Foto: Matthias Cremer
Ihre Einkäufe lassen darauf schließen, dass sie etwas zu feiern haben. SIE: Erklär's mir, bitte. ER: Das geht nicht so einfach. Meine Theorie ist extrem komplex. Zugleich extrem radikal. Sie wird Aufsehen erregen, glaub' mir. SIE: Drum will ich ja, dass du's mir erklärst. Ungefähr. ER: Also, im Grunde läuft es darauf hinaus - (Ein junger Mann, eine Flasche Wodka in Händen, versucht, sich vorzudrängen.) DER JUNGE MANN (höflich, jedoch mit Zungenschlag) : Tschulligen, darf ich? Ich hab' nur das eine. ER: Wir haben auch nicht viel. Sie werden es erwarten. DER JUNGE MANN (mit Blick in den Einkaufswagen) : Mehr als ich haben Sie schon, außerdem müssert ich - ER: Wenn wir jeden vorlassen, stehen wir morgen noch da. DER JUNGE MANN: Aber - ER: Nix aber. Es stehen alle an. DER JUNGE MANN (gibt auf. Zu sich:) Es stehen alle an, ja ... (Kurze Pause, dann laut, zu allen:) Alle stehen an, habt's es g'hört?! Ja, du genauso! Und du! Alle stehen wir an! Beim Billa stehen wir an! Auf der Post stehen wir an! Beim Doktor! Aufm Sozialamt stehen wir an! Aber vorlassen, vorlassen tut uns keiner. Weil wir sollen nämlich anstehen, verstehst, wir sollen anstehen, so is' das! Anstehen oder verschwinden! Verschwinden wär' noch besser! Derschießen täten s' uns alle, wenn s' könnten! Aber geht ja nicht! Brauchen uns ja! Sind ja abhängig von uns, verstehst? Na, schau doch, schau dir das an! Wer soll denn das kaufen, den ganzen Scheißdreck, wenn wir nimmer da sind, wer is' denn so teppert? Anstehen täten s' ohne uns, z'grund gehen täten s'! Und genau deswegen stehen wir an, verstehst, genau deswegen!

ER (schiebt den jungen Mann in Richtung Kassa): Also, jetzt gehen S' schon.

DER JUNGE MANN: Danke höflichst. (Zur Kundin davor:) Tschulligen, darf ich? Ich hab' nur das eine.

(Er wird vorgelassen. Pause.)

SIE (zärtlich): Erklärst du's mir jetzt?

(Schweigen)

SIE: Bitte! Erklär's mir!

(Schweigen.

Vorhang)