier allerdings mit schattigen Obstbäumen und zeitgemäßen Sanitäranlagen versehen wurde. Und für Fortgeschrittene dieses Typs eignet sich der Platz "Valdanos" am anderen Ende von Ulcinj, hier kann man die neuen Nachbarn, die einem nun (mit dem Camper) bereits sehr nahe stehen, auch in der Disco oder am Tenniscourt um Wäschekluppen anhauen.

Die Königsklasse ist und bleibt aber eben der Typus des "integrativ grillenden Kontakters". Er sollte zurück in Richtung Petrovac na moru zum "Autocamp" Buljarica fahren, um zu erleben, wie Campen wirklich funktioniert. Die zumeist serbischen Nachbarn wohnen hier oft schon mehrere Wochen. Leicht zu erkennen ist das daran, dass man das erste Freundschaftsbier aus einem Kühlschrank nimmt, der sonst zuhause in der Küche steht. Und dann muss man sich schon fahrlässig unkommunikativ anstellen, um die Cevapcici nicht am Lagerfeuer, sondern im angeschlossenen Restaurant zu genießen – dort gibt es immerhin die zweitbesten am Platz. Dem Flussdelta in dieser Bucht ist ein Kieselstrand vorgelagert, der nur schwer verbergen kann, wie viele Flaschen in der Nacht zuvor geleert wurden.

Die beiden Strände von Ulcinj werden hingegen bis spät in den Herbst penibel gesäubert, 270 Sonnentage halten das Wasser länger warm als anderswo. Der kleine, unter der Altstadt gelegene Strand, ist schnell aufgeräumt – er eignet sich auch besser als Kulisse für die Fischplatte als zum Baden. Nur am 13 Kilometer langen "Velika Plaza", dem großen Strand, tuckern jeden Abend die Traktoren und fahren Sandburgen platt, verwischen Spuren. Ein Meer aus Liegestühlen wird dann aufgestellt – macht gerade noch vor der albanischen Grenze halt und ist dennoch nie so gefragt, dass hier irgendwer das Handtuch werfen müsste. Und jeden Morgen steigen Lebensretter auf ihre Hochsitze, von wo das Jagdrevier beobachtet werden kann – "Baywatch" eben. Den besseren Überblick bewahrt dennoch, wer abends ins vermeintlich thailändische Viertel am Milena-Kanal zurückkehrt.

Abendliche Runden

Wenn in den zahllosen Restaurants am Wasser die Spanferkel und Karpfen ihre ersten Runden drehen, tun das auch die dicken deutschen Autos. Allerdings erst dann, wenn ihre ausländischen Nummerntafeln ausgehfein poliert wurden, darum kümmert sich hier eine ganze Industrie an schnell zusammengezimmerten Waschboxen: um den zurückgekehrten Auswanderern einen glanzvollen Auftritt als wohlhabende Urlauber in der Heimat zu bescheren.

Man fährt aber auch Karussell auf einem der drei Rummelplätze, flaniert auf der Strandpromenade, um aus der Ferne einen Boxkampf am Plasmaschirm zu verfolgen. Und man beliebt am Heimweg zu stauen – als Lenker eines Autos sowieso, als Fußgänger nicht minder. Der Langsamkeit wegen, ganz bewusst. Um durch heruntergekurbelte Fenster und vor den Souvenirläden Hände zu schütteln, um davon zu erzählen, wie es geht da "oben" in der Ferne. Nur eines macht man sicher nicht in Ulcinj, hat man hier einmal gelebt: campen. (Sascha Aumüller/Der Standard/Printausgabe/25./26.8.2007)