Die aus Paraguay stammende Steviapflanze

Foto: www.eubiotica.at /Gerald Schlögl
"Stevia hat einen geringeren Energiegehalt als Zucker, daher werden weniger Kalorien aufgenommen. Physiologisch gesehen die Hälfte zu normalem Haushaltsszucker", erklärt der Wiener Ernährungswissenschafter Heinz Freisling den grundsätzlichen Vorteil des rein pflanzlichen Süßstoffs. Gleichzeitig würde man viel weniger brauchen um die gleiche Süße zu erhalten: Ein Tropfen Stevia Fluid hat die gleiche Süßkraft wie ein gehäufter Teelöffel Zucker.

Ein Segen für die verzuckerte westliche Gesellschaft möchte man meinen. Wenn da die Gesetze nicht wären.

Vorteile in der gesetzlichen Grauzone

"Innerhalb der EU wird Stevia vorwiegend als Kosmetikprodukt verkauft. Als Badezusatz und Mundpflegemittel, mit dem wichtigen Hinweis, dass es nicht als Süßstoff verkauft werden darf", weiß Gerald Schlögl, Produktmanager der Perchtoldsdorfer Firma Reisenberger für Stevia und Mitglied von Eustas (European Stevia Association). Der Grund dafür: In der EU wurde Stevia weder als Süßstoff, noch als Lebensmittel zugelassen. Der abgelehnte Antrag ist von 1999.

Novel Food Verordnung

Als Ursachen der Nicht-Zulassung nennt Schlögl die neue 'Novel Food Verordnung'. Freisling erklärt das Prinzip der Verordnung so: "Lebensmittel, die vor 1997 noch nicht in der EU auf dem Markt waren, müssen ein Zulassungsverfahren durchlaufen um die Gesundheit der Konsumenten zu schützen."

Dieses Verfahren hatte zur Folge, dass die antragstellenden Organisationen nicht genug Studien zu Verfügung stellen konnten, um Stevia als gesundheitsförderndes Lebensmittel zuzulassen. Doch das war den Konsumenten anscheinend egal.

Mittlerweile boomt der Markt

Besonders Diabetiker sollen von der Wirkung der grünen Blätter aus Südamerika profitieren. "Für mich ist der Unterschied zu künstlichen Süßstoffen der, dass kein Heißhunger oder kein Verlangen nach etwas Süßem entsteht. Das liegt daran, dass die Insulinausschüttung nicht angeregt wird", so der Stevia Produktmanager Schlögl.

Alternative für Diabetiker

"Der Vorteil für Diabetiker ist, dass Stevia insulin-unabhängig verstoffwechselt werden kann. Um normalen Haushaltszucker zu verstoffwechseln ist Insulin nötig, das Typ1-Diabetiker, die Insulin injizieren müssen, zu berücksichtigen haben", so der Ernährungswissenschafter Freisling. Bei Stevia wäre das nicht nötig.

Viele positive Wirkungen

Ganz im Gegensatz zu unserem Kristallzucker wird Stevia viele gesundheitsfördernde Eigenschaften nachgesagt. Demnach ist Stevia nicht kariogen und hat eine absenkende Wirkung des Nüchtern-Blutzuckerspiegels. Man weiß aber nicht, welche Stoffe dafür verantwortlich sind und welche Mechanismen dahinter stehen. Weitere positive Eigenschaften sind Blutdrucksenkung und eine entzündungshemmende Wirkung, wie sie vielen Pflanzen zu eigen ist.

Vorliegende Studien beruhen laut Freisling entweder auf Tierversuchen oder kleineren Beobachtungsstudien, aus denen man diese Schlüsse gezogen hat.

Risiken im Tierversuch

Mögliche gesundheitsschädigende Wirkungen der Stevia sind derzeit nur aus Tierversuchen bekannt. "Die Risikobewertung wurde nur aus Tierversuchen abgeleitet und bei hohen Dosierungen. Dabei hat man Erbgutveränderungen und ungünstige Auswirkungen auf die männliche Fruchtbarkeit festgestellt", weiß Freisling. Die Ergebnisse seien allerdings nicht Eins zu Eins auf den Menschen übertragbar.

WHO Empfehlungen

Die WHO hat für Süßstoffe aus Stevia einen ADI-Wert (Acceptable Daily Intake) von zwei Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht festgelegt. Das heißt ein 70 Kilogramm schwerer Mann könnte sein Leben lang täglich 140 Milligramm aufnehmen ohne dass gesundheitliche Probleme zu erwarten sind. "Bei normalem Verzehr kann diese Grenze auch nicht überschritten werden", ergänzt der Ernährungswissenschafter. Für ihn überwiegen die positiven Eigenschaften der Pflanze.

Neuer Versuch

Derzeit wird an einem Neuantrag auf Zulassung im Herbst gearbeitet. "Während der vor Jahren abgelehnte Antrag damals auf viele positive Eigenschaften von Stevia gestellt wurde, wie zum Beispiel die karieshemmende oder blutzuckerstabilisierende Wirkung, wird dieser einzig und allein auf 'Süßstoff' gestellt", erklärt Schlögl das Hoffnungspotenzial.

Wirtschaft reagiert

Während in Europa um die Zulassung der Pflanze gerungen wird, haben internationale Konzerne das wirtschaftliche Potenzial der Stevia bereits erkannt: Coca Cola und die Cargill-Gruppe, einer der größten Lebensmittelhersteller in den USA, haben kürzlich angekündigt, dass sie einen Süßstoff mit dem Namen 'Rebiana' auf Basis von Stevia produzieren möchten. (mat, nia, derStandard.at, 6.8.2007)